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DVD-Tipp (Dezember): Klassiker des Western

Jochen Kürten
1. Dezember 2011

Die Deutschen sind fasziniert vom Western. Zahlreiche Festivals in den letzten Monaten beschäftigten sich mit rauchenden Colts und o-beinigen Cowboys. Trotz europäischer Varianten - die Klassiker entstanden in Hollywood.

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Szene aus The Great Train Robbery
Erster Western der Welt: "The Great Train Robbery" von 1903

Im Sommer war im Kino des Deutschen Filmmuseums in Berlin eine mehrwöchige Westernreihe zu sehen. Das Düsseldorfer Filmmuseum zeigte vor kurzem Western aus Deutschland und präsentierte dazu die Ausstellung "Der Schatz im Silbersee". Das Hamburger Festival des deutschen Film-Erbes stand im Herbst unter dem Motto "Europas Prärien und Cañons. Western zwischen Sibirien und Atlantik". Die vergangene Berlinale wurde von dem Western "True Grit" eröffnet. Und auch im deutschen Fernsehen feiert das Genre seit Jahren immer wieder fröhliche Auferstehung.

Szene aus Gold in New Frisco von Paul Verhoeven (Foto: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin)
Deutscher Western: "Gold in New Frisco" von Paul Verhoeven (1939)Bild: Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek

Es scheint, als ob der Western einfach nicht tot zu kriegen ist - obwohl ihm genau das schon oft prophezeit worden ist. Doch auch in Hollywood feiert man alle paar Jahre wieder eine Renaissance des Westerns, der so alt ist wie die Filmgeschichte. Auch wenn heutige Regisseure oft parodistische Züge in die Filmhandlungen einweben und die Mythen in Frage stellen. Was fasziniert die Menschen also an einem Genre, das vordergründig so wenig mit der Gegenwart zu tun hat wie etwa Piratenfilme oder Mittelalterepen? "Der Western markiert eine Schnittstelle, an der sich Geschichtsschreibung und Mythisierung, tatsächliches Geschehen und massenmediale Interpretation überlagern" - so lautete ein Erklärungsversuch der Westernreihe im Deutschen Filmmuseum in Berlin im Sommer.

Der Western als Spiegel amerikanischer Geschichte

Ein paar andere Erklärungen bietet jetzt die "Süddeutsche Zeitung" an, die 15 klassische amerikanische Western in einer DVD-Box auf den Markt gebracht hat und darauf hofft, dass auch im heimischen Wohnzimmer der Western nichts von seiner Faszination einbüßt: "Der Western hat all die Erschütterungen der amerikanischen Psyche und des American Way of Life des vorigen Jahrhunderts - Weltkriege, Depression, Bürgerrechtsbewegungen, Vietnam - beherzt verarbeitet, und er hat seine Reinheit dabei zu bewahren gewusst, die Kraft seiner Erinnerungen." Natürlich sind all die europäischen und deutschen Western nicht ohne ihre US-Vorbilder denkbar, der Western ist schließlich "das amerikanische Kino par excellence", so drückte es der große französische Filmkritiker André Bazin schon im Jahre 1953 aus.

Western-DVD-Box der Süddeutschen Zeitung (Foto: SZ)
15 Ausflüge in den Wilden WestenBild: Süddeutsche Zeitung

Sich mit Western zu beschäftigen, bedeutet also mehr, als Cowboy- und Indianerfilme zu sehen. Westernfilme sagen tatsächlich viel über die amerikanische Psyche aus, auch über die gegenwärtige: "Mit dem verfassungsmäßigen Recht auf individuellen Waffenbesitz verbindet sich in den USA", so der Publizist und Soziologe Wolf Lepenies in einer Abhandlung über Waffen & Western, "traditionellerweise die 'Insurrectionist Idea': die Überzeugung des Einzelnen, sich mit Waffengewalt auch gegen die Regierung auflehnen zu dürfen, wenn diese die Verfassung verletzt." Die Tea Party, so Lepenies weiter, hätte viele Amerikaner in dieser Überzeugung bestärkt - und damit die Machtverhältnisse im Kongress verändert.

