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Drei Jahre Gewalt und Terror in Nahost

Peter Philipp29. September 2003

36 Monate dauert jetzt die "Al Aqsa Intifada" der Palästinenser in Israel. Trotz internationaler Bemühungen um Beilegung eskaliert der Konflikt weiter. Wie kam es zu dieser Entwicklung? Ein Hintergrund von Peter Philipp.

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Intifada-Plakat in BeirutBild: AP

Über das genaue Datum und den genauen Anlass gibt es unterschiedliche Auffassungen. Zum Ausbruch der so genannten "Al Aqsa Intifada" trug aber ohne jeden Zweifel bei, dass der damalige israelische Oppositionsführer und heutige Ministerpräsident, Ariel Scharon, am 28. September 2000 demonstrativ den Ostjerusalemer Tempelberg besuchte. Dieser Ort, auf dem einst der Jüdische Tempel gestanden haben soll, ist nicht nur Juden heilig, sondern auch Muslimen, weil dort der Felsendom steht und die "Al Aqsa"-Moschee - das drittwichtigste Heiligtum nach Mekka und Medina.

Der Besuch eines israelischen Politikers - noch dazu eines Nationalisten wie Scharon - musste unter den Palästinensern böses Blut machen, bei denen sich in den sieben Jahren seit Unterzeichnung der Oslo-Verträge ohnehin viel Verbitterung angestaut hatte. Vieles von dem, was in Oslo vereinbart worden war, war in der Zwischenzeit verdrängt, vergessen oder gescheitert. Und Versuche, mit Hilfe des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton den Friedensprozess durch Verhandlungen zwischen PLO-Chef Yasser Arafat und dem damaligen israelischen Regierungschef Ehud Barak zu retten, waren nur wenige Wochen zuvor fehlgeschlagen.

Der Strohhalm und das Kamel

Um in nahöstlicher Terminologie zu sprechen: Der Besuch Scharons auf dem Tempelberg erschien für viele als "der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach". Und das, obwohl eine internationale Untersuchung später feststellte, dass die Ursachen für die Intifada durchaus weiter gefächert waren. Und das, obwohl Israel unbeirrt an der These festhält, Arafat habe die Intifada selbst in Gang gesetzt, um internationalen Druck auf Israel zu erzeugen, das seiner Meinung nach in Camp David nicht genug Konzessionen angeboten hatte.

Die Eskalation kam ebenso überraschend wie heftig: Wie in der ersten Intifada von 1997/1998 zogen palästinensische Demonstranten auf israelische Militärsperren los, bewarfen sie mit Steinen - und bald fielen die ersten Schüsse und es gab Tote und Verletzte. Im Gegensatz zur ersten Intifada wurden aber sehr bald auf beiden Seiten Waffen eingesetzt. Denn es gab ja inzwischen bewaffnete palästinensische Polizisten und auch zahlreiche andere, die aufgrund der Oslo-Verträge von Amts wegen Waffen trugen in den palästinensischen Gebieten.

Israel reagierte - militärisch

Nachdem in Ramallah zwei Soldaten in einer Polizeistation vom Mob gelyncht worden waren, reagierte Israel mit militärischer Härte: Polizeistationen und andere Einrichtungen der palästinensischen Autonomieverwaltung wurden gezielt angegriffen. Und mit der Zeit wurde die gesamte Infrastruktur dieser Verwaltung zerschlagen - vom Flughafen in El Arish bis hin zum Hauptquartier Yasser Arafats in Ramallah, der "Muqattah". Hierbei erwies es sich als Nachteil, dass mit Ehud Barak - wieder einmal - ein Militär die Regierungsgeschäfte in Israel leitete: Obwohl selbst konziliant und friedfertig auftretend, fiel Barak nichts anderes ein, als massive militärische Macht einzusetzen und die gesamte palästinensische Bevölkerung mit Sperrungen, Ausgehverboten und unzähligen anderen, noch weitaus härteren Maßnahmen zu bestrafen.

Wenn Arafat gehofft haben sollte, internationaler Druck würde Israel nun zu Konzessionen zwingen, so hatte er sich getäuscht: Das Ausland blieb - bis auf gelegentliche Vermittlungsversuche, auch des deutschen Bundesaußenministers Joschka Fischer - weitgehend taten-, auf jeden Fall aber machtlos. Und Israelis wie Palästinenser gerieten immer tiefer in die schlimmste Krise, die sie in ihrer Geschichte je erlebt haben, die Nahost-Kriege eingeschlossen.

