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Ein Bundespräsident, der auch Nein sagen kann

Wolter von Tiesenhausen29. Juni 2005

Horst Köhler polarisiert. Der Bundespräsident will zu Veränderungen antreiben, wird aber auch beschuldigt, politisch nicht neutral zu sein. Nun ist Köhler ein Jahr im Amt. Wolter von Tiesenhausen zieht Bilanz.

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Als Mahner ein Jahr im Amt: Horst KöhlerBild: dpa

Bei seiner Wahl am 1. Juli 2004 hatte Horst Köhler angekündigt, er wolle kein bequemer Bundespräsident sein, sondern - wenn erforderlich - auch unangenehme Wahrheiten offen ansprechen.

Dieses Versprechen hat er eingelöst. Er hat den Finger auf offene Wunden gelegt. Er hat den Unwillen der Deutschen angeprangert, seit langem erkannte Misstände ihrer gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung zu beseitigen. Er hat den Widerspruch zwischen öffentlichen Reden und tatsächlichem Handeln beklagt. Er kritisierte die fehlende Bereitschaft zum Risiko und die "Mitnahmementalität", das heißt die Bereitschaft vieler Menschen, öffentliche Leistungen auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie gar nicht benötigt werden.

Vorwurf: Wirtschaftsnah und einseitig

Vereidigung von Bundespräsident Dr. Horst Köhler
Bundesratspräsident Dieter Althaus (links) und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (rechts) vereidigen Horst Köhler zum Bundespräsidenten.Bild: AP

Diese Offenheit haben ihm viele übelgenommen. Aus den Reihen der Gewerkschaften wurde ihm zu große Nähe zur Wirtschaft attestiert, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass Köhler auch die Raffgier und mangelnde Verantwortungsbereitschaft vieler Manager anprangerte.

Dass Horst Köhler mit den Stimmen der Christdemokraten und Liberalen gewählt wurde, haben ihm einige Sozialdemokraten bis heute nicht verziehen. Sie nehmen jede noch so durchsichtige Gelegenheit zum Anlass, dem Bundespräsidenten parteipolitische Einseitigkeit anzukreiden. So zum Beispiel, als sie ihn für Indiskretionen verantwortlich machten, deren Quelle mit etwas Nachdenken im Kanzler- und nicht im Präsidialamt zu orten war.

Trotz Kritik beliebt

Horst Köhlers Ansehen in der Öffentlichkeit hat diese Kritik nicht geschadet. Er steht in der Beliebtheitsskala ganz oben, was angesichts der Besonderheit seines Amtes als Staatsoberhaupt mit nur sehr geringen Exekutivbefugnissen auch nicht weiter verwunderlich ist.

Bellevue 4 für Dossier Bundespräsidentenwahl
Schloss Bellevue in Berlin-Tiergarten, der Sitz des BundespräsidentenBild: dpa

Doch Horst Köhler ist mehr als nur ein getreuer Staatsnotar, der beglaubigt, was ihm vom Parlament und von der Regierung vorgelegt wird. Er bleibt ein Macher, jemand der vorantreiben und gestalten will. Deshalb unterstützt er nicht nur die Reformbestrebungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, sondern tritt für noch weiter reichende Neuerungen ein.

Streben nach Veränderungen

Von Votum des Bundespräsidenten hängt es ab, ob nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage des Kanzlers tatsächlich der Bundestag aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden. Es stünde im Widerspruch zu Köhlers bisherigem Drängen auf Veränderungen, wenn er sich jetzt dem einmütigen Willen aller Fraktionen in den Weg stellen würde.

Auf der anderen Seite ist er selbstbewusst genug, die Abhängigkeit der Parteipolitiker von seiner Entscheidung deutlich zu machen. Vor seiner Wahl sagte Köhler, er glaube als Bundespräsident sehr gut in den derzeitigen Abschnitt der deutschen Geschichte zu passen. So, wie es aussieht, hat er auch in diesem Punkt Recht behalten.