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Eine Stadt zwischen Gedenken und Protest

14. Februar 2012

Rechtsextremisten missbrauchen seit Jahren das Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Februar 1945. Die Gegendemonstration verlief 2011 gewalttätig. Doch die Stadt scheint aus den Fehlern gelernt zu haben.

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Ein Teilnehmer des Neonazi-Aufmarsches am 67. Jahrestag des alliierten Bombenangriffs auf Dresden vom 13. Februar 1945 hält eine Fahne in der Hand. Polizisten beoabachten die Szene. (Foto: Jens Schlüter / dapd)
Bild: dapd

"Trauermarsch" nennen die Neonazis ihre mittlerweile traditionelle Kundgebung, zu der im vergangenen Jahr mehr als 6000 Teilnehmer nach Dresden gekommen waren. Damals mündete das gespenstische Spektakel mit Fackeln und Trommeln in eine Gewaltorgie, als sich Rechte und Linke in die Quere kamen und die Polizei zwischen die Fronten geriet. Dieses Mal blieb der braune Spuk weitgehend friedlich. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich rund 1600 Rechtsextremisten an dem Aufmarsch. Ihnen standen rund dreimal so viele Polizisten und mehrere tausend Demonstranten gegenüber.

Weiße Nelken für die Opfer von Krieg und Verbrechen

Die Hoffnung auf ein stilles Gedenken an die Opfer der Bombardierung Dresdens vor 67 Jahren und die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland scheint sich langsam zu erfüllen. "Wir lassen nicht zu, dass das Gedenken missbraucht wird. Rechtsextremisten wollen wir hier nicht", hatte Bürgermeister Dirk Hilbert schon am Nachmittag bei der offiziellen Gedenkfeier auf dem Heidefriedhof gesagt. Dort liegen viele der mehr als 20.000 Todesopfer der Bombardierung Dresdens. Hunderte weiße Nelken legten die Trauernden nieder, unter ihnen Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. An seiner Seite US-Generalkonsul Mark Powell und Vertreter der britischen Botschaft. Bomber aus ihren Ländern waren es, die am 13. und 14. Februar 1945 innerhalb weniger Stunden das barocke Stadtbild Dresdens und mit ihm viele Menschenleben auslöschten.

Ein Kind entzündet eine Kerze und stellt sie als Zeichen der Versöhnung zu tausenden weiteren Kerzen, die vor der Frauenkirche zu sehen sind. (Foto:Jens Meyer/AP/dapd)
Kerzen gegen das VergessenBild: AP

Trauerndes Mädchen am Tränenmeer

Dass die Zerstörung ihrer Stadt Folge des von Nazi-Deutschland in die Welt getragenen Krieges war, darüber sind sich die Dresdner im Klaren. Auf dem Heidefriedhof ist diese Einsicht gleichermaßen sichtbar und spürbar. Viele Ältere, die das Flammen-Inferno vor 67 Jahren überlebt haben, stehen neben jungen Teilnehmern der Zeremonie. Sie versammeln sich vor der 2010 von Malgorzata Chodakowska geschaffenen Bronze-Figur "Trauerndes Mädchen am Tränenmeer". Das zierliche Mahn- und Denkmal verdankt Dresden einer Tochter der Stadt, die als neunjähriges Kind die Bombardierung erlebte. In ihrem Testament stiftete Helga Petzold einen fünfstelligen Betrag für das Kunstwerk.

Von der Skulptur sind es nur wenige hundert Meter zur Feuerschale, die von 14 Stelen umgeben ist. Auf ihnen stehen die Namen von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Städten, Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie Nazi-Massakern. Dresden und Warschau gehören ebenso zum Stelen-Kreis wie Theresienstadt und Auschwitz oder Lidice. Orte des Schreckens, des Todes, des sinnlosen Krieges. Ihrer gemeinsam zu gedenken, ohne Schuld und Verantwortung zu relativieren, darauf kommt es den Dresdnern und ihren aus ganz Deutschland angereisten Gästen an.

Tausende Kundgebungsteilnehmer halten sich an den Händen und bilden am Jahrestag der Bombardiuerung Dresdens eine Menschenkette. (Foto:Jens Meyer/AP/dapd)
Hand in Hand gedenken tausende Menschen der Bombardierung Dresdens vor 67 JahrenBild: dapd

Menschenkette und Glockengeläut

Was sich auf dem Heidefriedhof fast im Verborgenen ereignet, findet seine beeindruckende Fortsetzung im historischen Zentrum Dresdens. Wie in den vergangenen Jahren versammeln sich weit mehr als 10.000 Menschen, um eine symbolische Menschenkette gegen Neonazis zu bilden. Als um 18 Uhr in der ganzen Stadt die Glocken läuten, fassen sich alle für zehn Minuten an den Händen. Vor der Frauenkirche, dem aus Trümmern wieder aufgebauten Wahrzeichen Dresdens, brennen tausende Kerzen. "Brücken bauen - Versöhnung leben" steht auf den Transparenten der Fördergesellschaft Frauenkirche, von der die Idee zu diesem Lichtermeer stammt.

Wer an diesem 13. Februar in Dresden ist, spürt an jeder Ecke, wie sehr die Menschen mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Stadt und um eine nazifreie Zukunft ringen. Dass Rechtsextremisten mit ihren Aufmärschen seit den späten 1990er Jahren das Gedenken stören und das Image der Stadt beschädigen, nimmt das offizielle Dresden, aber auch die Zivilgesellschaft längst nicht mehr hilflos hin. Mit ihrem ebenso stillen wie machtvollen Gedenken an die Opfer und dem friedlichen Protest gegen die Neonazis scheint die Stadt einen Weg aus dem Dilemma gefunden zu haben, in das sie 2011 geraten war.

Demonstranten "allzu schnell kriminalisiert"

Vor einem Jahr war es am 13. Februar zu Krawallen gekommen, als die Polizei Sitzblockaden auflöste, mit denen Demonstranten den "Trauermarsch" der Rechtsextremisten verhindern wollten. Mit den Folgen befasst sich noch immer die Justiz, weil eine Sitzblockade in Sachsen als Straftat bewertet wird. Der frühere deutsche Innenminister Gerhart Baum hat damit erhebliche Probleme. Er habe den Eindruck, in Dresden würden friedliche Demonstranten "allzu schnell kriminalisiert", sagte der Freidemokrat am Sonntag bei einer Veranstaltung im Schauspielhaus. Baum stammt aus Dresden; bei der Bombardierung seiner Heimatstadt 1945 war er zwölf Jahre alt.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Stephan Stickelmann