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Droht ein Schisma innerhalb der katholischen Kirche in Polen?

12. September 2002

- Pater Rydzyk von Radio Maryja verfügt über ein eigenes Imperium und entzieht sich jeglicher Kontrolle der Kirche

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Warschau 12.9.2002, NEWSWEEK POLSKA, poln.

Es wird in diesem Zusammenhang sogar das Wort Schisma ausgesprochen. Ein zu starker Begriff? Die Auseinandersetzung zwischen Pater (Tadeusz – MD) Rydzyk (Radio Maryja) und Kardinal Jozef Glemp kann man jedoch nicht mehr als nur einen Machtkampf bezeichnen. Hier geht es um etwas viel, viel wichtigeres und der Einsatz ist enorm hoch. Hier handelt es sich nämlich um einen offenen und rücksichtlosen Kampf um die Seelenherrschaft, der über die Form der Kirche in Polen entscheiden wird.

Pater Rydzyk verkörpert eine Kirche voller Ängste und Frustrationen. Er selbst ist verschlossen und betrachtet die Welt mit Mistrauen (...). Primas Glemp hingegen sprach sich für eine Kirche aus, die von Polen und von dem sich vereinigenden Europa gebraucht wird. Solch eine Kirche möchte der Kardinal bauen.

Der Primas von Polen versuchte schon oft, die Aktivitäten des Paters aus Torun (Thorn) seiner Vision der Kirche anzupassen. Allerdings ohne Erfolg. Seit über zehn Jahren errichtet Pater Rydzyk seine eigene Kirche innerhalb der katholischen Kirche in Polen und ignoriert jegliche Forderungen, Belehrungen und Empfehlungen seiner Vorgesetzten von der kirchlichen Hierarchie. Als sich das Episkopat entschied, sich in der Politik nicht direkt zu engagieren, hat Priester Rydzyk die Partei Liga der Polnischen Familien ins Leben gerufen und in den Sejm gebracht. Als sich der Primas nach seiner Rückkehr aus Brüssel zwar mit Vorbehalten aber doch positiv über unsere Aufnahme in die EU äußerte, hat Priester Rydzyk verkündet, dass unser Beitritt zur EU eine weitere Teilung Polens bedeute (...).

Während der letzten zehn Jahren ist es Pater Rydzyk gelungen, ein eigenes Imperium zu gründen, in dem er der absolute Herrscher ist. Er ist außerdem der alleinige Führer seiner eigenen religiösen Gemeinschaft, die er aus Mitgliedern der katholischen Kirche in Polen gründete. Er ist Chefredakteur und Hauptideologe in seinem eigenen Medien- und Propaganda-Fürstentum. Sein Sender hat über vier Millionen Zuhörer. Er verfügt über eine unbeschränkte politische Macht im rechtsextremen Flügel und er kann nach eigenem Ermessen Politiker kreieren und vernichten, Koalitionen gründen und auflösen, politische Parteien in den Sejm bringen oder aus ihm entfernen. Außerdem ist er auch Finanzminister in einem autonomen Staat seiner Geschäfte und Finanzen, der sich jeglicher Kontrolle entzieht. Es weiß nämlich niemand, über welches Geld Pater Rydzyk wirklich verfügt und welche Einnahmen er durch die regelmäßigen Kollekten in Polen und im Ausland für "Radio Maryja" erzielt.

Am 1. September rief der Primas die Gläubigen der Diözese Warschau auf, den Warschauer Sender "Radio Jozef" zu unterstützen, anstatt den Sender "Radio Maryja" in Torun zu finanzieren. Auf diese Weise erhob sich der Kardinal gegen eine wirkliche Macht und erklärte ihr den Krieg, den er aber durchaus verlieren kann, obwohl er an der Spitze einer Institution steht, die über einen gigantischen Einfluss in Polen verfügt und sich auf eine über tausend jährige Tradition stützen kann. Der Leiter von "Radio Maryja" ging bisher aus allen Konfliktsituationen als Sieger hervor und wurde durch jeden Sieg stärker. (...)

Bischof Tadeusz Pieronek bezeichnete Pater Rydzyk "als den Lepper der polnischen Kirche" und das nicht ohne Grund: Der Direktor des Senders "Radio Maryja" stellt nämlich dieselbe Gefahr für die polnische Kirche dar wie Andrzej Lepper, der Anführer der Partei Selbstverteidigung, für die polnische Demokratie. Auch die Lager der beiden charismatischen Anführer sind sich ähnlich. Zu ihnen gehören vor allem Menschen, die von der Situation in Polen sehr enttäuscht sind und die die komplizierten Mechanismen nicht verstehen, die die Welt im 20. und 21. Jahrhundert bestimmen. Sie alle träumen von einem starken Anführer, einem Vater des Volkes, der die Ordnung wiederherstellt und alle Liberalen und Reformatoren aus Polen verbannt. Sie träumen von einem Anführer, der das Wertesystem wiederherstellen und der zum Sieg der sozialen Gerechtigkeit beitragen kann.

