Dunkel überzieht das Land (Tenebrae factae sunt)
30. März 2013Eine finstere Zeit
Es wurde finster, als sie Jesus kreuzigten. Um die neunte Stunde rief Jesus laut: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und nochmals rief Jesus laut und sprach: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Und er neigte sein Haupt und starb. Das war gestern. Karfreitag.
Es wurde finster, als sie Jesus kreuzigten.
Schatten legt sich über alles, was einmal gut war. Die Ankläger haben sich durchgesetzt. Die Verteidiger haben geschwiegen. Die Türen sind geschlossen. Keiner mehr, der eingreifen könnte, kein Präsident, kein Statthalter, kein Richter. Die Gnadengesuche sind ausgeblieben. Es ist dunkle Zeit.
Es ist Stille, die wir kaum ertragen. Weil alles schweigt, was uns bisher die Illusion gegeben hat, wir könnten uns selbst noch retten. Die Lüge ist am Ziel: Dunkle Stille.
Karfreitag - Tag der Gottverlassenheit des Menschen. Karfreitagswetter, sagte man bei uns zu Hause, wenn es trübe, nasskalt war. Wenn es den ganzen Tag über nie richtig Tag wurde. Karfreitag, der Tag, an dem es nicht Tag wird.
Verloren zwischen Dunkelheit und Licht
Diese Stille zwischen Nacht und Morgen, bei der auch die Natur zur äußersten Ruhe kommt, ist auch die Zeit, in der der Mensch, der einsame Mensch mit aller Gewalt in die tiefste Krise gestürzt wird, in eine Leere, die ihn hinabzureißen droht. Die Freunde des alten Tages schlafen, sind weg, verloren; die Partner des neuen Tages sind noch nicht zu sehen.
Mich hat schon lange der Karsamstag, wenn er nicht so zugepackt wäre mit Vorbereitungen auf Ostern, privat und auch in der Gemeinde, - mich hat schon immer diese lange Todesnacht Jesu von Karfreitagmittag bis zum frühen Ostermorgen in Bann gezogen. Diese ungeheuerliche Aussage, die der Liederdichter Johannes Rist in die Worte fasste: „O große Not, Gott selbst ist tot.“ Später umgedichtet: „O große Not, Gotts Sohn ist tot.“ Damit entschärft.
Dass es uns die Sprache nicht verschlägt über dem Geschehen damals auf Golgatha und angesichts all dessen, was geschieht auf dieser Erde, dass wir den Mut haben, aufrecht zu gehen bei all den Täuschungen und Enttäuschungen, dass Herzen, Menschen, Konflikte überhaupt noch offen sind und nicht der Tod in seinem ganzen erschreckenden Einfallsreichtum das Feld behält, das ist das Ostergeschenk Gottes an die Welt. Nicht dass wir jetzt flüchtig über diesen Karfreitag weggehen. In ihm verdichtet sich alles menschliche Leid und alles göttliche Leiden. Aber zu ertragen ist beides nur angesichts der Tür, die am frühen Ostermorgen aufgestoßen wird und durch die heute schon ein Spalt Licht fällt und uns aufrichtet.
Ein Licht wird zu uns kommen
Es ist nicht so, dass wir dieser Nacht mit unserem Licht beikommen. Es ist wohl auch nicht so, dass wir stark genug sind, dieses Schweigen, diese Nacht allein zu ertragen. Wir brauchen die Gemeinschaft der Heiligen, und wir brauchen das zugesprochene Wort Gottes.
In solcher Nacht kannst du dir die Gute Nachricht nicht mehr selbst zusprechen. Du brauchst einen Engel. Am besten wohl viele: zwei zu deinen Häupten, zwei zu deinen Füßen ... Sie müssen wirklich keine Flügel haben, nur ein wenig vom Osterlicht, auf ihre Weise.
Dass jeder von uns in Zeiten eigener Not, Gottesferne und Gottesschweigen solche Engel findet, die bei ihm wachen bis zum je eigenen Ostermorgen, darum bitte ich Gott.
Zum Autor:
Gerhard Engelsberger (Jahrgang 1948) ist seit vielen Jahren Gemeindepfarrer: zunächst in Mannheim, und seit 1981 in Wiesloch. Daneben hat er aber auch immer wieder Bücher veröffentlicht, sowie Radio- und Fernsehsendungen gestaltet. Im KREUZ - Verlag gibt er zudem die »Pastoralblätter« und die »Kasualblätter« heraus. Er ist verheiratet und hat vier Kinder – kein schlechtes Training auch für seinen Kinderchor, mit dem der Komponist und Texter bereits auf mehreren CDs zu hören ist.