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Versorgungsnotstand droht

8. Januar 2009

In den 90er Jahren sind viele Ärzte aus Rumänien abgewandert, zumeist in den Westen. Die Folge ist ein alarmierender Ärztemangel. Die Regierung hat bereits Maßnahmen ergriffen – bisher ohne Erfolg.

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Akuter Fachärztemangel an rumänischen KrankenhäusernBild: Bilderbox

Mindestens zwei Millionen Rumänen arbeiten im westeuropäischen Ausland, weil sie dort besser verdienen und bessere Arbeitsbedingungen haben. Rumänische Ärzte bilden da keine Ausnahme. Tausende Mediziner sind in den letzten Jahren ausgewandert, um in Westeuropa zu arbeiten, ­vor allem in Deutschland. Denn in Rumänien verdient ein Arzt im Schnitt nur 450 Euro monatlich, während er in Westeuropa leicht das Fünf- bis Zehnfache bekommt und dazu noch mit modernerer Technik arbeitet. Im rumänischen Gesundheitsministerium klingeln inzwischen die Alarmglocken – so akut ist der Ärztemangel. Doch Maßnahmen, wie deutliche Gehaltserhöhungen, haben bisher nicht geholfen, die Ärzte zurückzuholen.

Dauerdienst im Krankheitsfall

Die Kleinstadt Miercurea Ciuc liegt im ostsiebenbürgischen Szeklerland. Hier leben überwiegend Angehörige der ungarischen Minderheit. Im Kreiskrankenhaus untersucht der Hals-Nasen-Ohren-Arzt István Fodor ein Kind, das auf einem Ohr nichts mehr hört. Es ist neun Uhr morgens. Fodor ist seit sieben Uhr im Behandlungszimmer. Er wird noch bis achtzehn Uhr bleiben, dann beginnen die Hausbesuche. Alles in allem hat der 43jährige Fodor heute einen 15-Stunden-Tag. Für ihn nichts Ungewöhnliches: „In meinem Fachbereich sind wir drei Ärzte in der Stadt.“ Dies entspreche fast der Norm. Er und seine beiden Kollegen seien zuständig für rund hunderttausend Einwohner aus der Stadt und aus dem Umland. Es sei sehr schwierig, weil sie eine sehr lange Arbeitszeit hätten. „Und wenn mal einer von uns krank ist, sind die beiden anderen im Dauerdienst“, so Fodor.

Selbstgemachter Ärztemangel

Tatsächlich steht István Fodor im Vergleich zu vielen Kollegen nicht am schlechtesten da. In Rumänien sind Tausende von Ärzteplanstellen unbesetzt, in manchen Gegenden gibt es für bestimmte Krankheiten nicht einen einzigen Spezialisten. Ärztemangel herrscht im Land seit vielen Jahren. In jüngster Zeit jedoch hat er drastisch zugenommen. Inzwischen ist es so gravierend, dass man im Bukarester Gesundheitsministerium unkonventionelle Ideen entwickelt. Kürzlich wurde erwogen, so heißt es, chinesische Ärzte zu importieren. Der Personalmangel verwundert nicht: Korruption, mangelhafte Infrastruktur und Ausrüstung, schlechte Bezahlung – diese Markenzeichen des rumänischen Gesundheitswesens haben viele junge Ärzte ins westliche Ausland getrieben, vor allem nach Deutschland.

Kliniken halb besetzt

Um der Ärzteflucht entgegenzuwirken, ließ das Gesundheitsministerium im Sommer 2008 die Medizinergehälter im öffentlichen Dienst um bis zu 50 Prozent anheben. Zurückgelockt nach Rumänien hat das jedoch kaum einen Arzt. Auch Gyöngyi Tarr wartet sehnlichst auf Rückkehrer. Die 42jährige Internistin ist Direktorin des Kreisgesundheitsamtes in Miercurea Ciuc. Wenn sie durch das Krankenhaus geht und mit Kollegen spricht, hört sie vor allem Klagen über die hohe Arbeitsbelastung. Kein Wunder – der Kreis Harghita ist innerhalb Rumäniens mit am stärksten vom Ärztemangel betroffen. Wer Fremdsprachen beherrscht, ging nach der Wende 1990 in den Westen, wer nur die Minderheitensprache Ungarisch konnte, ging nach Ungarn. „Beide Gruppen wanderten also ab. Zurzeit fehlt uns knapp die Hälfte aller Ärzte. Von 450 Planstellen sind 220 unbesetzt. Das heißt praktisch, dass diejenigen, die angestellt sind, doppelt arbeiten“, so Tarr.

Wenig Hoffnung auf Rückkehrer

Der akuteste Ärztemangel im Kreis bestehe in der Not- und Unfallmedizin, sagt Gyöngyi Tarr. Aber auch Röntgen- und Lungenärzte gebe es nur einige wenige, in der Onkologie arbeite nur ein einziger Arzt im ganzen Kreis. Und um einen Neurochirurgen zu konsultieren, müssten Patienten 150 Kilometer weit fahren – zum nächsten Universitätsklinikum. Gyöngyi Tarr hat in den letzten Monaten durch Interviews mit der ungarischen Presse bereits mehrfach Hilferufe an Rückkehrwillige ausgesandt – immerhin mit ein wenig Erfolg. „Es gibt ein paar Ärzte, die zu uns in den Kreis zurückgekehrt sind. Ich hoffe, dass das ein Anfang ist. Aber ob sie bleiben und ob es ihnen nicht leid tun wird, dass sie zurückgekommen sind, hängt von denen ab, die in Rumänien die Gesundheitspolitik formulieren.“

Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt István Fodor hat noch von keinem Rückkehrer gehört. Er weiß nur, wie viele Kollegen Rumänien verlassen haben. „Ich war 1990 fertig mit dem Studium. Sechzig Prozent der Leute aus meinem Jahrgang sind weggegangen, nach Ungarn oder weiter in den Westen.“

Keno Verseck