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Schlechte Prognosen

2. Oktober 2009

Immer mehr Frauen im Einzelhandel müssen wegen der Finanzkrise um ihren Arbeitsplatz bangen oder zu Dumpinglöhnen arbeiten. Und die Prognosen stehen schlecht: Es wird mit einer weiteren Entlassungswelle gerechnet.

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Eine Frau geht vor einer Börsentafel mit absteigendem Aktienkursverlauf entlang (Foto: dpa)
Durch die Finanzkrise ist auch der Job vieler Frauen bedrohtBild: picture-alliance / dpa

Ist die Finanz- und Wirtschaftskrise eine männliche Krise? Die Statistik legt diese Schlussfolgerung nahe - sind doch momentan überwiegend Männer von Arbeitslosigkeit betroffen. Andererseits treibt die derzeitige Rezession die seit vielen Jahren bestehenden prekären Beschäftigungsverhältnisse in typischen "Frauenbranchen" auf die Spitze. Zum Beispiel im Einzelhandel. Immer mehr Verkäuferinnen arbeiten weit unter dem Mindestlohn, als "Minijobber" müssen sie mehrere Jobs ausüben oder "aufstocken", das heißt staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Unsichere Zukunft

Christel Hoheisel vor einer Woolworth-Filiale (Foto: DW)
Christel Hoheisel war bis vor kurzem bei Woolworth beschäftigtBild: DW

Christel Hoheisel ist eine davon. Sie ist eine sympathische Frau Anfang fünfzig. Normalerweise sei sie voller Tatendrang, aber momentan weiß sie einfach nicht weiter. "Traurig ist das, wirklich traurig". Sie hat Angst vor der Zukunft. "Wenn man so jung angefangen hat zu arbeiten und jetzt im Alter auf einmal nicht weiß, wie es weitergeht, ist das schon komisch."

Die gebürtige Hamburgerin ist eine von vierzig Verkäuferinnen, die bis vor kurzem bei der "Woolworth"-Filiale in Leverkusen beschäftigt waren. Am 12. September hatte das Geschäft in einer Einkaufspassage das letzte Mal geöffnet und verscherbelte seine Waren zu Dumpingpreisen. Monate zuvor hatte der Konzern Insolvenz angemeldet. Rund die Hälfte der Woolworth-Filialen in Deutschland musste schließen, darunter auch jene in Leverkusen. Christel Hoheisel befürchtet jetzt nicht nur, für den Arbeitsmarkt zu alt zu sein - auch die Finanzkrise macht ihr Angst: "Die Firmen müssen sparen, also sparen Sie an Personal. Wenn überhaupt, gibt es nur die Minijobs, Festanstellungen so gut wie gar nicht."

Zu wenig Hilfe für Frauenberufe

Liv Dizinger (Foto: DW)
Die Finanzkrise hat die Bedingungen der Frauen im Niedriglohnsektor weiter verschlechert, sagt die Gewerkschafterin Liv DizingerBild: Claudia Hennen

Geht ein Autokonzern pleite, sei die öffentliche Aufmerksamkeit groß. Melde hingegen eine Kaufhauskette Insolvenz an, so werde dies mit größerer Gleichgültigkeit hingenommen, denn hier seien eben "nur" Frauen zu niedrigsten Löhnen beschäftigt, sagt Liv Dizinger vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Die Gewerkschafterin ist für Wirtschafts- und Strukturpolitik in der Kölner Region und da vor allem für Frauen und Gleichstellungsfragen zuständig.

Dizinger befürchtet, dass in diesem Herbst der ersten großen Entlassungswelle, die vor allem Männer getroffen hat, eine zweite folgt: "Man könnte im Prinzip von einer ersten Krisenwelle sprechen, die sich hier in der Region auf die exportorientierte Industrie ausgewirkt hat". Die zweite Welle, so Liv Dizinger, würde sich auf die Frauenarbeitsplätze niederschlagen, auch im Einzelhandel: "Wenn die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt und die Menschen weniger Geld in der Tasche haben, dann wird auch die Nachfrage sinken."

Zurzeit bekommen viele Frauen die indirekten Auswirkungen der Krise insbesondere im Hotel-Bereich und in der Gastronomie zu spüren - oder bei Dienstleisterfirmen für Catering und Gebäudereinigung. Gleichzeitig aber verschuldet sich der Staat zurzeit stark mit Rettungsaktionen für typische "Männerarbeitsplätze" wie zum Beispiel in der Automobilindustrie. Daher sorgen sich die Gewerkschaften, dass es spätestens ab 2010 Einschränkungen bei den staatlichen Unterstützungs-Leistungen der Bundesagentur für Arbeit geben wird. Und das beträfe dann vor allem die Frauen. "Zurzeit kommen die arbeitsmarktpolitischen Instrumente vor allem Männern zugute", kritisiert Dinzinger. "Es zeichnet sich ab, dass die Agentur für Arbeit auf ein 20 Milliarden Euro-Defizit zusteuert. Dann wird kein Geld mehr da sein für arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Kurzarbeitergeld oder Weiterbildungsmaßnahmen für Frauen."

Arbeiten für Dumpinglöhne

Die Finanzkrise treibt die ohnehin prekären Beschäftigungsverhältnisse vieler Frauen auf die Spitze. Manches Unternehmen rechtfertigt mit ihr auch eine fragwürdige Personal- und Lohnpolitik. Von 40 Verkäuferinnen war Christel Hoheisel bei "Woolworth" eine der letzten fünf Festangestellten, alle anderen Frauen arbeiteten auf der Basis geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse bei einem Stundenlohn von 6,50 Euro - aber das war noch nicht alles. Die Konzernleitung reduzierte in den letzten Monaten auch noch Kassiererinnen. "Die Leute mussten länger warten und haben geschimpft: 'Können Sie nicht mehr Personal einstellen?' Das haben wir dann auch angeregt, aber es ist nichts dabei rumgekommen."

Noch immer spricht Christel Hoheisel von "Woolworth" in der Pluralform "wir" - so weit geht die Identifikation mit ihrem früheren Arbeitgeber. Bis Jahresende zahlt ihr nun eine Transfergesellschaft 80 Prozent ihres Nettolohns. Vielleicht übernimmt im neuen Jahr ein neuer Konzern die Filiale und stellt sie ein. Ausgerechnet der Drogeriediscounter Schlecker ist im Gespräch. Er ist in der Branche bekannt dafür, dass er seine Mitarbeiter zu Dumpinglöhnen bezahlt.

Autorin: Claudia Hennen
Redaktion: Julia Elvers-Guyot