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Ungeliebte Zuwanderer

10. Februar 2012

Bunt nennt man in Duisburg den Stadtteil Hochfeld, hier leben Menschen aus 100 Nationen. Mit Zuwanderung kennt man sich aus. Doch seit immer mehr Menschen aus Südosteuropa kommen, gelten offenbar andere Regeln.

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Autobahnschild Duisburg-Hochfeld
Ziel für viele Bulgaren: der Stadtteil Duisburg-HochfeldBild: picture-alliance/dpa

Mitko Slavev wünscht sich eine gute Zukunft für seine beiden Söhne, er ist nach Deutschland gekommen, damit sie hier gut ausgebildet werden und arbeiten können. Aus dem ostbulgarischen Schumen reiste er nach Duisburg-Hochfeld, weil hier schon sein Bruder lebte. Familie Slavev gehörte zu den ersten, die nach dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens im Jahr 2007 die neue Freizügigkeit nutzten und in den alten Arbeiter-Stadtteil zogen, in dem Migranten aus aller Welt wohnen. Mittlerweile leben etwa 1700 Bulgaren in Hochfeld. Nach den deutschen und türkischen Einwohnern sind sie die größte Gruppe unter den gut 16.000 Hochfeldern. Slavevs Sohn Zhivko hat hier Deutsch gelernt und das 10. Schuljahr abgeschlossen. Dieses Jahr will er sich einen Ausbildungsplatz suchen, auch sein Bruder schreibt Bewerbungen.

Die Bulgaren werden immer nur als Problem für den Stadtteil dargestellt, kritisiert Mitko Slavev. Davon künden auch Überschriften in der lokalen Presse: "Duisburg-Hochfeld zwischen Strich und Verfall“ heißt es da, "Ein Stadtteil bekämpft den Absturz“ oder "Stadt Duisburg scheint Roma-Problem in Hochfeld nicht in den Griff zu bekommen“. Stets ist die Rede von Vermüllung, Schwarzarbeit, Prostitution, Kriminalität und unwürdigen Wohnverhältnissen. Das klingt nach viel Arbeit für die Duisburger Polizei. Die hat nach Aussagen von Sprecher Stefan Hausch zwar ihre Präsenz im Stadtteil erhöht, um dem Sicherheits- und Ordnungsbedürfnis der Bürger entgegenzukommen, einen "signifikanten Anstieg von Delikten" aber habe die Polizei nicht festgestellt. Im Gegenteil: In Hochfeld hält sich hartnäckig das Gerücht, es gebe immer mehr Ladendiebstähle. Tatsächlich schrumpfte die Fallzahl nach Angaben der Polizei von 2006 bis 2011 um mehr als 40 Prozent. Auch die Zahl der Wohnungseinbrüche in Duisburg sei 2011 zurückgegangen.

Zwei bulgarische Zuwanderer lassen sich von der AWO in Duisburg beraten (Foto: DW)
Zhivko Slavev und sein Vater Mitko suchen Hilfe zur IntegrationBild: DW

Diffamierung einer Gruppe von Neuzuwanderern

In Berichten über Probleme in Hochfeld heißt es oft, die meisten Zuwanderer gehörten zur Minderheit der Roma. Ähnliche Meldungen kommen auch aus anderen deutschen Städten. Roma werden in Südosteuropa massiv diskriminiert, berichtet Herbert Heuß vom Zentralverband Deutscher Sinti und Roma, deshalb hätten sie zusätzliche Gründe, ihre Heimat zu verlassen. Heuß glaubt aber, ihr Zuzug werde derzeit "ein bisschen dramatisiert", sie seien Teil einer größeren Armutswanderung aus Rumänien und Bulgarien. Tatsächlich weiß niemand, wie viele Roma nach Deutschland, Duisburg oder nach Hochfeld kommen und wie sie dann dort leben. Die ethnische Zugehörigkeit wird nirgendwo erfaßt.

