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Durchbruch oder Armutszeugnis?

Nina Werkhäuser, Berlin 8. März 2016

Ist die geplante Vereinbarung mit der Türkei in der Flüchtlingskrise ein großer Wurf? Oder zeigt sie doch wieder nur die Zerstrittenheit der EU? In Berlin gehen die Meinungen darüber auseinander.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu auf dem EU-Türkei-Gipfel (Foto: Imago/Xinhua)
Auf dem Gipfel: Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Ministerpräsident Davutoglu in BrüsselBild: Imago/Xinhua

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Vereinbarung mit der Türkei "ein Durchbruch", sofern sie beim EU-Gipfel in zehn Tagen tatsächlich beschlossen wird. Einen "ganz wichtigen Zwischenschritt" nennt der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) den Brüsseler Gipfel, bei dem die Türkei so hoch gepokert hat, dass eine endgültige Abmachung noch nicht zustande kam. Viele wichtige Details sind noch ungeklärt. Dessen ungeachtet sieht Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach dem EU-Türkei-Gipfel die Chance, dass eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise nun doch noch möglich wird.

Austausch von Flüchtlingen

Die Türkei hat vorgeschlagen, ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Flüchtlinge, die von der Türkei aus nach Griechenland gelangen, wieder zurückzunehmen. Das soll die gefährliche Route über das Mittelmeer unattraktiv machen und Schleppern das Handwerk legen. Für jeden Syrer, den die Türkei zurücknimmt, soll die EU dann einen jener Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben. Die sollen dann in der EU verteilt werden. Im Gegenzug verlangt die Türkei, dass ihre Bürger schon ab diesem Sommer ohne Visum in die EU einreisen können. Sie will fünf neue Kapitel in den schleppenden Beitrittsverhandlungen mit Brüssel eröffnen und verlangt überdies weitere drei Milliarden Euro zur Unterstützung der in der Türkei lebenden syrischen Flüchtlinge.

"Keine Menschenrechtsrabatte"

Auch wenn die Türkei allgemein als Schlüsselland für die Lösung der Krise gesehen wird - nicht jedes Zugeständnis an die Regierung in Ankara stößt in Berlin auf Gegenliebe. "Ich halte es für ein fatales Signal, dass wir uns komplett in die Hände von Präsident Erdogan begeben", sagte Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, der Deutschen Welle.

Natürlich müsse die EU mit der Türkei kooperieren, sie dürfe dabei aber die Lage der Menschenrechte "nicht unter den Tisch fallen lassen". Als Beispiele nannte Nouripour den "Bürgerkrieg gegen die Kurden im eigenen Land" oder die staatliche Kontrolle von Zeitungen in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan sei "nicht berechenbar". Daher bringe es nichts, "in Vorleistung zu treten mit Menschenrechtsrabatten", sagte der Außenpolitiker der Grünen.

"Die EU ist erpressbar"

Die Linke wirft der EU vor, sich von der Türkei erpressen zu lassen. "Die Türkei zelebrierte beim EU-Gipfeltreffen offen ihre Machtposition", sagte Parteichef Bernd Riexinger der Deutschen Presse-Agentur. Die EU sei aufgrund ihrer Uneinigkeit in der Flüchtlingsfrage erpressbar. Riexinger warf der EU vor, die Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten in der Türkei bei den Verhandlungen in Brüssel ignoriert zu haben.

Scharfe Kritik an der geplanten Vereinbarung kommt von Pro Asyl. Damit würden Flüchtlinge aus Afghanistan oder dem Irak gegen die Opfer des syrischen Bürgerkriegs ausgespielt, kritisiert die Menschenrechtsorganisation. Nach dem jetzigen Plan soll die EU der Türkei ausschließlich Syrer "abnehmen". Es könne nicht die Herkunft darüber entscheiden, ob ein Mensch Schutz findet, argumentiert Pro Asyl.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu (Mitte) mit den Regierungschefs der EU-Länder, Foto: Reuters
Pokert hoch: Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu (Mitte) mit den Regierungschefs der EU-LänderBild: Reuters/Y. Herman

Visumspflicht aufheben oder nicht?

Auch ein Teil der von Ankara geforderten Gegenleistungen für die Rücknahme von Flüchtlingen stoßen auf Kritik in Deutschland. Eine Aufhebung der Visumspflicht für Türken, die in die EU reisen, sehe er "sehr skeptisch", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter der Deutschen Welle. "Ich befürchte, dass die gegenwärtige türkische Führung unliebsame Oppositionelle, Kurden oder nicht regierungstreue Bürger mit einem Visum und einer einfachen Fahrkarte nach Europa versehen wird." Dieser Punkt müsse sehr sorgfältig ausgehandelt werden, damit die Visa-Liberalisierung nicht missbraucht werde.

Die Zusammenarbeit mit der Türkei sei notwendig, sie sei aber "bei weitem noch nicht die angestrebte europäische Lösung", gab Kiesewetter zu bedenken. Es würden schließlich nicht nur über die Türkei Flüchtlinge in die Europäische Union kommen, sondern auch über Libyen, die Maghreb-Staaten und Italien.