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Distanzierter Analytiker mit Sinn für Humor

17. März 2010

Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung zählt zu den wichtigsten deutschen Literaturpreisen. In diesem Jahr erhält ihn der Historiker und Publizist György Dalos.

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Der Schriftsteller György Dalos (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

György Dalos lebt in Berlin. In seinem Büchern aber kehrt er regelmäßig in seine Heimat zurück – nach Ungarn, in dessen Hauptstadt Budapest er 1943 geboren wurde. Die Weltpolitik hat Dalos Leben nachhaltig geprägt. Als Jude hat er bereits als Kind erfahren, was es bedeutet, ausgegrenzt zu werden. Und er hat frühzeitig die Erfahrung des Verlustes gemacht. 1945 starb Dalos Vater infolge einer Internierung im Arbeitslager.

Die Erfahrungen dieser frühen Jahre, der Anpassungsdruck und das Streben nach Selbstbehauptung sind später in eine Reihe von Romanen eingeflossen, mit atmosphärisch dichten Beschreibungen und dennoch in meisterlich leichtem Ton und humorgetränkt. So erzählt etwa "Die Beschneidung", ein Roman, der 1997 erstmals auf Deutsch erschien, aufs Vergnüglichste vom Erwachsenwerden des Jungen Robi. Dessen Hauptproblem ist die verpasste rituelle Beschneidung am achten Tag nach der Geburt. Sie kam nicht zustande, weil die Zeit fehlte. Denn Robi war während der Bombennächte in einem Luftschutzkeller in Budapest geboren worden.

Der Staatsfeind

Buchcover "Der Vorhang geht auf" von György Dalos (Foto: DW)
Dalos' neustes Buch

Von 1962-1967 hat György Dalos in Moskau deutsche Geschichte studiert. Bereits während dieses Studiums fing er an zu schreiben, ein erster Band mit Gedichten erschien 1964. In diesem Jahr trat der junge Mann auch in die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (USAP) ein. Die Mitgliedschaft währte allerdings nur vier Jahre. Denn 1968 – Dalos arbeitete inzwischen im Museum für Neue Geschichte in Budapest – wurden ihm staatsfeindliche Aktivitäten vorgeworfen. Er wurde zu sieben Monaten Haft verurteilt, aus der Partei ausgeschlossen und sodann 19 Jahre lang mit Berufs- und Publikationsverbot belegt.

Der Oppositionelle

Spätestens mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch Armeen der Warschauer Paktstaaten verlor Dalos den Glauben an den Marxismus, er wurde einer der Mitbegründer der Oppositionsbewegung in Ungarn und verdiente sich den Lebensunterhalt zunächst als freier Übersetzer von Werken aus dem Russischen und dem Deutschen. Seinen ersten größeren Erfolg im Ausland feierte der Historiker und Romancier dann 1982 mit "Neunzehnhundertfünfundachtzig". Das Buch knüpft an Orwells düstere Zukunftsvision "1984" an und fragt nach der Rolle des Intellektuellen in totalitären Systemen.

Der Kulturbotschafter

Der Schriftsteller György Dalos (Foto:DW)
Preisträger 2010 - Dalos

Fortan konnte Dalos auch in Ungarn wieder veröffentlichen. 1984 erhielt er dann ein Stipendium des Berliner Künstlerprogramms. Seitdem arbeitet er überwiegend in Westeuropa, zunächst an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen, dann abwechselnd in Wien und Budapest als Autor verschiedener Medien. Von 1995 bis 1999 leitet György Dalos das "Haus Ungarn" in Berlin und macht die Einrichtung in dieser Zeit zu einem lebendigen Forum für Kunst und Kultur. Denn er versteht es, das Interesse an seinem Heimatland zu nähren und dessen Autoren - Imre Kertesz, Peter Nádas, György Konrad oder Peter Esterházy - einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Folgerichtig gestaltet Dalos 1999 den Auftritt Ungarns als Gastland der Frankfurter Buchmesse.

Der Analytiker

In seinem letzten Buch "Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa" (Verlag C.H. Beck) erzählt der Autor überaus kenntnisreich und mit sanfter Ironie von den inneren Auflösungsprozessen, die Ende der 1980er Jahre – mit unterschiedlichen nationalen Ausprägungen – sowohl in der Sowjetunion wie auch in Polen, der DDR, in Ungarn, der CSSR, in Bulgarien und in Rumänien nicht mehr zu ignorieren waren. Von einem "Politthriller mit satirischen Episoden und Details" war in der Presse die Rede, von einem "als Sachbuch daherkommenden Kunstwerk" und von der "begrifflichen Schärfe" eines "sehr empfehlenswerten Zeitgeschichtsbuchs".

Der Preisträger

Für sein bisheriges Werk, aber vor allem für dieses Buch, erhält György Dalos nun den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2010. Die Verleihung findet im Rahmen der Eröffnung der Leipziger Buchmesse am 17. März im Gewandhaus zu Leipzig statt.

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Petra Lambeck

György Dalos:"Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa." Übersetzt von Elsbeth Zylla. Beck Verlag. 272 Seiten. 19,90 Euro.