Das Team der Beratungsstelle der "AWO Integration" in Duisburg Hochfeld: (v.l.n.r.) Karl- August Schwarthans, Mayya Georgieva, Beata Bialek und Selda Baykal (Foto: DW)
Das multinationale Team der AWO-IntegrationsberatungBild: DW

Die Gruppe der Neuzuwanderer wird in Duisburg oft "pauschal diffamiert", so nimmt es Karl-August Schwarthans wahr, der Leiter der AWO-Beratungsstelle Integration. Das multi-ethnische Team der Arbeiterwohlfahrt berät seit 2011 in Hochfeld Familie Slavev und viele andere Zuwanderer. Auch Schwarthans sieht den Zuzug vor allem als EU-Binnenwanderung von Menschen, die für sich selbst und vor allem für ihre Kinder eine bessere Zukunft suchen. Sie wollen sich integrieren, weil sie in Deutschland bleiben möchten, erklärt der AWO-Leiter: "Sie werden von Zuwanderern aus Bulgarien kaum je irgend etwas Schlechtes über Deutschland hören, obwohl sie hier ganz unangenehme Erfahrungen machen."

Die "letzten gebildeten Menschen"

Für öffentliche Aufmerksamkeit und Spannungen haben die Initiativen einiger Hochfelder Immobilienbesitzer gesorgt. Sie haben vor einigen Jahren verstärkt in den City-nahen Stadtteil am Rhein investiert, der durch viele Baumaßnahmen aufgewertet worden ist. Auf dem Weg zum Büro des PR-Beraters Michael Willhardt in der Eigenstraße fallen in diesen Wintertagen nicht Müllberge auf, sondern sanierte Fassaden neben alten Häusern. Straßenkehrer säubern Bürgersteige und Grünstreifen, Stadtreinigungsfahrzeuge sammeln das Altpapier. Willhardt schrieb im Namen der Initiative „Zukunftsstadtteil“ in einem offenen Brief an die Stadt Duisburg: "Wir möchten insbesondere gegen den Zuzug von Bulgaren protestieren“. Er warnte vor "Verwahrlosung und Rechtlosigkeit“ und vor "dem Wegzug der letzten gebildeten Menschen aus Problemstadtteilen“.

Dr. Michael Willhardt und Petra Wosnitzka (Foto: DW)
Hochfelder Hausbesitzer protestierten gegen ZuzugBild: DW

Willhardt hat in sein Haus mit Kauf und Sanierung 380.000 bis 400.000 Euro investiert, erzählt er, den Marktwert schätzt er auf 220.000 Euro. Diese Differenz mache ihm und den anderen Hausbesitzern aber keine Sorgen, beteuert er. "Wir haben eher Angst, dass wir irgendwann die guten Leute, mit denen wir uns umgeben können und die auch zu uns passen, dass wir die nicht mehr kriegen“. Willhardt beklagt in Hochfeld einen "Mangel an Bildungsabschlüssen“. Der Stadt Duisburg wirft er "völlige Ignoranz" vor. Das Müllproblem sei besser geworden, sagt Willhardt, die Zuwanderer aus Südosteuropa aber seien "nicht integrierbar“.

Geschäftemacher beuten Zuwanderer aus

"Der, dessen, dem, den“, Mitko Slavev hat sich Tabellen geschrieben, um alle Formen der deutschen Sprache richtig zu lernen. Abends paukt er oft bis Mitternacht die deutsche Grammatik. In Bulgarien hat er als Mechaniker gearbeitet. In den ersten Jahren in Deutschland ist er immer wieder zurückgefahren, um dort Geld zu verdienen. Jetzt besucht er einen Deutschkurs und will sich danach auf einen regulären deutschen Arbeitsplatz bewerben. Nach mehr als drei Jahren in Deutschland darf er das. In den ersten drei Jahren dürfen Zuwanderer aus Bulgarien oder Rumänien nur als Selbstständige arbeiten oder solche Jobs annehmen, für die sich kein anderer findet. Erst ab 2014 gilt für sie vom ersten Tag an die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit wie für alle anderen EU-Bürger auch.

