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Diplomatie im gelben Pullunder

Fabian Hainzl20. März 2002

Hans-Dietrich Genscher feiert am Donnerstag (21.3.) seinen 75. Geburtstag. Der langjährige Außenminister hat Nachkriegsgeschichte geschrieben und war maßgeblich an der Wiedervereinigung Deutschlands beteiligt.

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Genscher und sein Markenzeichen: der gelbe PullunderBild: AP

So etwas hatte der Top-Diplomat Hans-Dietrich Genscher zuvor nur noch nie erlebt. Er ergreift das Wort und wird bereits nach einem halben Satz von tosendem Applaus unterbrochen.

Prag am 30. September 1989. Genscher steht auf dem Balkon der deutschen Botschaft und teilt den DDR-Flüchtlingen mit, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen dürfen. Feierlich hebt er an: "Wir sind zu ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise...." weiter kommt er nicht. Die DDR-Bürger vor der Botschaft brechen in Freudentaumel aus. Der Halbsatz des deutschen Außenministers ging in die Geschichte ein – und läutete das Ende der Teilung Deutschlands ein. Von diesem historischen Moment ist Genscher auch Jahre später noch ergriffen: "Es war der bewegendste Augenblick in meiner politischen Arbeit, denn ich konnte die Menschen verstehen. Ich hatte ja selbst etwa in deren Alter die DDR verlassen."

Von Ost nach West

Genscher war 25 Jahre alt, als er seine ostdeutsche Heimatstadt Halle verließ und in den Westen Deutschlands, nach Bremen, übersiedelte. Noch im selben Jahr 1952 trat er in die FDP ein. Zwei Jahre später beendete er sein Jura-Studium. Was folgte, war eine in Nachkriegsdeutschland beispiellose politische Karriere. Mit 38 Jahren zog er in den deutschen Bundestag ein, avancierte zum wichtigsten Oppositionssprecher zur Zeit der Großen Koalition, dann Innenminister in der sozial-liberalen Koalition unter Willi Brandt und nach dessen Rücktritt ab 1974 Außenminister: erst unter Helmut Schmidt, dann in der Regierung Kohl. Als unermüdlicher Anwalt der Annäherung zwischen West und Ost gehörte er mit seiner sogenannten "Entspannungspolitik" zu den Wegbereitern der deutschen Wiedervereinigung. Diese Vision verlor Hans-Dietrich Genscher nie aus den Augen. Sein größter Wunsch, selbst daran mitzuwirken, ging schließlich in Erfüllung.

"Genschmans" Reisediplomatie

Zahlreiche Reisen waren nötig, bis die Einheit unter Dach und Fach war. Genscher flog zu den deutschen Nachbarn, um Misstrauen gegenüber einem größeren Deutschland abzubauen. Er flog nach Washington und Moskau, um die Rolle Deutschlands in internationalen Bündnissen wie der NATO und der KSZE zu besprechen. Genscher verbrachte so viel Zeit im Jet, dass der Witz die Runde machte, er begegne sich bei seinen Flügen häufig selbst in der Luft. Seine Politik als Außenminister wurde deshalb auch als "Reisediplomatie" bekannt. Im Koffer immer dabei - sein Markenzeichen: ein gelber Pullunder. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität brachte ihm seine Allgegenwart den Spitznamen "Genschman" ein, angelehnt an die fliegende Comicfigur "Superman".

Ein politisches Amt bekleidet der 75-jährige heute nicht mehr. Als politischer Berater und Universitätsdozent ist Hans-Dietrich Genscher aber immer noch sehr gefragt. Auf Kongressen oder bei Vorträgen lauschen Zuhörer seinen Ausführungen. Nur auf eines muss er verzichten: Jubelschreie, schon noch dem ersten Halbsatz.