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Du auch? Sexuelle Belästigung im Job

Arthur Sullivan
4. November 2017

Sexuelle Belästigung bei der Arbeit ist auch in Deutschland seit vielen Jahren ein Problem, wurde aber bislang kaum offen thematisiert. Sorgt die aktuelle Debatte für einen Wechsel in der Unternehmenskultur?

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Kampagne #MeToo
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Bist Du jemals am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden? Und was ist das eigentlich, sexuelle Belästigung? Würdest es überhaupt erkennen, wenn Du es mitbekommst? Würdest Du darüber reden, wenn es Dir oder jemand anderem passiert?

Statt hinter vorgehaltener Hand in der Teeküche wird seit kurzem in Deutschland wie auch in anderen Ländern heftig über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz diskutiert.

Es war eine wahre Flut an Berichten über sexuelle Belästigungen, Missbrauch und Vergewaltigungen, die nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Harvey Weinstein Schlagzeilen machten. Der Skandal um die sexuellen Übergriffe des Hollywood-Magnaten hat das frühere Tabuthema ans Tageslicht katapultiert. Die #metoo-Kampagne in den Sozialen Netzwerken brachte Opfer dazu, ihre Erlebnisse öffentlich zu machen und zwang Täter zu öffentlichen Entschuldigungen oder - wie in Großbritannien -  einen Minister zum Rücktritt. Immer neue Vorwürfe gegen Prominente werden bekannt.

Doch was erst seit kurzem mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, ist für Betroffene seit langem ein Problem. Bei der Recherche für diesen Artikel wurden zwei Dinge klar: Viele Frauen - und Männer, wie sich herausstellte – haben im beruflichen Umfeld sexuelle Belästigung erlebt. Trotzdem sind nur wenige bereit, darüber zu reden oder rechtliche Schritte einzuleiten.

Immer wieder: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Der lange Arm des Gesetzes - und des Täters

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bestätigt, dass sich viele Opfer nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. "Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren, für den Übergriff selbst verantwortlich gemacht zu werden und dass man ihnen vorwirft, den Ruf eines Kollegen oder eines Vorgesetzten zu schädigen", sagt sie im Gespräch mit der DW.

"Wir haben außerdem in einer Umfrage herausgefunden, dass viele Arbeitnehmer zu wenig über ihre Rechte wissen. Acht von zehn Beschäftigten wissen nicht, dass ihr Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, sie vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen. Umgekehrt scheinen sich viele Arbeitgeber dieser Pflicht nicht bewusst zu sein."

Obwohl die deutsche Rechtsprechung wenig Interpretationen zulässt. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 werden die weitreichenden Rechte von Arbeitnehmern festgelegt und der Tatbestand sexueller Belästigung genau definiert. 

Neben den offensichtlichen und besonders gravierenden Fällen von körperlichen Übergriffen oder Schlimmerem ist nach dem Gesetz auch ungewollter körperlicher Kontakt eine Form von sexueller Belästigung, genauso wie anzügliches Grinsen, Gesten, schlüpfrige Kommentare oder Witze sowie das Zeigen von pornografischem Material. Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitsgebers, mit Vorwürfen verantwortungsvoll umzugehen und Angestellte zu schützen, ist ganz klar im Gesetz geregelt - und doch gibt es immer noch Gesetzeslücken, die geschlossen werden müssen, meint Christine Lüders.

Bislang muss der Vorwurf einer sexuellen Belästigung innerhalb von zwei Monaten nach dem Übergriff vor Gericht gebracht werden. Christine Lüders zufolge sollte diese Zeitspanne auf sechs Monate ausgeweitet werden. Man müsse Opfern mehr Zeit geben, mit dem Erlebten und der Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle fertigzuwerden. Sie sollten ohne großen Zeitdruck entscheiden können, ob sie damit vor Gericht gehen wollen, so Lüders. Eine weitere Gesetzeslücke betrifft die Tatsache, dass das Gesetz nur die Rechte von Universitätsbeschäftigten regelt - sich aber nicht mit Fällen beschäftigt, bei denen Studenten von Universitätsbeschäftigten belästigt werden.

