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Disziplin im Pool

Christina Bergmann21. August 2008

Mit acht Goldmedaillen hat Schwimmer Michael Phelps die Welt begeistert – und wird natürlich in Amerika gefeiert. Unsere Korrespondentin Christina Bergmann hat eine Ahnung, warum Phelps nicht Turmspringer geworden ist.

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Bild: DW
Fernschreiber Christina Bergmann

"Nicht ins Wasser spucken!", "Nicht zu lange unter Wasser schwimmen!", "Keine Reiterspiele!" und "Kleine Kinder nicht aus den Augen lassen!". Wer in Amerika Schwimmen geht, der muss erst Mal eine Menge lesen.

Mehr als nur 10 Gebote

Lang sind die Listen der Gebote und vor allem der Verbote. Mittlerweile hat die Regelungsorgie solche Ausmaße angenommen, dass sie der Washington Post kürzlich einen eigenen Bericht wert war. Der Reporter fand einen Pool mit alles in allem 90 Regeln. So viele sind es in unserem Freibad um die Ecke zwar nicht, aber auch dort gilt: "Springen vom Sprungbrett nur vorwärt!", "Keinen Handstandüberschlag!" und "Ma'am, würden Sie bitte das nächste Mal an der vorgesehen Leiter das Sprungbecken verlassen!?"

Die Bademeisterin, die vom Alter vermutlich durchaus meine Tochter hätte sein können, erklärte mir mit entschuldigendem Tonfall, dass sie nun mal dafür sorgen müsse, dass die Regeln eingehalten werden. Schließlich solle sich ja niemand verletzen. Die Gefahr ist vermutlich wirklich gering. Letztens waren wir im Six Flags Vergnügungspark, in dem es neben Achterbahnen auch einen Wasserpark mit einem großen Wellenbad gibt. Dort sorgten ein halbes Dutzend Bademeister dafür, dass niemand etwas anderes tat, als Schwimmen. Kleinste freundliche Rangeleien hatten sofort einen gellenden Pfiff mit anschließender Ermahnung zur Folge. Das heißt, die Luft war nicht nur erfüllt vom Kreischen der Kinder, wie man es sonst aus dem Freibad kennt, sondern vor allem vom durchdringenden Schrillen der Trillerpfeifen. Allerdings nur für eine Dreiviertelstunde. Dann mussten alle das riesige Becken verlassen – und die Bademeister konnten 15 Minuten Luft schöpfen.

Ist erlaubt, was nicht verboten ist?

Das Ritual wiederholte sich stündlich. Die Versicherungen sind es wohl, so stand es in der Washington Post zu lesen, die den Druck auf die Schwimmbäder ausüben. Wann immer irgend etwas passiert und der Geschädigte klagt, sollen die Regeln entsprechend geändert werden. Damit die Haftung in Zukunft ausgeschlossen ist, heißt es dann: "Nicht im Wasser essen!", "Bei Durchfall nicht schwimmen gehen!", "Nicht extrem lange die Luft anhalten und in der Nähe des Pools keine langen Hosen tragen!".

Die Regeln reichen also vom Offensichtlichen bis zum Merkwürdigen. Und haben zweierlei zur Folge: Es schleicht sich mehr und mehr die Ansicht ein: Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Auch, wenn es der gesunde Menschenverstand verbietet. Und: Alles was Spaß macht, ist verboten. Das einzige, was noch bleibt, ist harmlos herumdümpeln oder stur in der Bahn geradeaus schwimmen. Die nächste Generation à la Michael Phelps und Ryan Lochte wird also nicht lange auf sich warten lassen.