Von der Übergangsphase mit eingeschränkten Rechten profitieren Geschäftemacher. "Es gibt sehr viele, die die Situation ausnutzen", sagt Eduard Pusic von der Beratungsstelle Zukunftsorientierte Förderung (ZOF). Er und seine bulgarische Kollegin Ivelina Rohn beraten die Zuwanderer und begleiten auch die Mitarbeiter des Jugendamts beim Besuch der Familien. Manche Wohnungen sind verschimmelt, die Heizung funktioniert nicht oder es gibt kein Bad, weiß Pusic. Die Vermieter dieser "Schrottimmobilien" verlangten häufig überteuerte Mieten. Manche haben ihren Mietern schon widerrechtlich Wasser und Strom abgestellt.

Das Bild zeigt die Beratungsstelle ZOF (ZukunftsOrientierte Förderung e.V.) in Duisburg-Hochfeld: Ivelina Rohn und Eduard Pusiv beraten hier die Zuwanderer aus Südost-Europa (Foto: DW)
Ivelina Rohn und Eduard Pusic beraten EU-NeuzuwandererBild: DW

Die Zuwanderer lassen sich darauf ein, weil sie keine anderen Wohnungen bekommen. "Die Vorurteile gegen sie sind sehr groß", sagt Pusic. Ertragen könnten das die Menschen offenbar nur, weil manche in ihrer Heimat unter noch viel schwierigeren Bedingungen gelebt hätten. In Duisburg wird auch die Arbeitskraft vieler Bulgaren ausgebeutet. Weil sie in den ersten drei Jahren keinen Zugang zum normalen Arbeitsmarkt haben, verdingen sich manche als billige Aushilfskräfte auf dem Schwarzmarkt. Häufig lasse man sie wochenlang "zur Probe" arbeiten, berichtet Pusic, und entlasse sie dann ohne Bezahlung.

Das Handlungskonzept der Stadt Duisburg

Die meisten Sorgen machen sich Sozialarbeiter und Berater in Hochfeld um die Gesundheitsversorgung und Bildungsangebote für die Kinder der Zuwanderer. So geht es auch Anke Lisner-Kolling, Sprecherin vom Runden Tisch Hochfeld. In diesem Kreis sprechen engagierte Bürger mit Vertretern aus Verbänden, Schulen, Politik, Kirchen, Moscheen und Vereinen über ein gutes Zusammenleben im Stadtteil. "Wir setzen uns seit langem dafür ein, dass die Kinder in die Kindergärten kommen und zur Schule gehen können", berichtet Lisner-Kolling, doch die Stadt habe sich viel zu lange nicht darum gekümmert. So fehlten Kita-Plätze für die Kleinen bis zu 6 Jahren und viele Kinder im Schulalter müssten warten, bis sie in eine Klasse aufgenommen werden könnten. Auch die Gesundheitsversorgung sei schwierig, da etliche Zuwanderer nicht versichert seien.

Im Dezember 2011 hat der Rat der Stadt Duisburg ein „Handlungskonzept zum Umgang mit der Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa“ beschlossen und viele Problemfelder analysiert. Koordiniert hat das Thema der Dezernent für Familie, Bildung und Kultur Karl Janssen (CDU). Er erteilt all denen eine Absage, die meinen, die Zuwanderer müssten zurückgewiesen werden: "Hier kommen Menschen mit der Hoffnung, ein menschenwürdigeres, besseres Leben leben zu können. Es geht für uns um Integration, denn die Menschen wollen bleiben, und sie sind europäische Bürgerinnen und Bürger, sie können bleiben".

Die Fassade des Duisburger Rathauses in der Innenstadt (Foto: DW)
Im Duisburger Rathaus fordert man Hilfe übergeordneter StellenBild: DW

Forderung nach Geld aus Düsseldorf, Berlin und Brüssel

Allerdings sei die Stadt Duisburg so hoch verschuldet, erläutert Janssen, dass sie nur für hoheitliche Pflichtaufgaben Geld ausgeben dürfe. Die Gesundheitsversorgung etwa gehöre nicht dazu. Kinder, die dringend Therapien oder Operationen brauchten, würden deshalb kurzfristig unter die Obhut des Jugendamtes gestellt, um sie überhaupt behandeln zu können. All das müsse besser gelöst werden. Deshalb suche man jetzt die Unterstützung des Landes Nordrhein Westfalen, der Bundesregierung in Berlin und auch der Europäischen Union, um die Menschen in Duisburg besser und schneller versorgen und integrieren zu können. Die Landesregierung hat zugesagt, Duisburg wie auch die vom Zuzug aus Rumänien und Bulgarien ebenfalls stark betroffene Stadt Dortmund zu unterstützen.

