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"Ich glaube, Rio wird den Makel behalten"

Benjamin Bathke18. August 2016

Zweimal Gold, zweimal Silber: Heide Ecker-Rosendahl war das deutsche Gesicht der Olympischen Spiele 1972. Mit der DW spricht sie über Rio, Kritik am IOC und erklärt, warum es Leistungssportler heute schwerer haben.

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Heide-Ecker-Rosendahl ehemalige deutsche Leichtathletin
Bild: DW/N. King

Heide Ecker-Rosendahl gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in München nicht nur Gold im Weitsprung und Silber im Fünfkampf, sie holte als Schlussläuferin der 4-mal-100-Meter-Staffel noch ein zweites Gold. Über ihre Eindrücke zu den Spielen in Rio sprach sie mit Neil King.

Deutsche Welle: Im Vorfeld der Spiele in Rio gab es viel Chaos. Wie ist ihr Eindruck bis jetzt?

Heide Ecker-Rosendahl: Ich bin sehr skeptisch. An sich bin ich immer noch sehr sportbegeistert, schaue mir gerne Wettkämpfe an und fiebere mit. Auf Rio habe ich mich allerdings so gut wie gar nicht gefreut. Sonst wusste ich immer, wo besondere Zweikämpfe stattfanden.

Woher kommt diese Gleichgültigkeit?

Die Doping- und Korruptionsgeschichten haben mir die Freude genommen. Was mich ganz traurig macht, sind die wenigen Zuschauer in den Sportstätten. Dadurch kommt keine Stimmung auf. In München ‘72 war das ganz anders. Bei jedem Termin im Olympiastadion habe ich immer noch das Gefühl, das entsteht, wenn Menschen jubeln. Das passiert aber nur in vollen Stadien. Wenn Zuschauer in Rio es entweder wegen Sicherheitskontrollen nicht rechtzeitig ins Stadion schaffen oder es ihnen zu teuer ist, dann muss man die Karten verschenken. Das wäre immer noch besser als ein leeres Stadion. Ich glaube, Rio wird den Makel behalten.

Rio Momente 17 08 Leichtathletik - Frauen 200 m Halbfinale
200 Meter Halbfinale der Frauen bei den Olympischen Spielen in RioBild: Reuters/D. Gray

München ‘72 war Ihre sportliche Sternstunde. Hat sich Ihr Leben mit den Erfolgen grundlegend verändert?

Man gerät in so eine Situation ja nicht von heute auf morgen. Ich war vorher ja schon Europameisterin und Weltrekordhalterin. Man wächst in so etwas hinein. Was nicht alltäglich war, war das Stadion mit 80.000 Menschen, die alle meinen Namen schrieen. Da muss man schon einen Tunnel aufmachen, in den man sich reinkonzentriert. Wenn man dann auf dem Siegertreppchen steht, bekommt man dann schon eine Bestätigung: "Du hast das geschafft, du hast irgendwo alles richtig gemacht." Das geht wie ein richtiges Wohlempfinden-Gefühl durch den Körper.

Wie früh haben Sie gemerkt, dass Sie sportlich ganz nach oben kommen können?

Als Kind interessiert man sich nicht für langfristige Ziele. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der immer Sport gemacht wurde. Mein Vater war Diskuswerfer, ich bin als Zweijährige mit in den Turnverein gegangen. Mit Leichtathletik habe ich erst angefangen, als ich so 13 oder 14 war, bin aber als Jugendliche schon sechs Meter weit gesprungen. Beim Um-die-Wette laufen merkte ich, dass ich schneller bin als alle Anderen. Da hatte es mich dann gepackt.

Wie haben Sie die Geiselnahme bei der Olympiade ‘72 erlebt?

Ich konnte von meinem Hochhaus im Olympischen Dorf auf das Haus der Israelis schauen. Es war sehr befremdend. Am Anfang wussten wir überhaupt nicht, was los ist. Zu der Zeit war ein Terroranschlag nicht verbunden mit irgendwelchen Bildern, die man gleich abrufen konnte, so wie es heute der Fall ist.

Olympia Attentat von München 1972
Zwei Scharfschützen während des Olympia-Attentats von München 1972Bild: picture-alliance/dpa

Nach dem Anschlag durften Sie als einige der wenigen im Olympischen Dorf die weiblichen israelischen Athleten in den Katakomben besuchen. Wie war die Atmosphäre?

Sie wollten auf die Straße, sie wollten sich wehren - sie waren ja alle ausgebildete Soldaten. Das hat uns am Anfang überrascht. Man musste sie davon mit viel Überredungskunst abhalten. Es fiel uns schwer, damit umzugehen. Und dann erhielt unsere Verbandsführung auch noch Morddrohungen gegen mich.

Gegen Sie?