Ehud Barak musste Neuwahlen ankündigen und im Frühjahr 2001 wurde Ariel Scharon gewählt. Für viele ein sicheres Zeichen, dass die Dinge sich nun rapide verschlechtern würden. Nur einige wenige hofften, dass der für seine extremen Positionen bekannte Premier nun vielleicht doch ein Umdenken bei den Palästinensern auslösen könnte - so, wie es einst unter Menachem Begin geschehen war, der immerhin den ersten Friedensvertrag mit einem arabischen Staat - Ägypten - schließen konnte.

Die Pessimisten behielten Recht: Scharon begann sehr früh, große Teile der bereits geräumten palästinensischen Gebiete wieder zu besetzen. Er machte sich vor allem aber daran, seinen Widersacher Arafat systematisch "abzubauen": Zunächst erklärte er ihn für "irrelevant", dann ließ er sein Hauptquartier in Schutt und Asche legen. Und wenn nicht wenigstens etwas Druck aus Washington gekommen wäre, dann hätte Scharon sicher längst nachgeholt, was er im Libanonkrieg bedauernd unterlassen hatte: Arafat umzubringen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Hamas zunehmend gefährlicher wurde und wie es um die Chancen einer friedlichen Lösung des Konfliktes steht.

Erstarkung der Islamisten

Auf palästinensischer Seite erstarkten die islamistischen Gruppen "Hamas" und "Islamischer Jihad", die nie ein Hehl daraus gemacht hatten, dass sie gegen jeden Frieden mit Israel sind, weil sie diesen Staat grundsätzlich nicht akzeptieren. Beide Gruppen wurden führende Kraft in einer langen Reihe immer blutigerer Terroranschläge auf israelische Zivilisten. Arafat tat nichts gegen diese Entwicklung, er ließ sogar zu, dass seine eigene "Fatah-Jugendbewehung, die "Tanzim", sich an Gewalttaten beteiligte. Schließlich entstanden hieraus die "Al Aqsa-Brigaden" - zusammen mit "Hamas" und "Islamischem Jihad" die wichtigsten Gruppen hinter den Terroranschlägen.

Israel und noch mehr die palästinensischen Gebiete wurden durch die Intifada in eine beispiellose wirtschaftliche Misere gestürzt - ganz abgesehen davon, dass Tausende von Palästinensern und fast Tausend Israelis bei den Anschlägen und anderen Auseinandersetzungen umkamen. Und längst ist man sich auf beiden Seiten im Klaren darüber, dass diese Entwicklung gebremst werden müsse.

Frieden aus eigener Kraft?!

Aus eigener Kraft waren - und sind - beide Seiten offenbar dazu nicht in der Lage. So kam es denn wie gerufen, dass der zunächst abstinente US-Präsident George W. Bush sich im Anschluss an den Irak-Krieg entschloss, nun doch Friedensbemühungen in Nahost zu unterstützen. Er propagierte hierbei die international empfohlene "road map" als gangbaren Weg zu einem Frieden. Aber der inzwischen von Arafat auf amerikanischen Druck hin benannte Ministerpräsident Mahmoud Abbas hatte keinen Erfolg: Er hätte sich gegen die Radikalen durchsetzen müssen, dazu aber gab Arafat ihm nicht ausreichend Rückendeckung. Abbas trat zurück, nachdem eine kurze Waffenruhe gescheitert war und der Kreislauf der Gewalt setzte wieder voll ein.

Drei Jahre nach dem Beginn dieser Intifada ist deswegen kein Ende abzusehen und kein vernünftiges Lösungskonzept. Immer mehr macht diese Intifada den Eindruck, als seien hier zwei alte Todfeinde - Scharon und Arafat - wie kämpfende Hunde ineinander verbissen. Es scheint unmöglich, sie voneinander zu trennen, bevor nicht einer von ihnen aufgibt. Und je länger dieser Zustand andauert, desto geringer scheint das Ausland ein Interesse zu haben, sich mit Schlichtungsversuchen einzuschalten. Schlichtung wird nur mit Zustimmung beider Seiten Erfolg haben - die aber gibt es bisher nicht.