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Parlamentswahlen im Jemen verschoben

27. April 2009

Die Parlamentswahlen im Jemen sind um zwei Jahre verschoben worden. Überraschend ist das nicht: Das ärmste arabische Land steckt in einer tiefen Krise. Manche bezeichnen den Jemen sogar als gescheiterten Staat.

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Jugendliche im Jemen: Fast 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der ArmutsgrenzeBild: DW/Benjamin Braden

Eigentlich waren die Parlamentswahlen im Jemen für Montag (27. April 2009) angesetzt. Dass sie nun um zwei Jahre verschoben wurden, ist das Ergebnis einer Absprache zwischen dem regierenden Allgemeinen Volkskongress und dem seit 2002 existierenden Oppositionsbündnis. Dazu gehören vor allem die im Süden beheimatete Jemenitische Sozialistische Partei und die einflussreiche Islah-Partei, eine Allianz aus zumeist nördlichen Stammesführern und Islamisten.

Rein formal wurden die Wahlen verschoben, weil die zwischen Regierung und Opposition umstrittene Neuregelung der Wahlbestimmungen noch nicht abgeschlossen ist. Sie soll bisher übliche Wahlfälschungen verhindern. Dabei sind die - zunächst - für zwei Jahre verschobenen Parlamentswahlen im Jemen nur das jüngste Symptom für die tiefe Krise, in die das ärmste arabische Land geraten ist.

Schwierige wirtschaftliche Situation

Handel mit Kat im Jemen
Handel mit Kat: Der Anbau der Pflanze verbraucht sehr viel WasserBild: AP

Die Arabische Republik Jemen umfasst die Südspitze der arabischen Halbinsel und hat eine stark wachsende Bevölkerung von mehr als 21 Millionen Menschen. Die Arbeitslosigkeit wird auf zwischen 20 bis 40 Prozent geschätzt, fast 40 Prozent der Jemeniten leben unterhalb der Armutsgrenze. Ernähren kann sich das Land nicht mehr - zumal der Anbau von Kat, einer leichten Droge, immer mehr landwirtschaftliche Nutzfläche beansprucht und die Wasserreserven dadurch rapide zurückgehen. Auch die verhältnismäßig geringen Erdöleinnahmen werden immer weniger, da die vor allem im Südjemen liegenden Erdölreserven bald erschöpft sind. Die Ölexporte sind innerhalb der vergangenen sechs Jahre von 450.000 auf 280.000 Barrel gefallen.

Massive Ausgabenkürzungen der als korrupt geltenden Regierung waren die Folge. Damit verliert das Regime in Sanaa auch eine wichtige Quelle, mit der sie bisher recht erfolgreich ein umfangreiches Klientelwesen aufbauen konnte, das der Opposition keine Chance ließ. Auch aus diesem Grund haben in den letzten Jahren immer wieder verschiedene Stämme zum Mittel der meist glimpflich abgelaufenen Entführung von Ausländern gegriffen, um auf diese Weise Hilfszusagen der Regierung zu erpessen.

Ehemals demokratisches Vorbild

Wahlen in Jemen Präsident Ali Abdullah Saleh in Sanaa
Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh regiert das Land seit über 30 JahrenBild: AP

Seit 1978 regiert der ehemalige Oberst Ali Abdallah Saleh das Land. Er blieb auch nach 1990 an der Macht, als sich der bevölkerungsreiche Norden mit dem flächenmäßig größeren, aber verhältnismäßig dünn besiedelten Süden, der seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahre 1967 eine sozialistische Volksrepublik gewesen war, zusammenschloss.

In den 1990er Jahren galt der vereinigte Jemen manchen gar als ein demokratisches Vorbild. Es gab echte Wahlen mit mehreren Parteien, wobei neben dem Allgemeinen Volkskongress, der Regierungspartei des Präsidenten, die Jemenitischen Sozialisten und die Islah-Partei von Beginn an die bestimmenden Kräfte waren. Allerdings bestand in den 1993, 1997 und 2003 abgehaltenen Parlamentswahlen nie die realistische Aussicht auf eine Abwahl des Regimes. Gleiches galt für die 1999 und 2006 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen.

Bezeichnend für die Einschätzung der Chancen auf Demokratie im Jemen ist die Überzeugung zahlreicher jemenitischen Oppositionspolitiker, dass der Präsident, der im Militär und seiner engsten Umgebung zahlreiche Familien- und Stammesangehörige installiert hat, nach dem Vorbild Syriens seinen Sohn Achamd zum Nachfolger aufbaut.

