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Durchschnittlich menschenfeindlich

4. Dezember 2009

Einmal im Jahr untersucht eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Bielefeld, wie sehr Feindlichkeit gegenüber Minderheiten in der Gesellschaft verankert ist. In diesem Jahr ging es vor allem um die Auswirkungen der Krise.

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Springerstiefel (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/dpa

Schürt die Krise Vorurteile? Ja. So lässt sich zusammenfassen, was die sogenannte Bielefelder Gruppe herausgefunden hat. Seit acht Jahren veröffentlicht das Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung einmal im Jahr die Studie "Deutsche Zustände" über das, was im Soziologensprech "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" heißt - also Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Ablehnung von Behinderten, Homosexuellen, Langzeitarbeitslosen und so weiter. Das Ergebnis der Studie: Die gemeinsam empfundene Bedrohung führt zur Ablehnung von Minderheiten.

Können wir uns Solidarität noch leisten?

Der Psychologe Andreas Zick spricht vom "Affekt des kleinen Mannes": Das Gefühl großer Teile der Bevölkerung, Zeche für die Krise zahlen zu müssen, obwohl andere sie verursacht haben, führe dazu, die Solidarität in der Gesellschaft in Frage zu stellen. "Können wir es uns in der Krise noch leisten, schwache Gruppen in der Gesellschaft als gleichwertig zu betrachten? Können wir uns Solidarität noch leisten?"

Wilhelm Heitmeyer (Foto: Nele Heitmeyer)
Der Kultursoziologe Wilhelm Heitmeyer untersucht jährlich die MenschenfeindlichkeitBild: Nele Heitmeyer

Dazu kommt laut der Studie das gesunkene Vertrauen in die Politik. In allen Schichten, vor allem aber im unteren Drittel der Gesellschaft, fühlen sich immer mehr Menschen von der Politik nicht vertreten - und sind auch weniger bereit, sich in Bürgerinitiativen, Vereinen oder Parteien zu engagieren, sagt der Leiter der Bielefelder Gruppe, Wilhelm Heitmeyer. Das Gefühl der Einflusslosigkeit sei tief eingesickert in der Gesellschaft. "Dann wendet man sich nicht gegen die starken Gruppen, sondern gegen die Schwachen", so Heitmeyer.

Zukunftsangst und Menschenfeindlichkeit

Sind die Deutschen im Krisenjahr 2009 also menschenfeindlicher als vorher? Nein. Auch das ist das Ergebnis der Studie. Insgesamt ist die Zustimmung zu diskriminierenden Aussagen seit der ersten Studie vor acht Jahren gesunken. Der Effekt, den die Soziologen, Psychologen und Pädagogen der Forschungsgruppe beobachtet haben, wird vor allem dann gefährlich, wenn die Menschen in Deutschland die Krise noch existenzieller spüren, sagt die Sozialpsychologin Beate Küpper. “Diejenigen, die sagen, dass es ihnen in den nächsten Jahren schlechter gehen wird, stimmen menschenfeindlichen Aussagen auffallend häufig zu. Es ist also nicht nur die finanzielle Absicherung, sondern es sind vor allem auch die Zukunftssorgen.“ Das gelte nicht nur für die unteren Einkommensschichten, sondern auch bei den gut verdienenden.

Gegen wen sich im Speziellen die Ablehnung richtet, ist dabei fast zweitrangig. Denn im Zweifelsfall, so haben die Forscher herausgefunden, richtet sich die Feindlichkeit gegen alle. "Wer sich durch Zuwanderung bedroht sieht, ist nicht nur feindseliger gegenüber Einwanderern, er ist auch antisemitischer, er ist auch islamfeindlicher, er ist auch sexistischer und hat mehr Vorurteile gegenüber Homosexuellen", so Küpper.

Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auch im europäischen Vergleich untersucht. Heraus kam: Franzosen und Niederländer sind den meisten Gruppen gegenüber weniger feindlich eingestellt. Polen und Ungarn erreichen sowohl bei der Feindlichkeit gegenüber Juden und Muslimen als auch Ausländern und Homosexuellen Spitzenwerte. Die Deutschen sind durchschnittlich menschenfeindlich.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Kay-Alexander Scholz