Modell Jesse James

"The true story of Jesse James" von Nicholas Ray (1956) ist ein schönes Beispiel für diese These. Ray erzählt die Geschichte der Brüder Jesse und Frank James als Akt der Auflehnung, mit einem "verstörten Jungen (Jesse James), der vom Sezessionskrieg an Leib und Seele gezeichnet ist und Gefallen findet an seinem aggressiven, ekstatischen Handeln. Ein neurotischer Western, die schmerzliche Anatomie einer Legende" (Hans Schifferle). "Rächer der Enterbten" - so der deutsche Titel - ist einer von fünf DVD-Premieren in der Box der Süddeutschen Zeitung, ein straff inszenierter, tempo- und actionreicher Film mit einigen Rückblenden, der allerdings wohl noch weitaus komplexer ausgefallen wäre, wenn die US-Studiobosse dem experimentierfreudigen Nicholas Ray damals freie Hand gelassen hätten.

Szene aus Der Rächer der Enterbten (Foto: dpa)
Im Stile von James Dean - Jesse James (Robert Wagner) als rebellischer junger MannBild: picture-alliance/dpa

Auch in "Vogelfrei" von Raoul Walsh (1949) ist der Held am Ende tot. "Vogelfrei" erlaubt einen ebenso aufschlussreichen Blick auf die dunkle Seite der amerikanischen Seele wie Rays Film. Der Outlaw, um den es hier geht, ist eigentlich schon von der ersten Filmminute an dem Tode geweiht. Und so bleibt dem Zuschauer in den sich anschließenden 90 Filmminuten eigentlich nur, ihn zum großen Shootout zu begleiten. Welche Hollywood-Filme unserer Tage sind schon so düster und pessimistisch? Auch "Vogelfrei" ist eine DVD-Premiere, wie auch King Vidors "Mit stahlharter Faust" von 1955, in dem ein verzweifelter Kirk Douglas gegen die Einschränkung der Freiheit, eindrucksvoll symbolisiert durch den das Land durchziehenden Stacheldraht, aufbegehrt. Budd Boettichers "Auf eigene Faust" (1959) ist ebenfalls zum ersten Mal auf DVD zu sehen, ein sehr kompakter, mit schmalem Budget inszenierter Western um Rache und Vergeltung.

Szene aus Vogelfrei (Foto: dpa)
Dem Tode geweiht - der Outlaw (Joel McCrea) und das Halbblut (Virginia Mayo)Bild: picture-alliance/dpa

Vater-Sohn-Konflikt vor Westernhintergrund

Schließlich ist auch einer der ganz großen Klassiker des Genres, Howard Hawks "Red River" (1948), wieder auf DVD zu sehen. Hawks erzählt die Geschichte des alternden und autoritär auftretenden Viehbarons Dunson (John Wayne), der seine Macht und seinen Einfluss mehr und mehr verliert und schließlich abtreten muss. An seine Stelle tritt ausgerechnet der von ihm adoptierte Matthew (ungeheuer eindrucksvoll und modern: Montgomery Clift). Hawks komplexer Film erlaubt mehrere Sichtweisen. Am interessantesten ist die des Generationenbruchs. Wie hier die Abnabelung einer nachwachsenden Generation von den Erziehungsidealen der Väter inszeniert wird, ist so bestürzend und eindrucksvoll. Ein Western, der wie alle großen Filme aus Hollywood weit über sein Genre hinausweist.

Szene aus Red River (Foto: dpa)
Vater - Sohn-Konflikt in "Red River (John Wayne und Montgomery Clift) von Howard HawksBild: picture-alliance/dpa

In der Western-Edition der Süddeutschen Zeitung sind unter anderem noch Klassiker wie "Faustrecht der Prärie" und "Cheyenne" von John Ford, Hawks "Big Sky", "Zähl bis drei und bete" von Delmar Daves, "Über den Todespaß" von Anthony Mann und John Sturges "40 Wagen westwärts" enthalten.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Silke Wünsch