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Ein Flüchtlingsheim mit rosa Stühlen

Naomi Conrad, Berlin 24. Februar 2016

Schwule und Lesben sind auf der Flucht nach Europa besonders gefährdet und erpressbar. Doch auch in Deutschland sind viele nicht sicher. Die Zahl der Überfälle in Flüchtlingsheimen steigt. Aus Berlin Naomi Conrad.

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Zimmer im Flüchtlingsheim in Berlin (Foto: Naomi Conrad/DW)
Bild: DW/N. Conrad

Eigentlich, wird Filmon später, viele Jahre später, sagen, hätte er es besser wissen müssen: Eigentlich hätte er wie sonst auch seine Identität verstecken sollen, bloß nicht auffallen, sich wie immer verstellen. "Als Homosexueller in Eritrea vertraust du niemandem, nur deinen ganz, ganz engen Freunden", sagt der 31-jährige Filmon, der heute zwar in Deutschland lebt, aber trotzdem unerkannt bleiben will, weil sein Asylantrag noch nicht entschieden ist.

Aber damals, vor nun elf Jahren, hatte er zusammen mit Freunden in einer Bar in Asmara getrunken und war so betrunken als die Nacht ein Ende nahm, erzählt er, dass er sich kaum noch daran erinnert, wie er zusammen mit einem Freund in ein Taxi stieg, wie sie sich auf der Rückbank aneinander lehnten, lachten und scherzten. Irgendwann, sagt er, hätten sie angefangen sich zu küssen, so genau weiß er das nicht mehr. Aber das, was danach kam, das wird er nicht vergessen: Der Taxifahrer fuhr direkt zur nächsten Polizeistation, Filmon und sein Freund wurden getrennt, geschlagen, gedemütigt und in Einzelhaft gesperrt, tagelang.

Ein Jahr verbrachte Filmon in verschiedenen Gefängnissen in Eritrea, wo Homosexualität illegal ist. Seine Zellengenossen zwangen ihn, "den Schwulen", auf dem Boden zu schlafen, schlugen ihn, pinkelten auf ihn, sagt er, seine Stimme klingt dumpf, fast tonlos.

Schließlich gelang ihm die Flucht, zusammen mit einem Freund. Es folgte eine Odyssee durch Afrika und Europa, bis er endlich, Jahre später, Ende 2014, Deutschland erreichte. Eine Flucht, bei der er versuchte, seine wahre Identität zu verstecken, nicht wieder den gleichen Fehler zu begehen. Nicht immer gelang ihm das: Im Sudan "passierten schlimme Dinge", sagt er, nachdem ein Mann, den er über Facebook kennenlernte und schließlich traf, "sich als jemand anderes herausstellte, als er angegeben hatte." Mehr will er nicht sagen.

LGBT-Flüchtlinge besonders gefährdet

Wie Filmon geht es vielen homosexuellen Flüchtlingen, die oft mit der englischen Abkürzung LGBT für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender zusammengefasst werden: Auf der Flucht nach Europa durch Länder, in denen Homosexualität oft illegal, zumindest aber gesellschaftlich geächtet ist, sind sie besonders gefährdet - und erpressbar.

Flüchtlinge in Turnhalle auf Matten (Foto: Getty Images/J. Koch)
In vielen Unterkünften ist wenig PrivatsphäreBild: Getty Images/J. Koch

Aber auch in Deutschland sind sie oft nicht sicher: In den Flüchtlingsunterkünften kommt es immer wieder zu Übergriffen. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) hat im vergangenen Jahr allein zwischen August und Dezember 90 Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften in Berlin gegen LGBT-Flüchtlinge dokumentiert - Tendenz steigend: Flüchtlinge werden von anderen Flüchtlingen bedroht, gedemütigt und angegriffen, Menschen, die ihren Hass und Vorurteile aus Ländern wie Pakistan, Eritrea oder Uganda gegen LGBT mit nach Deutschland bringen.

