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Justiz auf dem Balkan

4. September 2008

Kriminelle in Bosnien, Kroatien und Serbien können leicht ihrer Strafe entgehen, wenn sie eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Der Grund: Es fehlen Auslieferungsabkommen.

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Kein Auslieferungsabkommen zwischen Bosnien, Kroatien, SerbienBild: AP

Die Erkenntnis ist niederschmetternd, dass Bürger mit einer doppelten Staatsbürgerschaft in einem Land gegen das Gesetz verstoßen können, dann nur über die Grenze zu gehen brauchen und von Strafverfolgung verschont bleiben. Der jüngste über Medien bekannt gewordene Fall eines solchen Missbrauchs der doppelten Staatsbürgerschaft ist der des bekannten Herzchirurgen Ognjen Simic aus dem kroatischen Rijeka. Ein Gericht in Kroatien hatte ihn im August zu neun Jahren Haft wegen Korruption verurteilt. Simic setzte sich daraufhin nach Bosnien-Herzegowina ab, weil er wusste, dass die Gerichte dieses Landes ihn nicht an Kroatien ausliefern würden.

Die Deutsche Welle fragte den bekannten bosnisch-herzegowinischen Rechtsanwalt Fahriju Karkina, was er in einem solchen Fall einem Mandanten mit doppelter Staatsbürgerschaft empfehlen würde. „Aufgabe eines Rechtsanwalts ist es, die Lage seines Mandanten zu verbessern, mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln. Ein legales Mittel ist, wenn er die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, ins andere Land zu gehen“, meinte Karkin.

Grenzgänger auf allen Seiten

Der Skandal um Simic ist kein Einzelfall. Gut in Erinnerung ist auch der Fall Ante Jelavic. Der ehemalige Vorsitzende der bosnisch-herzegowinischen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) war in Bosnien-Herzegowina zu zehn Jahren Haft wegen Amtsmissbrauch und Unterschlagung verurteilt worden. Daraufhin fand er Unterschlupf in Kroatien. Ahmed Zilic, Fachmann für internationales Recht, weist darauf hin, dass auch Staatsbürger von Bosnien-Herzegowina, die zugleich die serbische Staatsbürgerschaft hätten, im Falle einer Strafverfolgung nach Serbien ausweichen könnten.

Das Problem sind fehlende Auslieferungsabkommen zwischen den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Der Rechtsberater des bosniakischen Mitglieds der Präsidentschaft, Damir Arnaut, sagte der Deutschen Welle, Bosnien-Herzegowina habe Kroatien schon früher ein Auslieferungsabkommen angeboten. „Die kroatische Regierung hat ein solches Abkommen aber abgelehnt, weil sie die Verfassung deswegen nicht ändern möchte“, erläuterte Arnaut. „Es gibt indes mindestens fünf Personen, die in Bosnien-Herzegowina strafrechtlich verurteilt wurden und in Kroatien Unterschlupf gefunden haben, weil sie auch die kroatische Staatsbürgerschaft haben“, betonte Arnaut.

Lösung erst durch EU-Integration?

Die befragten Fachleute, darunter auch der stellvertretende Justizminister von Bosnien-Herzegowina, Nikola Sladoje, sehen keine rasche Lösung für das Problem. „Bei den EU-Mitgliedstaaten ist diese Frage durch einen europäischen Haftbefehl geregelt, und da gibt es keine Probleme. Offenbar wird dieses Problem auch gelöst, wenn wir Mitglied der EU werden“, meint Nikola Sladoje. In Anbetracht des Tempos der europäischen Integration der Region werden die Bürger in Bosnien, Kroatien und Serbien wohl noch eine Weile auf die Harmonisierung der Gesetze und Verfassungen nach internationalem Recht warten.

Samir Huseinovic