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Dosierter Druck

Bernd Johann3. April 2002

Die USA haben zugesagte Finanzhilfen an Jugoslawien eingefroren - die Regierung in Belgrad arbeite unzureichend mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammen. Ein Kommentar von Bernd Johann.

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Wieder einmal soll Belgrad mit massivem diplomatischen Druck ultimativ zur Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher an das Tribunal in Den Haag gezwungen werden. Wieder einmal haben sich die Kontrahenten Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic um die Frage der Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal in einen erbitterten innenpolitischen Richtungskampf verstrickt. Und wieder einmal muss in erster Linie die Bevölkerung in Serbien die Konsequenzen fürchten: Finanzielle Unterstützung, um die darniederliegende serbische Wirtschaft wieder auf die Beine zu stellen, ist dringend vonnöten.

Doch wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft Belgrads bleiben bereits zugesagte US-Finanzhilfen in Höhe von 40 Millionen Dollar eingefroren. Schlimmer noch: Weitere Hilfen in dreistelliger Millionenhöhe von Weltbank und Weltwährungsfonds, über die bereits verhandelt wurde, sind ebenfalls von einem US-Veto gefährdet.

Vor genau einem Jahr hatte sich schon einmal ein ähnliches Drama vollzogen. Doch damals gab es ein spektakuläres Ende: Nach Drohungen der US-Regierung hatte sich der serbische Ministerpräsident Djindjic in letzter Sekunde zu einem mutigen Schritt durchgerungen. Auf seine Weisung wurde Ex-Präsident Slobodan Milosevic verhaftet und wenige Wochen später an das Tribunal in Den Haag überstellt. Doch seitdem hat es keine Auslieferungen mutmaßlicher serbischer Kriegsverbrecher mehr gegeben. Noch immer fehlen dafür gesetzliche Grundlagen.

Vor allem aber fehlt ganz offensichtlich die Bereitschaft zu umfassender Zusammenarbeit mit dem Haager Gericht: Jugoslawiens Präsident Kostunica tönte in der vergangen Woche im staatlichen Fernsehen, er habe - so wörtlich - die "Nase voll" vom Tribunal und von den "US-Erpressungen". Der Prozess gegen Milosevic im Haag wurde im serbischen Fernsehen zum Quotenerfolg. Und: die öffentliche Meinung in Serbien lehnt mehrheitlich nach wie vor das Tribunal ab.

Jugoslawiens Präsident Kostunica ist dabei derjenige, der von dieser Entwicklung am meisten politisch profitiert. Seine Demokratische Partei Serbiens ist längst zu einem Auffangbecken einstiger Milosevic-Anhänger geworden. Tausende von Sozialisten haben inzwischen das Parteibuch gewechselt. Kostunicas nationalistische Parolen finden nicht nur Anklang, sie sind Kalkül in seinem Machtkampf mit Zoran Djindjic. Denn bleiben westliche Finanzhilfen tatsächlich aus, wird sich die ökonomische Lage in Serbien verschärfen. Und damit wachsen die Probleme für Djindjic. Der serbische Premier will Veränderungen durchsetzen. Er hat dem Volk wirtschaftliche Erfolge versprochen. Doch er braucht die finanzielle Unterstützung aus dem Westen, um soziale Härten der Reformpolitik abzumildern.

Die jüngsten Entwicklungen bringen damit Djindjic in Zugzwang. Er könnte wie im vergangenen Jahr versuchen, die Verhaftung und Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher in einer Nacht- und Nebelaktion vorzunehmen, um die Auszahlung von Finanzhilfen zu erreichen. Das würde jedoch vermutlich zu einer erheblichen Zuspitzung der Konfrontation in Belgrad führen. Kostunica lässt keine Gelegenheit aus, die pro-westliche Politik Djindjics als Verrat an der serbischen Sache darzustellen. Putschgerüchte machten in den vergangen Wochen bereits die Runde. Der militärische Geheimdienst demonstrierte Stärke: Die umstrittene vorübergehende Festnahme eines US-Diplomaten, der im Auftrag der US-Regierung Belastungsmaterial für das Haager Tribunal zusammgestellt haben soll, war ein krasser Affront gegen die Regierung Djindjic.

Der Streit um die Verknüpfung von Finanzhilfen an eine umfassende Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal macht allerdings noch etwas anderes deutlich: Viele in Jugoslawien weichen noch immer der Auseinandersetzung um die eigene Vergangenheit aus. Das Thema Kriegsverbrechen wird von großen Teilen der Politik und Öffentlichkeit verdrängt, die eigenen Verantwortung dafür mitunter sogar verleugnet. Das Beunruhigende daran ist: Nationalisten wie Präsident Kostunica gelingt es, daraus Profit zu schlagen. Weiterer Druck aus Washington ist vor diesem Hintergrund notwendig - aber er muss wohl dosiert bleiben.