Christina Stockfisch, Expertin für Gleichstellungsfragen in der Rechtssprechung beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) , fordert ebenfalls Gesetzesänderungen. "Wir wollen, dass nicht nur Einzelpersonen, sondern auch wir als Gewerkschaft Gerichtsverfahren bei Fällen von sexueller Belästigung gegen Arbeitgeber anstrengen können", fordert sie gegenüber der DW. "Bis jetzt können nur Einzelpersonen klagen."

Bildergalerie Diskriminierung
Bewusstsein schaffen, um vorzubeugen, fordert Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Bild: picture-alliance/dpa

"Klar hört man fiese Sachen"

Gesetze sind das eine - Arbeitsalltag und Unternehmenskultur können aber ganz anders sein, wenn es um das Problem sexueller Übergriffe geht.

Laura (Name geändert) hat zehn Jahre lang in einem besonders von Männern dominierten Beruf gearbeitet, als Pilotin einer der größten deutschen Fluglinien. Obwohl sie selbst nie sexuell belästigt wurde, kann sie sich an zahlreiche Gelegenheiten erinnern, wo Männer sie von oben herab behandelt haben. Etwa, wenn Passagiere spaßige Kommentare abgaben oder mit ihr zusammen fotografiert werden wollten, bloß weil sie eine junge Pilotin war.

Sie glaubt, dass ihr Status als Pilotin sie vor anzüglichen Bemerkungen männlicher Kollegen weitgehend geschützt hat. Trotzdem kann sie sich noch gut an die sexistische Art erinnern, mit der manche männliche Kollegen Crewmitglieder behandelt haben. "Man hört schon einiges an fiesen Sprüchen und zwar mit eindeutig sexuellen Anspielungen." Doch obwohl sie vieles gehört und gesehen hat, bei dem eindeutig Grenzen überschritten wurden, fand sie einige Kolleginnen auch etwas überempfindlich. "Manchmal dachte ich, dass die ein oder andere Bemerkung zu persönlich genommen wurde. Sie dachten: 'Ich bin in dieser Männer-Domäne und muss immer auf der Hut sein.' Ich finde, dass man manchmal vielleicht etwas zu angespannt ist."

Christine Lüders meint, dass vieles zu einfach 'als Missverständnis', als 'Flirtversuch' oder als 'Kompliment' heruntergespielt wird. Es gibt immer noch die Ansicht, dass Menschen, die Übergriffe melden, schwach oder überempfindlich sind. "Der Unterschied ist ganz klar", sagt sie. "Wenn sexuelles Verhalten ungewollt ist und die Würde des Opfers verletzt, dann ist es sexuelle Belästigung und nichts anderes. Studien haben unterstrichen, dass Männer und Frauen genau wissen, wo der Unterschied ist."

Bewusstsein schaffen, Tabus brechen

In einer Untersuchung aus dem Jahr 2015 hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes herausgefunden, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Frauen schon irgendeine Form von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz erlebt hat.

Ein anderes Ergebnis der Studie war, dass auch viele Männer betroffen sind. Sie werden etwa von Kollegen mit abfälligen, anzüglichen Kommentaren oder Macho-Sprüchen belästigt oder auch direkt bedroht - fast immer von männlichen Kollegen, so Lüders.

Für sie und für Christina Stockfisch muss noch viel in der deutschen Gesellschaft geschehen, um dem Problem entgegenzuwirken. Das vielleicht wichtigste sei es, ein geschärftes Bewusstsein bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu schaffen, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz klar zu benennen und möglichst schon im Vorfeld etwas dagegen zu tun. Außerdem müssten Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Rechte und Pflichten kennen, wenn es zu Übergriffen kommt.