DVD-Tipp: Blackout - Anatomie einer Leidenschaft
6. September 2015Eine Frau wird mit Blaulicht in eine Klinik eingeliefert. Sie ist ins Koma gefallen. Ersten Ermittlungen zufolge handelt es sich um einen Selbstmordversuch. Ein Mann begleitet sie in die Klinik und stellt sich bei den Ärzten als "ein Freund" vor. Doch mit der Zeit wird klar, dass der Mann der Liebhaber der Frau war. Ein Kommissar nimmt Ermittlungen auf, vermutet, dass der Mann irgendetwas mit dem katastrophalen Zustand der Frau zu tun hat.
Nicolas Roeg: Weltberühmt durch einen Venedig-Thriller
Der britische Regisseur Nicolas Roeg ist heute vor allem aufgrund seines Thriller-Melodramas "Wenn die Gondeln Trauer tragen" weltberühmt. Filmkenner werden sich auch noch an das Science-Fiction-Opus "Der Mann, der vom Himmel fiel" mit David Bowie erinnern. Dagegen ist sein meisterlicher Thriller "Blackout - Anatomie einer Leidenschaft" (im Original: "Bad Timing") aus dem Jahre 1980 heute fast vergessen. Zu Unrecht.
Jagger, Bowie & Garfunkel: Pop-Stars auf der Leinwand
Schon die Besetzung ist großartig. Nach Mick Jagger (in Roegs Debüt "Performance") und Bowie verpflichtete Roeg mit Art Garfunkel damals erneut einen Popstar für die Hauptrolle in einem seiner Film. Die 23jährige Theresa Russell und der ebenfalls blutjunge Harvey Keitel ergänzen die originelle Besetzungslise. Doch auch die konnte den Film zum Kinostart nicht retten. Sogar ein Manager des britischen Verleihers "The Rank Organisation" kanzelte den Film nach einer ersten Sichtung ab: "Ein kranker Film von kranken Menschen über kranke Menschen."
Blackout: Der Film entsteht erst im Kopf des Zuschauers
"Blackout" war, beurteilt man Roegs Werk heute im Rückblick, seiner Zeit weit voraus. Die elliptische Erzählstruktur, die Schnitttechnik und Montage, all das überforderte die damaligen Zuschauer offenbar. Roegs Film setzt sich im Kopf des Zuschauers erst im Ganzen zusammen. Roeg erzählt seine Geschichte nicht linear und chronologisch, sondern springt im Zeitablauf immer wieder vor und zurück, arbeitet mit sekundenkurzen Sequenzen, streut diese in den Handlungsverlauf ein.
Nicolas Roegs filmisches Spiel mit der Wahrheit
Dem Zuschauer wird so zeitweilig der Boden unter den Füßen weggezogen. Was ist real, was fiktiv? Was spielt sich möglicherweise nur im Kopf der Protagonisten ab, was ist Phantasie, was (Film-)Realität? Endgültige Antworten gibt es bei Nicolas Roeg nicht.
Kinofilm im Zeichen Sigmund Freuds
Doch die Liebes-Geschichte, die uns der Brite erzählt, ist sehr wohl von dieser Welt. Art Garfunkel spielt den amerikanischen im Wien Sigmund Freuds praktizierenden Psychoanalytikers Alex Lindon mit sehr viel Zurückhaltung und Understatement. Der analytisch und intellektuell auftretende Wissenschaftler, der so viel über die menschliche Psyche weiß, muss erkennen, das Gefühl und Eros auch mit noch so viel gedanklichem Scharfsinn nicht zu beherrschen sind.
Thriller: Form und Inhalt reiben sich
In der gleichwohl faszinierenden wie labilen Milena Flaherty (Theresa Russell) trifft er auf eine Frau, die das Gegenteil seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur verkörpert: sie lebt in den Tag hinein, lässt sich treiben, ist emotional und spontan. Mag sein, dass Roeg (und sein Drehbuchautor Yale Udoff) hier gängige Rollenmuster aufgenommen haben, doch sind die Charaktere in "Blackout" durchweg glaubwürdig, die Handlungsstränge immer nachvollziehbar. Durch die verspielt-experimentelle Form wird die Amour Fou immer wieder hinterfragt. Das macht einen großen Reiz des Films aus, der ein Wiedersehen unbedingt wert ist.
Nicolas Roeg: Blackout - Anatomie einer Leidenschaft, GB 1980, 122 Minuten, mit Art Garfunkel, Theresa Russell, Harvey Keitel, Denholm Elliott u.a., als DVD und Blu-ray beim Anbieter "Koch Media" in der Reihe "Masterpeaces of Cinema" erschienen.