Finanzielle Hilfe aus Berlin fordern auch die SPD-Bundestagsabgeordneten Bärbel Bas und Johannes Pflug aus Duisburg. Im Schreiben an die Regierung begründen sie, die soziale und finanzielle Belastung der Städte sei "eine Folge der EU-Osterweiterung und vor allem der fast immer erbärmlichen Situation der zugewanderten Menschen in ihren Heimatländern". Parteiübergreifend wollen sich jetzt Vertreter aus den Städten Deutschlands zusammenschließen, die von der verstärkten Zuwanderung aus Südosteuropa besonders betroffen sind. Gemeinsam wollen die Parlamentarier die Bundesregierung zum Handeln bewegen. Auch über eine schnellere Erteilung der vollen Freizügigkeit für Bürger aus Bulgarien und Rumänien möchten sie sprechen.

"Ein Mensch muss seine Fähigkeiten zeigen"

"Was hast du mit dem Roma-Jungen zu tun?“, dieser Satz richtet sich gegen Zhivko Slavev. Ein türkischer Jugendlicher schleudert ihn seiner Schwester entgegen, weil er sie mit Zhivko zusammen sieht. Es ist ein Dialog in einem Theaterstück, das der Theaterpädagoge Sami Osman mit Hochfelder Jugendlichen entwickelt hat. Junge Bulgaren, bulgarische Roma, türkische Jugendliche und eine Vietnamesin spielen in dem Stück „Zwischen Gestern und Morgen“ Szenen aus ihrer Lebenswelt. Bei den Proben im Hochfelder Jugendzentrum der Falken sprechen sie Deutsch, Bulgarisch, Türkisch und die Roma-Sprache Romanes. Der Mazedonier Sami Osman, der jahrelang mit dem Roma-Theater Pralipe aufgetreten ist, will die Jugendlichen motivieren, ihr Selbstbewußtsein und ihre Talente zu entwickeln. So könnten sie sich auch den Respekt ihrer Nachbarn, Freunde oder Schulkameraden sichern. "Ein Mensch muss seine Fähigkeiten zeigen", mahnt Osman, "ich bin auch Rom und die Leute respektieren, was ich mache".

Theaterpädagogen Sami Osman (ganz rechts) bei der Probe für das multi-ethnische Jugendtheater-Projekt AMARO-THEATAR THERNO THEATAR mit Hochfelder Jugendlichen (Foto: privat)
Theaterpädagoge Sami Osman (re.) will Jugendliche stärkenBild: privat

Auch Zhivko Slavev hat seine Leidenschaft für das Theater entdeckt und unterstützt Regisseur Osman als Assistent. Auch sonst engagiert er sich: Der 19-Jährige wurde gerade in den Vorstand des Jugendverbandes Falken in Duisburg gewählt. Was wird aus der Hoffnung seines Vaters Mitko Slavev auf eine gute Zukunft seiner Kinder in Deutschland? Wovon träumt Zhivko? Er lacht: "Träume kosten nichts. Ich habe überlegt, ob ich vielleicht etwas Soziales mache wie eine Ausbildung als Migrationshelfer." Vielleicht geht er aber auch weiter zur Schule und macht sein Fachabitur. Im Moment fiebert Zhivko der ersten Aufführung des Hochfelder Theaterstücks entgegen. Die Premiere soll im Duisburger Innenhafen sein, nicht weit vom Rathaus der Stadt entfernt.

Autorin: Andrea Grunau
Redaktion: Dеnnis Stutе