Aus den Untersuchungen des Hauptamtes für Statistik (CBOS) geht hervor, dass die zahlreichste Gruppe der Zuhörer von "Radio Maryja" Menschen ab dem 50. Lebensjahr bilden, die in Dörfern oder in Kleinstädten wohnen und einen Grund- oder Berufschulabschluss haben. Sowohl Pater Rydzyk als auch Andrzej Lepper veranstalten Treffen mit den enttäuschten und frustrierten Menschen in ganz Polen. (...)

Die in der heutigen Welt verlorenen Versager, die arm und ungebildet sind, machen den Kern des Lagers von "Radio Maryja" aus. Sie dürfen jedoch nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Das ist eine außerordentlich aktive und disziplinierte Gruppe der polnischen Katholiken, die sich am leichtesten führen lässt. Diese Leute sind bereit, auf die Stimme ihrer religiösen Anführer zu hören und zwar nicht nur bezüglich des Glaubens, sondern auch bei allen anderen Angelegenheiten. Es reicht aus, dass der Sender "Radio Maryja" seine Unterstützung für einen bestimmten Politiker vor den Wahlen ausspricht und es gibt sofort in den Wahlurnen viele Stimmen für diesen einen Politiker. Bei den Wahlen 1997 bekam Maria Smereczynska von (...) der Partei Wahlaktion Solidarnosc (AWS) mehr Stimmen als die bekanntesten Politiker in Warschau (...), weil sie durch Pater Rydzyk unterstützt wurde. Am 2. September bei einem Treffens mit Pater Rydzyk (...) in Stettin küssten alle, die die Ehre hatten, den Pater–Direktor persönlich kennen zu lernen, seine Hand und blickten zu ihm mit Bewunderung auf.

Auf solch eine Armee der Gläubigen kann sich Pater Rydzyk immer verlassen. Als er 1997 von der Staatsanwaltschaft eine Vorladung bezüglich der Ermittlungen wegen Beleidigung von Politikern bekam, sind die Anhänger des Priesters in ganz Polen auf die Straßen gegangen.(...) Unter den Zuhörern von "Radio Maryja" machte sich Hysterie breit und der geliebte Pater-Direktor wurde mit dem durch die Kommunisten in der Zeit des Stalinismus verhafteten Kardinal Wyszynski verglichen.

Primas Glemp kann sich aber auf solch eine disziplinierte und wirksame Armee der Gläubigen bei dem Konflikt um die Gestaltung der polnischen Kirche nicht verlassen. Mehr noch: Sein Kontrahent verfügt über starke Anhänger innerhalb des Episkopats. Damit kann man nämlich die vielen gescheiterten Versuche erklären, Pater Rydzyk der kirchlichen Hierarchie unterzuordnen. (...)

Die Armee der Zuhörer von "Radio Maryja", der fast fünf Millionen Menschen angehören, bildet nicht nur die geistige Macht Pater Rydzyks. Sie ist außerdem auch die Geldquelle für sein finanzielles Imperium. Niemand weiß genau, wie viel Geld die Kollekten bringen. Es muss sich jedoch um einen großen Betrag handeln, wenn das Geld dazu ausreicht, einen gesamtpolnischen Radiosender ohne Werbung und viele Satellitenübertragungen zu finanzieren sowie andere politische und propagandistische Aktivitäten und viele Verlagsprojekte zu starten. Der Sender in Torun wurde zur Hauptstadt eines mächtigen Wirtschaft- und Finanzimperiums (...)

Das Ausmaß der Aktivitäten und die Erfolge von "Radio Maryja" werden im Vergleich zu der medialen Armut der offiziellen Kirche besonders sichtbar. Wie kann man aber um die Seelelen kämpfen, wenn man keine Medien zur Verfügung hat?

Kardinal Glemp erlebt in Bezug auf die Medien eine Niederlage nach der anderen. Aufgrund des Geldmangels wurde die Herausgabe der ihm nahe stehenden katholischen Zeitschriften "Dziennik Katolicki" und "Przeglad Katolicki" eingestellt. Für die Tätigkeit des Senders "Radio Jozef" sind mehrere Tausend Zloty im Monat notwendig. Die Einnahmen aus der Werbung sind aber sehr gering und der Sender "Radio Jozef" leidet unter akutem Geldmangel. (Sta)