Das waren Trittbrettfahrer, die die Situation ausnutzten. Ich wurde für drei Tage in ein Hotel umquartiert, weil wir uns öffentlich für die Israelis und das Weitermachen geäußert haben. Wir wissen bis heute nicht, wo das herkam. Ich habe es auch damals nicht so ernst genommen. Mein Mann, damals mein Freund, ist mit mir ins Hotel gekommen, und vom Verband wusste auch nur einer, wo ich war. Das war Dienstag, bis zur Staffel am Samstag und Sonntag war ich wieder da.

Sie behielten bei all dem Chaos die Nerven und haben gewonnen.

Wir wollten zeigen: "Hör mal, wir sind auf der Laufbahn, da kämpfen wir." Da hat man sich hinterher auch ein Stückchen Motivation geholt. Die Mentalität war: Jetzt erst recht, wir machen auch schöne Spiele. Wir sind wieder heiter, ohne die israelischen Kameraden zu vergessen.

Sie fanden es also richtig, dass es mit den Spielen weiterging?

Wir wollten nicht, dass der Terror gewinnt. Man sollte sich nicht von solchen Dingen beherrschen lassen. Einige sind aber abgereist, weil sie nicht damit klarkamen. Wir hatten zum Glück ein paar Tage Zeit, um uns wieder auf die Staffel zu konzentrieren.

Thema Doping: Wenn man den Sport und die Olympischen Spiele damals mit heute vergleicht, überrascht es Sie, dass der Weitsprung-Weltrekord der Russin Galina Tschistjakowa von 7,52 Meter aus dem Jahr 1988 bis heute steht?

Das ist eine mit substanzieller Hilfe gesprungene Weite. Ich glaube, man braucht nicht mehr beweisen, dass Leistungen über sieben Meter und 20 Zentimeter bei besten Bedingungen bisher kaum ohne Hilfe gesprungen worden sind. Als ich aktiv war, gab es fast nur Aufputschmittel.

Wie reagieren Sie bei einem neuen Leichtathletik-Weltrekord?

Man ist sofort skeptisch. Ich glaube nicht, dass Russland das einzige Land ist, das mit heimlichen Systematiken gearbeitet hat. Was ich nicht verstehe: Dass die sauberen Athleten - es gibt wohl immer noch welche [lacht] - sich nicht mehr outen und sagen: "Die verderben uns den ganzen Spaß am Leistungssport." Zu beweisen, dass man sauber ist, ist am schwierigsten. Sowohl der IOC als auch die World Anti-Doping Agency WADA hat ewig lange gebraucht, um solche Dinge zu überprüfen. Das ist mir ein Rätsel.

Wie haben Sie die Entscheidung des IOCs aufgenommen, nur die russischen Leichtathleten zu sperren?

Das war eine feige Entscheidung. Ich verstehe nicht, dass das IOC keine klaren Vorgaben gibt und sagt: "Nur unter solchen Bedingungen kann jemand überhaupt noch mitmachen." Die schützen nicht die sauberen Athleten. Das schaffen sie gar nicht.

Schweiz Thomas Bach in Lausanne
IOC-Präsident Thomas Bach bei einer Pressekonferenz in LausanneBild: Getty Images/AFP/F. Coffrini

Stehen heutige Athleten wegen der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports mehr unter Druck als Sie damals?

Der Druck ist dadurch entstanden, dass in den rein olympischen Sportarten die meisten Sportler nicht genug verdienen, um über die Runden zu kommen. Ohne Geld nebenbei zu verdienen, konnten wir damals keinen Leistungssport machen. Heutzutage kommt zum Leistungsdruck noch Existenzdruck. Umso wichtiger ist es, die sauberen Athleten zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie unter sich sind. Die Doper sollen einen eigenen Verband aufmachen.

Das sagen viele andere Athleten und Sportwissenschaftler auch: "Lasst die Sportler sich doch kaputt dopen." Dann weiß jeder Bescheid und das Problem wird sich irgendwann von alleine lösen. Was halten Sie davon?

Ich bin froh, dass ich heute keinen Leistungssport mehr treibe. Betrüger gab es immer, aber ich habe das Gefühl, die Sauberen sind heute in der Minderzahl. Das finde ich schade. Da können nur die großen Verbände mit ganz rigorosem Vorgehen mal irgendwo durchfegen. Anders ist das gar nicht möglich.

Wann kommen die Olympischen Spiele zurück nach Deutschland?

Wenn das IOC seine Philosophie nicht ändert, werden in demokratischen Ländern so schnell keine Spiele mehr stattfinden. Nur noch in autokratischen.

Heide Ecker-Rosedahl ist eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen und gehörte in den siebziger Jahren zu den besten Leichtathletinnen der Welt. Die Doppel-Olympiasiegerin und ehemalige Weltmeisterin arbeitete nach ihrer aktiven Karriere als Trainerin, Dozentin und in der Sportförderung.

Das Interview führte DW-Reporter Neil King.