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"Ein Exportschlager fürs Ausland"

Christoph Ricking21. April 2014

Max Weber ist einer der wichtigsten Denker der Soziologie. Am 21. April wäre er 150 Jahre alt geworden. Welchen Einfluss Max Weber weltweit heute noch hat, erklärt die Weber-Forscherin Edith Hanke im DW-Interview.

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Edith Hanke, Wissenschaftliche Redakteurin und Generalredaktorin der Max Weber Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München (Foto: privat)
Bild: privat

Das Werk von Max Weber wird heute übergreifend von verschiedenen Lagern in Wissenschaft und Politik anerkannt. Weber prägte Begriffe wie Objektivität und Wertfreiheit, Bürokratie und Charisma. Mit seinen Theorien hat er bis heute großen Einfluss auf die Sozialwissenschaften. Eine seiner wichtigsten Schriften ist "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus". Darin beschreibt er einen engen Zusammenhang zwischen der protestantischen Ethik und dem Beginn der Industrialisierung und des modernen Kapitalismus in Westeuropa. Sein Werk "Wirtschaft und Gesellschaft" ist einer der bedeutendsten Klassiker der Soziologie.

Deutsche Welle: Max Weber ist vor 150 Jahren geboren. Wie stark ist die Auseinandersetzung mit Max Weber heutzutage?

Edith Hanke: Wir erleben natürlich im Moment durch den Geburtstag auch hier in Deutschland eine starke Auseinandersetzung mit ihm, zum Beispiel durch Artikel in den Medien. Wenn ich im Ausland bin, merke ich jedoch eine zum Teil stärkere Auseinandersetzung. Ich war vor kurzem in Paris bei französischen Weber-Forschern. Dort ist es vorgeschrieben, dass Oberschüler Weber in der Schule lesen müssen. Das heißt, sie haben auch eine viel breitere Kenntnis von Max Weber, während das hier in Deutschland sich doch immer in kleinen akademischen Kreisen abspielt.

Warum ist das in Deutschland so?

Ich glaube, wir sind uns dieser Größe Max Webers nicht so ganz bewusst. Er ist wirklich ein Exportschlager fürs Ausland, was die intellektuelle und akademische Welt angeht. Das wissen die meisten Deutschen nicht.

In welchen Ländern ist das Interesse an Max Weber besonders groß?

In letzter Zeit ist die Rezeption Max Webers interessanterweise in den so genannten Schwellenländern besonders groß. Hauptsächlich in Brasilien, Mexiko, China und der Türkei.

Warum gerade in diesen Ländern?

Ich erkläre mir das damit, dass Gesellschaften, die sich in einem radikalen wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Wandel befinden auf Weber zurückgreifen, um diesen Wandel erklären zu können. Das ist dann oft eine intellektuelle Schicht, die Weber kennt und heranzieht. Sie versuchen den Wandel mit den Kategorien Webers zu erfassen.

Dabei geht es meistens um diesen Wandel von agrarischen, vorindustriellen in industrialisierte Gesellschaften. Das ist eben viel mehr als nur ein Wandel von Produktionsprozessen, sondern dazu gehört - und das ist dann wieder Weber - ganz viel an mentaler Veränderung. Und die kann sich natürlich sowohl gesellschaftlich auswirken, aber auch politisch: dass eben die Menschen mehr politische Teilhabe wollen. Das sind wirklich ganz fundamentale Prozesse und mein Eindruck ist, dass Weber da sehr wichtig ist.

Max Webers Werk betrifft nicht nur die Sozialwissenschaften, sondern auch Ökonomie, Geschichts-, Kultur- und Politikwissenschaften. Wird er vollständig rezipiert oder gibt es ein Hauptgebiet?

Max Weber (1864-1920) gilt als einer der wichtigsten Denker der Soziologie (Foto: AKG-Images/dpa)
Max Weber (1864-1920) gilt als einer der wichtigsten Denker der SoziologieBild: AKG-Images/dpa

Meistens geht es um Webers "Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus". Das ist ein Text, den Weber 1904 und 1905 geschrieben hat. Darin versucht er, die Entstehung des Kapitalismus zu erklären und zwar aus ganz speziellen Eigenschaften strenger Protestanten und wie deren Einstellung den Kapitalismus in seinem Entstehen gefördert hat. Dieser Text spielt immer eine ganz zentrale Rolle bei der Rezeption.

Ein anderer wichtiger Text ist "Wirtschaft und Gesellschaft", ein sehr großes Werk, was auch als Hauptwerk der Soziologie angesehen wird. Und dann kommt es immer ein bisschen darauf an: Es gibt Länder, wie zum Beispiel Italien oder Spanien, die sich Weber stärker von den Kategorien her annähern. Aber daneben sind auch immer wieder die politischen Schriften von Interesse. Es ist interessant, welche Länder an welchen Werken von Weber stärker andocken. Das hängt dann mit den kulturellen Eigenheiten zusammen.

Hat die Rezeption Webers auch konkrete Auswirkungen?

Es gibt ein ganz interessantes Beispiel in einer Region in Zentralanatolien in der Türkei: Dort wird wirklich von einem islamischen Calvinismus gesprochen. Das ist eine wirtschaftlich in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Region, in der Webers Konzept der protestantischen Arbeitsethik übernommen wird. Man beruft sich dort auf Weber, ist wirtschaftlich sehr erfolgreich. In der Gegend gibt es hauptsächlich kleinere und mittlere Betriebe. Auch das bürgerliche Modell der Selbstverwaltung, was bei Weber auch eine große Rolle spielt, wird dort mit den wirtschaftlichen Gewinnen umgesetzt. Es werden zum Beispiel Schulen finanziert oder Stipendien vergeben.

Die Menschen nehmen ihr eigenes Leben in die Hand und lösen sich so auch ein wenig von der Zentralregierung in Ankara ab. Das ist ein Beispiel, wo Webers Werk eine Rolle spielt, als Modell für ein bestimmtes wirtschaftliches Handeln. Sein Werk wird dort mit einer völlig anderen Kultur und auch einer anderen Religion vermischt.

Edith Hanke ist wissenschaftliche Redakteurin und Generalredaktorin der Max Weber Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die weltweite Rezeption Max Webers und seines Werks.

Das Interview führte Christoph Ricking.