"In den Sammelunterkünften gibt es eine ziemlich konkrete Gefahr für Leib und Seele", so sagt es René Mertens vom LSVD. Immer wieder wenden sich Flüchtlinge an seinen Verband, weil sie bedroht worden sind - Freiwillige suchen dann nach alternativen Unterkünften, WGs oder auch mal einem Sofa.

Doch seitdem immer mehr Menschen nach Deutschland strömen, kommen sie kaum hinterher, erzählt Mertens. Der Grund: 2015 sind 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Angesichts der Zahlen bleibt den Behörden oft keine Wahl, als Flüchtlinge in überfüllte Turnhallen und Notunterkünfte zu stecken. Privatsphäre gibt es da kaum, seine sexuelle Identität verstecken fällt manchmal schwer. Deshalb plädiert Mertens für Schutzkonzepte für LGBT-Personen, wie ihn unbegleitete Minderjährige jetzt schon erhalten.

Deutschlands erste LGBT-Unterkunft

In einem unauffälligen Neubau in einer Straße die aussieht wie jede andere in Berlin, mit Bäckerei und Kiez-Kneipe, versucht die Schwulenberatung Berlin genau das zu tun: Eine sichere Unterkunft für bis zu 120 besonders gefährdete LGBT-Flüchtlinge zu bieten. Es ist schon längst nach Feierabend, draußen hasten die Menschen durch den kühlen Nieselregen am Bauzaun vorbei, während drinnen ein Kamera-Team - eines von vielen an diesem Tag - den Aufenthaltsraum von Deutschlands erstem Flüchtlingsheim für LGBT-Personen filmt. Eine kleinere Unterkunft wurde vor Kurzem in Nürnberg eröffnet.

Stephan Jäckel von der Schwulenberatung hat schon eine ganz heisere Stimme, so viele Fragen hat er beantwortet, so viele Journalisten durch das Haus geführt, ihnen die Mensa gezeigt, den Unterrichtsraum, in dem die Flüchtlinge Deutsch lernen und vom schwulen und lesbischen Leben in Deutschland hören sollen, und das Zimmer, in dem ein Mann vorsichtig einen Stuhl mit rosa Farbe bemalt.

Uganda: Eine Frau kämpft gegen Homophobie

Das Haus ist noch eine halbe Baustelle, trotzdem wird es diese Woche bezogen: Die ersten 18 Flüchtlinge waren besonders gefährdet, sagt Jäckel, man wollte keine Zeit verlieren. Er erzählt von Transfrauen, die geschlagen wurden und denen andere Flüchtlinge angedroht haben, sie zu vergewaltigen, einem schwulen Iraner, dem zu Hause die Todesstrafe droht - und der auch in Deutschland, in der Unterkunft noch immer keinen Schutzraum gefunden hat. "Wenn 200 Menschen in einer Unterkunft leben", so formuliert es Jäckel vorsichtig, dann "reichen drei um einem das Leben zur Hölle zu machen."

Das Haus, das vom Land Berlin, das als erstes Bundesland LGBT als eine besonders schutzbedürftige Gruppe wie etwa alleinreisende Minderjährige deklariert hat, durch Tagessätze finanziert wird, soll in anderen Teilen Deutschlands Nachahmer finden, das ist Jäckels Hoffnung. "Der Bedarf ist überall."

Eine Unterkunft nur für Schwule und Lesben? Da, sagt Filmon, würde er sich "sicher" fühlen. Noch tut er das nicht: Er lebt in einer Unterkunft in einer kleinen Stadt in Brandenburg. Irgendwann, sagt er, wenn er Asyl bekommen hat, wird er endlich offen sein können, einen Partner suchen, den er einfach so im Taxi küssen kann, er lacht. "Aber noch muss ich vorsichtig sein." Er schweigt einen Moment: "Ich fühle mich noch nicht sicher hier."