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Ein Buch aus der Bibliothek von...

Thomas Böhm23. Januar 2009

Über Buchgeschenke, den Frühjahrsputz im Bücherregal oder über Schriftsteller als Autofahrer: Hier schreibt Thomas Böhm, Programm-Leiter des Kölner Literaturhauses, regelmäßig Kolumnen rund ums Lesen.

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Bild: DW

Als ich neulich in ein Buch hineinblätterte, das ich bei einem Internetantiquariat bestellt hatte, fand ich darin den handschriftlichen Vermerk "Ein Buch aus der Bibliothek von Hans Wollschläger". Ich war betrübt und irritiert: Wie kam dieses Buch über frühgriechische Opferfeste und Rituale aus dem Besitz des 2007 verstorbenen James Joyce-, Raymond Chandler und Dashiell Hammett-Übersetzers, Arno Schmidt- und Karl May-Experten und höchst eigenwilligen Essayisten Wollschläger zu jenem Antiquar, der es mir geschickt hatte?

Bedeutete das, Wollschlägers Buchsammlung wurde Stück für Stück verkauft? Musste sie nicht zusammengehalten werden, um späteren Forschern z.B. die Möglichkeit zu geben, nachzuvollziehen, aus welchen Quellen Wollschläger bei seiner legendären, bis heute wichtigsten Übersetzung des wichtigsten Romans der Moderne, dem Ulysses geschöpft hat?

Blättern in hinterlassenen Büchern

Wie ergiebig solches Nachblättern in hinterlassenen Büchern sein kann, habe ich erfahren, als ich die in der Berliner Humboldt-Bibliothek aufbewahrte Buchsammlung Heiner Müllers anschauen durfte. Müller schrieb zum Beispiel auf freie Seiten der von ihm heißgeliebten Kriminalromane Konzepte von Inszenierungen. Und in einem Buch über die Filme Godards markierte Müller Fotos von Kulissen, Kostümen und Gesten, die er in seinen Stücken nachstellte.

Thomas Böhm Programmleiter des Kölner Literaturhauses
Thomas Böhm Programmleiter des Kölner LiteraturhausesBild: birgit rautenberg

Bevor Sie diese Gedanken um den posthumen Bestand von Autorenbibliotheken als Sorge und Sentimentalität eines Germanisten abtun, drehen Sie sich bitte einmal zu ihrem eigenen Bücherschrank um und fragen Sie sich, wohin die mühevoll von Ihnen zusammengetragenen Bücher eines Tages gelangen werden – selbst jene 20, 30 Bücher, ohne deren Lektüre Ihr Leben anders verlaufen wäre. Wollen Sie es dem Zufall überlassen, ob Ihre Kinder herausfinden, welches Ihre Lebensbücher waren? Vielleicht kommt Ihnen der Gedanke, Ihr Buchtestament zu machen; die Bücher herauszusuchen – nicht zu viele - die Ihnen die wichtigsten waren. In die können Sie dann hineinschreiben: "Ein Buch aus der Bibliothek von..." Für diese Erinnerung an die Endlichkeit sollte jeder spätere Besitzer dankbar sein.