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Schutz mit Lücken

Martin Schrader19. Dezember 2008

Seit September ist in Europa Schweinfleisch aus Irland in Umlauf, das die zulässigen Dioxin-Werte um das 200-fache überschreitet. Doch bis heute ist unklar, wo das Fleisch verkauft worden ist.

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Fluoreszierende Schweine(AP Photo/Simon Lin) ** TAIWAN OUT **
Ob fluoreszierende Schweine genießbar sind? Heutzutage kann darüber oft nur ein Labortest entscheidenBild: AP

Der Lebensmittel-Skandal um irisches Dioxin-Fleisch offenbart große Lücken im EU-Verbraucherschutz. Die erste Schwachstelle tat sich gleich in Irland selbst auf. Erst am 7. Dezember startete Irland eine Rückrufaktion für Schweinefleischprodukte wegen möglicher Dioxinbelastungen. Dabei ging es um Ware, die zum Teil mehr als zwei Monate zuvor hergestellt worden war. Sie befand sich also nicht nur längst im Handel, sondern vermutlich auch schon in den Bäuchen der Verbraucher.

Untersuchungen ohne Ergebnis

Lebensmittelprobe Labor. Quelle: ap
Im Labor soll das Fleisch untersucht werden - wenn es denn gefunden wirdBild: AP

Seit der Mitteilung aus Irland fahnden auch Behörden in Deutschland nach diesem Fleisch. In Thüringen wurden bislang vier Betriebe bekannt, die über einen Zerlegebetrieb in Nordrhein-Westfalen möglicherweise dioxinbelastetes Schweinefleisch erhalten haben. In Baden-Württemberg wurden acht Zwischenhändler und Schlachthöfe überprüft. Auch sie sollen über Zwischenhändler Fleisch aus Irland bekommen haben. Ob das Fleisch belastet ist, müssen Kontrollen zeigen, deren Ergebnisse noch ausstehen. In Brandenburg gerieten drei Verarbeitungsbetriebe und ein Kühlhaus ins Visier der Behörden. Resultate ihrer Kontrollen liegen ebenfalls noch nicht vor. In Niedersachsen vermuten die Behörden rund 1000 Tonnen Schweinefleisch irischer Herkunft. Auch dort ist unklar, ob das Fleisch belastet ist.

Sicher scheint in diesem Skandal nur eins: Seit September wurden 2830 Tonnen irisches Fleisch in Form von Sauenhälften nach Nordrhein-Westfalen importiert. Von da an beginnt bei Behörden, Lebensmittel-Unternehmen und Verbrauchern gleichermaßen ein großes Rätselraten.

Verwirrung an der Ladentheke

Fleischabteilung in Supermarkt. Quelle: ap
Belastet oder nicht belastet? Viele Verbraucher nehmen unbewusst schlechtes Fleisch zu sichBild: Bilderbox

Ein Beispiel für die große Verwirrung lieferte in den vergangenen Tagen der Wirbel um möglicherweise belastetes Fleisch im niedersächsischen Hildesheim. Am 16. Dezember gab die dortige Landkreis-Verwaltung Alarm: Man habe eine EU-Schnellwarnmeldung erhalten, wonach irisches Schweinefleisch über Betriebe in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an einen Hildesheimer Einzelhändler geliefert worden sei. Nur wenige Stunden später gab der Landkreis schon wieder Entwarnung. Es sei eine Schnellmitteilung vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen eingetroffen. Demnach wurde doch kein dioxinbelastetes Schweinefilet geliefert. Zwei Tage später wiederum wurde diese Entwarnung aufgehoben. Der Landkreis könne nicht garantieren, dass kein belastetes Fleisch im Umlauf sei.

Landkreis-Sprecher Hans Lönneker sagte auf die Frage von DW-WORLD, wann geklärt werde, ob es sich um belastetes Fleisch handelte: "Das kann im Moment niemand sagen, weil ja alle Mengen verkauft sind." Verbraucher müssten Fleisch aus dem Supermarkt, das sie im Kühl- oder Gefrierschrank haben, am besten dem Markt zurückgeben. "Und wenn diese Proben untersucht werden - von wem auch immer, könnte man sagen: ist belastet oder auch nicht", erklärt Lönneker. Der Landkreis werde jedenfalls keine Proben untersuchen. Dafür habe man keine Kapazitäten und kein Fleisch.

