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Doppeldeutige Irak-Bilanz

8. Oktober 2004

Vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl hat der oberste Waffeninspekteur der USA das Hauptargument von George W. Bush für den Irak-Krieg widerlegt: Der Irak hatte zu Kriegsbeginn keine Massenvernichtungswaffen mehr.

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Was ist in den Fässern?Bild: AP


Das Regime von Saddam Hussein war zu Beginn des Irak-Krieges nicht im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Zu diesem Schluss kommt ein mehr als 1000 Seiten umfassender Bericht des obersten US-Waffeninspekteurs Charles Duelfer, den er am 6. Oktober in Washington dem Streitkräfteausschuss des Senats vorlegte. Allerdings habe Saddam Hussein den Ehrgeiz nie aufgegeben, die Waffenprogramme wieder aufzunehmen, sagte Duelfer vor dem Streitkräfteausschuss des Senats. Eine echte Bedrohung durch solche Waffen - wie von den amerikanischen Geheimdiensten im Vorfeld des Krieges behauptet - habe aber nicht bestanden.

"Atemberaubende" Ergebnisse

Der Irak hat offenbar nach dem Golfkrieg 1991 die meisten seiner chemischen und biologischen Waffen zerstört, das Atomprogramm des Landes sei nach und nach "verrottet". Zu Beginn der US-Angriffe im März 2003 hatte der Irak weder Lager mit chemischen und biologischen Kampfstoffen noch ein ernst zu nehmendes Atomwaffenprogramm, heißt es im Bericht des US-Waffeninspekteurs. Auch habe es keine Programme zu deren Herstellung gegeben. Eine unmittelbare Bedrohung durch Saddam Hussein habe demzufolge nicht bestanden – höchstens erst in einigen Jahren. Der demokratische Senator Carl Levin nannte die Aussagen Duelfers "atemberaubend". Sie bedeuteten nichts anderes, als "dass die beiden Hauptargumente der Regierung für den Krieg gegen den Irak falsch waren", sagte Levin.

Saddam Husseins geheime Pläne

Saddam Hussein sei bestrebt gewesen, die Produktion von Massenvernichtungswaffen wieder aufzunehmen, denn er sei fest davon überzeugt gewesen, dass er mit diesen Waffen sein Regime aufrechterhalten könne. Er habe dafür aber nicht genügend Geld gehabt, heißt es im Bericht. Erst nach einer Aufhebung der UN-Sanktionen und einer Wiederherstellung der irakischen Wirtschaft hätte er dieses Ziel verfolgen können.

Vorsorglich habe Saddam Hussein Atomwissenschaftlern die Ausreise verboten und sie in anderen Ministerien "geparkt", um sie später wieder zu aktivieren. "Das Leitmotiv war, die über Jahre erworbene intellektuelle Kapazität zu erhalten, und in möglichst kurzer Zeit wieder zu produzieren", schreibt Duelfer. Saddam habe versucht, im Ausland Unterstützung für die Aufhebung der Irak-Sanktionen mit billig angebotenem Erdöl zu erkaufen. In irakischen Dokumenten genannt werden Menschen und Interessengruppen u.a. aus Russland, Frankreich und China. Außerdem habe er Geld aus dem Öl-für-Lebensmittel-Programm illegal abgezweigt und verbotenes Material importiert.

Auslegungssache

US-Präsident George W. Bush verteidigte den Irak-Krieg. Die USA hätten nach den Terroranschlägen geprüft, wo Terroristen Massenvernichtungswaffen bekommen könnten. "Ein Regime tauchte immer wieder auf: die Diktatur von Saddam Hussein", sagte Bush bei einem Wahlkampfauftritt in Wildes-Barre (Pennsylvania). Auch nach Ansicht des britischen Premierministers Tony Blair war der Feldzug gegen Saddam Hussein gerechtfertigt. Der Bericht Duelfers zeige, das Saddam die "volle Absicht" hatte, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, sagte Blair während eines Aufenthalts in Äthiopien. Damit werde bewiesen, dass die Sanktionen gegen Saddam Hussein nicht funktioniert hätten. "Saddam hatte nie die Absicht, in Übereinstimmung mit den UN-Resolutionen zu handeln", so Blair. "Die Situation ist viel komplizierter als die Leute dachten."

Duelfer ist nicht der einzige

Die US-Regierung hatte die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen vor der Invasion im Frühjahr 2003 als Hauptgrund für den Krieg genannt. In den folgenden Monaten wurde aber immer klarer, dass die Geheimdiensterkenntnisse jeder Grundlage entbehrten. Duelfers Vorgänger David Kay hatte das bereits in einem Zwischenbericht im vergangenen Jahr festgehalten. Duelfer selbst leitete die im Juni 2003 gegründete Gruppe aus 1400 amerikanischen und britischen Experten, die im Irak noch einmal nach ABC-Waffen suchten.

Nach eineinhalb Jahren vergeblicher Arbeit gehe er nicht davon aus, dass es im Irak noch irgendwo versteckte "militärisch bedeutsame" Waffenlager gebe, sagte Duelfer vor dem Streitkräfteausschuss des US-Senats. Einige kleinere Funde von chemischen Substanzen und Nervengasen stammten noch aus der Zeit vor 1991. Der Bericht Duelfers stützt sich auch auf Befragungen Saddam Husseins, der im Dezember vergangenen Jahres von der US-Armee festgenommen worden war. "Wenn wir ein paar Monate mehr Zeit (für Inspektionen) gehabt hätten, hätten wir der CIA und allen anderen beweisen können, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hat", meldete sich auch der ehemalige Chef-Waffeninspekteur der UNO, Hans Blix, zu Wort. (arn)