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Dieser Hund hilft aus dem Trauma

Beate Hinrichs
13. September 2017

Ein schweres Unglück oder massive Gewalt können Betroffene so belasten, dass sie im Alltag nicht mehr zurechtkommen. Speziell ausgebildete Assistenzhunde geben ihnen wieder Sicherheit - und sie können noch viel mehr.

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Der Border Collie-Rüde Nick ist Assistenzhund für Menschen mit 
Posttraumatischer Belastungsstörung. Das Bild zeigt ihn während einer 
Pause beim Hundetraining.
Bild: DW/B.Hinrichs

Nick ist hoch konzentriert. Aufrecht geht der Hund durch die Fußgängerzone, die Ohren gespitzt, seine Rute wedelt kaum merklich. Die Passanten hat er immer im Blick. Er schnüffelt nirgends und würdigt andere Hunde keines Blickes. Nick ist im Arbeitsmodus. Er stellt sicher, dass seine Besitzerin Katrin Müller nicht ins Gedränge gerät und zeigt ihr mit einer Kopfbewegung, von wo sich Personen nähern. "Ohne Nick wäre ich jetzt nicht hier. Er gibt mir absolute Sicherheit. Viele Menschen machen einen Bogen um uns, denn Nick ist schon beeindruckend."

Der lebhafte Hund ist eine Mischung aus Border Collie und Australian Shepherd, ein bisschen kleiner als der klassische Collie, mit dichtem schwarz-braun-weißem Fell. Nick ist ein Assistenzhund für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), in diesem Fall für Katrin Müller. Sie ist als Kind und Jugendliche durch körperliche und sexualisierte Gewalt schwer traumatisiert worden. Man sieht der energischen Frau nicht an, dass sie unter Schlafstörungen, Alpträumen und schmerzhaften Verspannungen leidet. Sie hat jahrelang erfolgreich im Außendienst einer Behörde gearbeitet. Gleichzeitig aber war sie stets auf der Hut, fühlte sich bedroht, mied andere Menschen. "Einkäufe hat mein Lebensgefährte gemacht, weil ich im Supermarkt oft eine Panikattacke bekommen habe. Ich bin allein so gut wie gar nicht mehr rausgegangen." All das sind Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung.

Assistenzhunde: Eine Aufgabe mit Tradition

PTBS-Assistenzhunde werden erst seit einigen Jahren in Deutschland ausgebildet. Entwickelt wurde die Idee in den USA, wo die Tiere die Symptome traumatisierter Kriegsveteranen lindern helfen. Andere Assistenzhunde werden schon viel länger eingesetzt: Blindenführhunde seit dem Ersten Weltkrieg, zunächst für Kriegsblinde; später kamen Begleithunde für Rollstuhlfahrer dazu, dann Hunde, die Epileptiker vor einem Anfall warnen oder Diabetiker anstupsen, wenn ihr Blutzuckerspiegel schwankt.

Der Border Collie-Rüde Nick ist Assistenzhund für Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Das Bild zeigt ihn während einer Pause beim Hundetraining.
Border Collie Nick achtet auch aufs Frauchen, wenn er Freizeit hatBild: DW/B.Hinrichs

Mit Nicks Hilfe hat Katrin Müller ins Leben zurückgefunden. Früher war zum Beispiel der Gang zum Bankautomaten höchst bedrohlich, denn während sie sich auf Bildschirm und Tasten konzentriert, kann sie nicht beobachten, was hinter ihrem Rücken passiert. Das macht jetzt Nick. Er liegt ruhig neben ihr, mit der Schnauze zum Gang. Tritt jemand an den Nachbarautomaten, steht der Hund auf und folgt der Person mit dem Kopf - so signalisiert er seiner Besitzerin, was um sie herum passiert. Manchmal hat Katrin Müller allerdings Probleme, den Hund mitzunehmen, etwa in den Supermarkt. Denn dass ein Mensch im Rollstuhl oder mit Sehbehinderung einen Begleithund braucht, ist sofort erkennbar. Katrin Müllers Beeinträchtigung aber sieht man nicht.