Zeitverzug in der Alarmkette

Das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit prüft nach eigenen Angaben nur, wenn es Proben aus dem Landkreis erhält. Jedes Jahr würden von dem Amt in der Regel etwa 7000 Fleischproben untersucht. Schweinfleisch sei dabei zuletzt nicht aufgefallen, sagt Pressesprecherin Hiltrud Schrandt. Das könne aber daran liegen, dass dieses Jahr erst etwa 5000 Proben ausgewertet werden konnten. Für den betreffenden Zeitraum September bis Dezember liegen die Ergebnisse noch nicht vor. Die Niedersachsen sind da nicht schneller als die Iren.

Dieser Zeitverzug stellt eines der Hindernisse für eine schnelle Alarmkette beim Verbraucherschutz in Europa dar. Wenn es zwei bis drei Monate dauert, bis Untersuchungen zu Ergebnissen führen, liegen Lebensmittel längst im Regal und an der Fleischtheke, ehe Händler und Verbraucher vor möglicherweise gefährdenden Stoffen gewarnt werden.

Jeder vierte geprüfte Betrieb ist auffällig

Schweinehälften (AP Photo/Hermann J. Knippertz)
Solche Schweinehälften wurden aus Irland nach Nordrhein-Westfalen geliefertBild: AP

Der Dioxin-Skandal ist kein Einzelfall, in dem es um gefährliche Stoffe in Lebensmitteln geht. Nach Zahlen des Bundesamts für Statistik fiel in Deutschland im Jahr 2007 jeder vierte überprüfte Betrieb auf, der Lebensmittel herstellt, bearbeitet oder verkauft: insgesamt 129.000 Betriebe. Obwohl 2007 das so genannte Gammelfleisch-Jahr war, handelt es sich bei dieser Quote nicht um einen Ausreißer - sie entsprach in etwa den Zahlen aus dem Vorjahr.

Von 402.463 Proben, die 2007 durchgeführt wurden, wurden 15 Prozent beanstandet. Fast jede sechste beanstandete Probe war verdorben oder enthielt krankheitserregende Keime. Festgestellt wurden auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln und Acrylamid. Diese Substanz hat sich laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Tierversuchen als krebserregend und erbgutschädigend herausgestellt. Verunreinigungen bei Fleisch und Wurst sowie bei Fetten und Ölen führten in 12 Prozent der Fälle zu Interventionen der Behörden.

Bei Verstößen drohen einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur zufolge zwar saftige Strafen bis hin zu Betriebsschließungen. Dass dieses Risiko eingegangen werde, zeige nach Angaben von Verbraucherschützern jedoch, wie viel Geld sich mit der Unbefangenheit der Konsumenten verdienen lasse.

Neuheit im Verbraucherschutz

Eine Besonderheit gibt es im Hildesheimer Fall: Dort wurde der Supermarkt, in dem verdächtiges Fleisch aufgetaucht war, von der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung" namentlich genannt. In der Regel halten im deutschen Verbraucherschutz Politik und Behörden die Namen der Unternehmen geheim, in denen Probleme mit Lebensmitteln auftauchen. Geschäftsführer Ulrich Naujoks aus der HIT-Konzernzentrale in Siegburg meint, für die Nennung seines Unternehmens habe es in diesem Fall gar keinen Anlass gegeben. Noch sei unklar, ob im HIT-Supermarkt in Hildesheim tatsächlich belastetes Schweinfleisch aus Irland verkauft wurde. Es handele sich also nur um einen Verdacht. "Unser Lieferant hat uns informiert, dass er in geringen Mengen Fleisch von den fraglichen irischen Bauernhöfen in seine Auslieferungen eingebracht hat. Er kann uns und anderen Abnehmern aber nicht sagen, wer dieses Fleisch bekommen hat." Naujoks hat nach eigenen Worten aber grundsätzlich kein Problem damit, dass Namen von Lebensmittelhändlern genannt werden, "wenn das mit Fakten unterlegt ist". "Alle Unternehmen sollten in der Öffentlichkeit sicherstellen, dass bei Lebensmitteln keine rechtlichen Grenzen überschritten werden."