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Brasiliens Diamantenland

Torsten Schäfer20. April 2008

Einst durchstreiften Diamantensucher das brasilianische Hochland Chapada Diamantina. Die Schätze, die nun Touristen hierher locken, glänzen wie Diamanten - und sind doch aus Wasser.

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Heiß, meist einsam, unendlich weit - das Hochland der Chapada DiamantinaBild: DW

Sie trafen sich um Mitternacht. Jeden Samstag war es das gleiche Bild auf dem Dorfplatz von Caeté Açu im Tal von Capão: Menschen und Maultiere stellten sich vor dem Versammlungshaus in einer Reihe auf. Waren die Sattelgurte festgezurrt, setzte sich der Zug in Bewegung. Die Maultiere trugen Taschen und Körbe voller Bananen, Orangen und Mangos durch die Dunkelheit. Sechs Stunden liefen die Dorfbewohner mit ihren Tieren durch die Nacht bis nach Palmeiras. Sie tauschten auf dem Markt der Kleinstadt Gemüse und Früchte gegen Bohnen, Reis und Nudeln. Am Mittag hatten die Bauern von Caeté Açu die Lebensmittel für eine Woche getauscht. Sie kehrten auf der staubigen Piste zurück in ihr Dorf, das im brasilianischen Bundesstaat Bahia am Ende aller Straßen liegt. Das war 1998. Niemand kam damals ins Tal von Capão.

Einmal hatten Amerikaner die 425 Kilometer aus der Zwei-Millionen-Metropole Salvador de Bahia auf sich genommen, hatten den armtiefen Schlaglöchern auf der lehmroten Straße getrotzt und sich in die 40 Grad heiße Einsamkeit der Chapada Diamantina, des Hochlands der Diamanten, verirrt. Sie zelteten an der alten Grundschule von Caeté Açu, danach fuhren sie wieder. Diese Amerikaner waren die erste Touristengruppe im Dorf.

Dem Karneval entfliehen

"Während des Karnevals kommen jetzt viele Besucher zu uns. Leute aus Rio und São Paulo, die vor dem Trubel fliehen", sagt Neneo Silva und lehnt sich dabei an die Mauer der Rezeption. Der junge Mann besitzt einen kleinen Campingplatz. Er arbeitet manchmal hinter den Bergen in Palmeiras - oder führt seine Gäste durch tiefe Canyons, dichten Bergwald und trockene Plateaus. Er geleitet sie oft bis zum Mohão, dem großen Tafelberg der Chapada Diamantina. Wie ein Tempel ruht er in der grünen Ebene. Der Fels ist der beliebteste Aussichtspunkt für Reisegruppen.

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Ein natürliches SchwimmbadBild: DW

Neneos Mutter putzt einmal am Tag die kleinen Steinhäuser, die die Familie für Touristen renoviert hat. Seit sie nach Caeté Açu kommen, haben die Silvas mehr Geld und Neneo einen Jeep. "Die Leute im Dorf sind glücklich. Ohne die Besucher würden viele Häuser im Tal leer stehen", sagt der bescheidene Brasilianer, der nur einmal die Armenviertel und Palmstrände von Salvador gesehen hat.

Bizarre Canyons, verschwundene Maultiere

Als das Fernsehen vor einigen Jahren in den bizarren Canyons eine Seifenoper drehte und sie im populärsten Sender des Landes ausstrahlte, reisten zunächst brasilianische Touristen in die kaum besiedelte Chapada. Später kamen Amerikaner, danach Europäer. Seitdem ziehen die Menschen von Caeté Açu nicht mehr mit den Maultieren zum Markt. Viele der Dorfbewohner haben Geschäfte und Bars eröffnet oder aus ihrem Garten einen Campingplatz gemacht. Denn wer den beschwerlichen Weg nach Caeté Açu auf sich nimmt, bleibt für einige Tage.

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Die Diamantwäscher-Stadt Lençois ist für ihre Architektur bekanntBild: picture-alliance/ MAXPPP

Die meist jungen Rucksackreisenden und Bergsteiger kommen mit dem Bus aus Salvador oder der Hauptstadt Brasilia zunächst nach Lençois, dem touristischen Zentrum der 1985 zum Nationalpark erklärten Hochebene. Von hieraus dringen sie weiter in das Gebirge vor. Die 8000 Einwohner zählende, frühere Diamantwäscher-Stadt wurde wegen ihrer eleganten Kolonialhäuser unter Denkmalschutz gestellt. Von Lençois führen Wanderwege zu den ersten Tropfsteinhöhlen. Die Chapada Diamantina ist bekannt für ihre beeindruckenden Grotten, von denen viele für Besucher zugänglich sind. In den Höhlen ruhen kleine Seen, deren Wasser bei richtigem Sonneneinfall zu leuchten beginnt. Die bekannte Grotte "Poço Encantado" funkelt opalblau von den Postkarten, die in den Dörfern verkauft werden.

Heute sind die Diamanten flüssig

Vor 150 Jahren beuteten Schatzsucher das gold- und edelsteinträchtige Hochland der Chapada aus. Der härteste Stein der Welt machte sie reich. Heute sind die Diamanten flüssig: Dreißig größere Wasserfälle gibt es in dem bis zu 1800 Meter hohen Gebirgszug, der fast doppelt so groß wie Bayern ist. Unzählige Bergbäche und Flüsse stürzen sich die schroffen Sandstein-Klippen hinab, ergießen sich in Kaskaden und Brunnen und bilden am Fuß der Felsen kleine Seen. Sie liegen versteckt im Bergwald oder gleich an der Straße, wo sich Einheimische und Touristen in den natürlichen Whirlpools die Muskeln massieren lassen.

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Wasser, Steine, Licht - Glanz im DiamantenlandBild: DW

Die "Cachoeira" genannten Wasserfälle sind drei oder hundert Meter hoch und heißen Primavera, Cachoeirinha, Rio Preto oder Toca da Rita. Zu den schönsten Fällen zählt der Riachinho am Eingang des Tals von Capão. Aus 20 Meter Höhe stürzen sich mehrere Wasserfälle über Felsentreppen in einen warmen Teich. An diesen Ort führt auch Neneo seine Gäste. Er sieht den Touristen dabei zu, wie sie von den roten Steinen in den Pool springen, wieder hinaufklettern, um hinter den nassen, weißen Wänden zu stehen oder die Schlucht zum nächsten Cachoeira hinabsteigen.

Ein kleiner Fluss fällt 400 Meter in die Tiefe

Der höchste Wasserfall Brasiliens ist der Cachoeira da Fumaça, wohin Reisende nach dreistündiger Wanderung über eine einsames Hochplateau gelangen. Ein kleiner Fluss mit mineralhaltigem, rotem Wasser fällt 400 Meter in die Tiefe.

Am Boden des gewaltigen Canyons hüllen Nebenwolken den Bergwald ein. Senkrecht schießen die Steilwände empor, fangen den Blick der Reisenden, die sich auf Anweisung der einheimischen Führer auf den Bauch gelegt haben und in den Abgrund starren. Ohne Führer sollte niemand durch den Nationalpark streifen. Viele der Wanderwege führen an Geröllhalden, steilen Abhängen und Schluchten vorbei. Ein falscher Tritt ist lebensgefährlich. Jedes Jahr stürzen Menschen in den Tod. Einer von ihnen war Neneos Vater. Er kam um, als er auf der Suche nach den letzten Diamanten der Chapada war.