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Kunst und Hitlergruß

Aya Bach10. Januar 2014

Das Auftrittsverbot für den antisemitischen Komiker Dieudonné in Frankreich schlägt hohe Wellen. Gerade erst gab es in Deutschland Urteile zu Kunst und NS-Symbolen. Wie weit darf die Kunstfreiheit in Europa gehen?

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Gartenzwerge heben die Hand zum Hitler-Gruß - eine Arbeit des Künstlers Otmar Hörl
Bild: picture-alliance/dpa

Satire darf alles, fand Kurt Tucholsky 1919. Der Schriftsteller mit der spitzen Feder hatte es damals noch vergleichsweise leicht. Fragen wie die, ob man Satire auch über den Holocaust und die Verbrechen der Nationalsozialisten machen darf, stellten sich damals noch nicht. Knapp hundert Jahre später sind in Deutschland zahllose Diskussionen darüber geführt worden, ob Comedians, Karikaturisten oder Filmemacher sich über Hitler lustig machen dürfen. Meist lautete die Antwort eher ja. Kunstwerke, die Hitler als kümmerliche Witzfigur zeigten, wurden zwar viel diskutiert, aber nicht verboten.

Gerade erst gab es ein viel diskutiertes Gerichtsverfahren gegen den Künstler Jonathan Meese, der in einer Performance den Hitlergruß gezeigt hatte. Meese wurde freigesprochen. Er habe die Geste "in den Bereich des Lächerlichen" gezogen, fand das Gericht. Daher stand die Kunstfreiheit über einem anderen deutschen Gesetz, das die Verwendung von Nazi-Symbolen verbietet. Anders entschied vergangenen Mittwoch ein Gericht im Fall des Aktionskünstlers Günter Wangerin. Er hatte bei einer Demonstration gegen die EU-Sparpolitik ein Plakat mit Angela Merkel in NS-Uniform gezeigt. Auch er pochte auf Kunstfreiheit - doch ohne Erfolg, Wangerin muss 3000 Euro Strafe zahlen.

Dieudonne M’bala M’bala
Verboten: Dieudonné und seine antisemitischen ParolenBild: picture-alliance/dpa

Shoah verspottet

Doch was nun in Frankreich diskutiert wird, hat andere Dimensionen. Schon mehrfach ist der Komiker Dieudonné in den letzten Jahren wegen antisemitischer Ausfälle zu Strafzahlungen verurteilt worden. Die Summe beläuft sich inzwischen auf 65.000 Euro. Seine Fans stört das nicht, im Gegenteil. Eine von ihm propagierte Geste namens "quenelle", eine Art abgewandelter Hitlergruß, ist nachgerade populär geworden. Zuletzt hatte Dieudonné in einer Bühnenshow einen jüdischen Journalisten angepöbelt, zu dessen Person fielen ihm nur die Gaskammern der Nationalsozialisten ein - das Publikum bog sich vor Lachen. In seinem Lied "Shoananas" verspottet Dieudonné die Shoah, den millionenfachen Mord an den europäischen Juden. Der Mann mag sich als Humorist bezeichnen - doch ist alles, was auf einer Bühne passiert, automatisch Kunst?

Nein, fand nun das höchste französische Verwaltungsgericht. Auf Betreiben des sozialistischen Innenministers Manuel Valls schritt es in letzter Minute ein und verbot eine Show von Dieudonné in der Stadt Nantes. Auch zwei weitere Auftritte in Tours und Orléans wurden inzwischen untersagt. Das aber hat die Diskussion weiter angeheizt: Sinnvolle Entscheidung oder kontraproduktiv? Verleiht das Vorgehen dem Antisemiten nicht erst recht Kultstatus?

Künstler Jonathan Meese
Die Ermittlungen zum Hitlergruß des Künstlers Jonathan Meese wurden eingestelltBild: picture-alliance/dpa

"Keine Kunst ohne Verantwortung"

Mit dem Gerichtsurteil ist die Dieudonné-Debatte nun auch in Deutschland angekommen. "Ich glaube, dass die Entscheidung richtig ist. Ich hätte sie auch so gefällt", sagt Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, studierter Jurist und bekannter Plakatkünstler, der gerne mit den Mitteln der Satire arbeitet. Wie wichtig Kunstfreiheit ist, weiß kaum jemand besser als er - ist er doch immer wieder mit pazifistischen, ökologischen, linken Positionen angeeckt. Mehr als 40 Gerichtsverfahren musste er über sich ergehen lassen, die er allesamt gewann. Dennoch sieht auch er Grenzen der Kunstfreiheit: "Ich glaube, dass es keine Satire und keine Kunst ohne Verantwortung gibt. Das ist mein Grundsatz."

Rafael Seligmann, deutsch-israelischer Schriftsteller und immer gut für ein offenes Wort - auch gegenüber vermeintlich "jüdischen" Positionen -, ist mit dem Dieudonné -Urteil zwar "nicht glücklich". Denn auch er ist ein Verfechter der freien Rede. "Aber man muss sich gelegentlich für das kleinere Übel entscheiden", sagt er. "Wenn jemand das freie Wort, die Rechte der Demokratie nutzt, um sie zu bekämpfen, dann muss man die Möglichkeit haben, ihm entgegenzutreten. Man muss Antisemiten, Volksverhetzern, Volksfeinden auch die rote Karte zeigen dürfen und können."

Plakat von Klaus Staeck
Kritisch: Plakat von Klaus StaeckBild: picture-alliance/dpa

Märtyrer der Meinungsfreiheit?

In Frankreich gibt es dazu auch andere Stimmen. So ließ der frühere Kulturminister Jacques Lang - Sozialist wie Manuel Valls - schon verlauten, er halte dessen Vorgehen für rechtlich problematisch: "Um die Freiheit des Wortes außer Kraft zu setzen, bedarf es wahrer Gründe". Und die linke Tageszeitung "Libération" kommentierte: "Die Entscheidungen, die [Dieudonnés] Fans als Zensur betrachten, bergen das Risiko, aus dem Katastrophen-Komiker einen Märtyrer der Meinungsfreiheit zu machen".

"Seit wann ist jeder, der irgendwie gegen eine Gruppe hetzt, ein Märtyrer?" hält Klaus Staeck dagegen, "Das ist ein völliger Missbrauch dieses Begriffes. Wehe, die Demokratie ist so weich und so flau und so jämmerlich, dass sie überhaupt keine Grenzen mehr kennt und jedem Hetzer die Chance gibt, sich ungehindert zu entfalten", warnt er. "Wir haben doch den wunderbaren Begriff der wehrhaften Demokratie. Das bedeutet, dass man sich auch zur Wehr setzen kann gegen diejenigen, die die Demokratie zerstören wollen. Und Antisemitismus ist nun mal ein zentraler Versuch, die Demokratie in Frage zu stellen."

"Stabile Demokratie"

Die Diskussion ist nicht ausgestanden - weder in Frankreich noch in Deutschland. Wird nach dem spektakulären Verbot, das Dieudonné berühmter gemacht hat als alle Urteile zuvor, nun eine braune Welle der Dieudonné-Sympathie nach Deutschland schwappen? Rafael Seligmann zumindest befürchtet das nicht: "Wir haben in Deutschland keinen Front National [die rechtsextreme Partei in Frankreich, Anm. d. Red], wir haben stabile demokratische Verhältnisse, anders als in Italien, Frankreich, skandinavischen Ländern oder gar in Osteuropa. Es wird immer diese unbelehrbaren Nazis geben, aber ich finde, Demokraten haben die Pflicht, die Hand zu heben und nein zu sagen."