Kampf an drei Fronten

Lehmbauten im Jemen
Die Pracht der Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert täuscht: Der Jemen steckt in einer tiefen KriseBild: pa / dpa

Inzwischen muss das Regime Salehs an drei Fronten kämpfen. Im Norden um das alte politische Zentrum der schiitischen Zaiditen befinden sich die sogenannten Houthis im Aufstand. Sie werfen Präsident Saleh Verrat vor und kämpfen um den Erhalt des traditionellen zaiditischen Glaubens, den sie von islamistischen Kräften bedroht sehen. Anfangs vom Präsidenten unterstützt, um seinen islamistischen Verbündeten ein Gegengewicht entgegenzusetzen, kam es 2004 zum Konflikt. Dazu trug bei, dass sich die Houthis an dem 1962 unterstützten Imanat orientieren. Iman, also weltliches und geistliches Oberhaupt, kann nach traditioneller Lehre aber nur ein Abkömmling einer der gut 60 vom Propheten Mohammed über dessen Vetter und den vierten Kalifen Ali abstammenden Familien werden. Zu diesen zählen die Al-Houthi, aber nicht der Klan des Präsidenten.

Brüchiger Waffenstillstand

Die Aufnahme zeigt die aus Lehm gebauten Hochäuser von Shibam im Jemen
Anziehungspunkt für Touristen: die aus Lehm gebauten Hochäuser von Shibam im JemenBild: picture-alliance / dpa

Inzwischen hat es fünf mehrmonatige Waffengänge zwischen den im gebirgigen Norden um Saada verschanzten Houthis und den von Islamisten und lokalen Stammesmilizen unterstützen Regierungstruppen gegeben. Die Houthis wenden dabei erfolgreich die Strategie der ebenfalls schiitischen Hisbollah-Miliz aus dem Südlibanon an, von der sie offenbar auch unterstützt werden. Als weitere Verbündete werden die mit Saudi-Arabien verfeindeten Staaten Libyen und der schiitische Iran genannt.

Damit hat der Houthi-Aufstand, der längst auf angrenzende Provinzen übergegriffen hat, auch eine regionalpolitische Komponente. Im Gegenzug unterstützt Saudi-Arabien das Regime in Sanaa. Über 100.000 Vertriebene und Tausende von Toten sind die bisherige Bilanz, ohne dass ein Ende in Sicht ist - auch wenn seit seit Sommer 2008 nach Vermittlung des Emirs von Katar ein Waffenstillstand gilt, der in den vergangenen Wochen aber zunehmend brüchig geworden ist.

Wunsch nach Unabhängigkeit

Jemen Selbstmordanschlag in Marib gegen Touristen aus Spanien
Gefährliches Pflaster: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Anschläge gegen TouristenBild: AP

Im Süden mit seinen gerade einmal vier Millionen Einwohnern greift der Wunsch nach einer Wiederherstellung seiner Unabhängigkeit um sich. Unter Mitwirkung der ehemaligen kommunistischen Staatspartei, den Jemenitischen Sozialisten, hat sich eine breite Allianz aus ehemaligen Staatsangestellten, ehemaligen Angehörigen der 1994 unterlegenen südjemenitischen Gewerkschaftsmitgliedern, lokalen Führern und anderen Gruppen gebildet, die im vergangenen Jahr zahlreiche Demonstrationen abhielt, deren sich das Regime nur mit teils exzessiver Polizeigewalt erwehren konnte.

Inzwischen kommt es immer wieder zu Anschlägen gegen Oppositionelle. Dahinter werden mit dem Norden verbündete Stämmen und Islamisten vermutet, die gegen ihre alten Gegner aus der Jemenitischen Sozialistischen Partei vorgehen. Eine Schlüsselrolle hat dabei der ehemalige Afghanistankämpfer Tarik Al-Fadli, der Erbe des Fadhli-Sultanats von Abyan, inne. Al-Fadhli, der wie viele andere nach der Niederlage der Sozialisten im jemenitischen Bürgerkrieg 1994 seine alten Familienbesitztümer zurückerhielt, ist inzwischen Mitglied des Konsultativrats. Bis heute soll er Kontakte zu seinen ehemaligen Mitkämpfern aus den Reihen der Al Kaida unterhalten.

Schleichende Staatskrise

Deren jemenitischer Arm ist seit 2006 zunehmend aggressiver geworden und gilt als die dritte Gefahr für das Regime Salehs. Im Januar haben sich die Al-Kaida-Gruppen im Jemen und Saudi-Arabien offiziell zu Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel vereinigt, was aber eher ein Ausweis der Schwäche der in Saudi-Arabien praktisch zerschlagenen Al-Kaida-Gruppen ist. Die Zahl ihrer Kämpfer im Jemen wird auf wenige Hundert geschätzt. Allerdings wird gerade in diesem Punkt dem Präsidenten vorgehalten, dass er die terroristische Gefahr unterschätzt und sie nur halbherzig bekämpft. Immerhin ist er im Kampf gegen die Sezessionisten im Süden und die zaiditischen Houthis im Norden auf die Hilfe der radikalen Islamisten angewiesen.

Dass die schleichende Staatskrise im Jemen, der seine gut 2000 Kilometer lange Küste kaum kontrollieren kann, mit dazu beitrug, das Piratenproblem vor der somalischen Küste in den letzten Jahren verstärken, ist offensichtlich. Da verwundert es nicht, dass sich die Stimmen häufen, denen der Jemen inzwischen als gescheiterter Staat gilt, der in Zukunft das Schicksal Somalias teilen könnte.

Autor: Johannes Krug

Redaktion: Anne Allmeling