Hund und Halterin sind ein perfekt eingespieltes Team. Katrin Müller kann Nicks Körpersprache lesen und er spürt ihre Stimmung. Das zeigt sich, als wir an einer Straßenecke stehen und ein Mann von hinten auf sie zugeht. Nick erfasst instinktiv, dass sein Frauchen sich bedrängt fühlt und verbellt den nichtsahnenden Passanten. Danach stellt der Hund sich spontan zwischen Katrin Müllers Beine, um ihr Körperkontakt und Sicherheit zu geben.

Eine Psychotherapie bleibt unverzichtbar

Eine wichtige Aufgabe für Nick - und für alle PTBS-Assistenzhunde - ist, ihre Menschen aus einem Flashback zu holen - also aus einem Zustand, in dem sie sich in die Gewaltsituation zurückversetzt fühlen. Sie durchleben Angst, Panik und Ohnmacht erneut und realisieren nicht mehr, dass sie sich im Hier und Jetzt befinden. Ein bestimmtes Wort, ein Geruch oder eine Situation können das triggern. Nick bemerkt dann, dass Katrin Müller erstarrt, zittert, schneller atmet oder einfach anders riecht. "Er stupst mich solange an, bis ich das mache, was ich in der Therapie gelernt habe. Ich nehme dann aus meiner Notfalltasche etwas, das mir körperlich Schmerz zufügt, ich kann zum Beispiel in einen stacheligen Ball greifen oder auf eine Chilischote beißen. Das holt mich in die Realität zurück." Nick könnte sein Frauchen auch aus Alpträumen wecken und sogar das Licht anmachen, doch das haben die beiden bisher nicht trainiert. Katrin Müller grinst: "Er muss ja auch mal schlafen!"

Zwei Diabeteswarnhunde: ein Australian Shepherd-Rüde (links) und eine Labrador Retriever-Hündin (rechts), hier entspannt nach dem Hundetraining
Entspannt nach dem Training: Zwei DiabeteswarnhundeBild: DW/B.Hinrichs

Dennoch: Um eine schwere Traumatisierung zu bewältigen, ist eine Psychotherapie unerlässlich, betont Katrin Müller. Ein Assistenzhund sei niemals eine Allround-Lösung, sondern eine zusätzliche Unterstützung: "Ich darf mich nicht nur auf den Hund verlassen. Er kann nicht die ganze Verantwortung tragen."

Konsequente Führung für den Hund

Unerlässlich ist auch eine solide Grundausbildung des Hundes. Zu klassischen Befehlen wie "Bleib!", "Sitz!" und "Aus!" gehört bei Nick auch: "Wechsel!" Damit kann Katrin Müller ihn wahlweise rechts oder links bei Fuß gehen lassen. Solange der Hund Freizeit hat, läuft er am Geschirr - klinkt seine Besitzerin die Leine aber am Halsband ein, weiß er, dass er nun arbeiten muss. Manchmal trägt er auch ein knallrotes Kenntuch mit der Aufschrift "Assistenzhund Azubi Nick". Denn der eineinhalbjährige Rüde ist noch in der Ausbildung. Und für die braucht er eine konsequente Führung. Katrin Müller zitiert einen Satz ihrer Hundetrainerin: "Zwei anstrengende Jahre, und dann hat man einen guten Hund."

Die Hundetrainerin heißt Dagmar Tennhoff und betreibt im westfälischen Nordkirchen die Hundeschule Canis Fidus, "der treue Hund". Hier lernen die Mensch-Hund-Teams gemeinsam. Das Gruppentraining wird durch Einzeltermine ergänzt.

An einem Samstag haben sich auf dem Trainingsgelände der Hundeschule fünf Teams versammelt, darunter auch Diabetes-Warnhunde und ein Rollstuhl-Begleithund. Über den Rasen toben helle und dunkle Labrador Retriever, ein Golden Retriever, ein Australian Shepherd und Border Collie Nick. Für die Ausbildung zum Assistenzhund eignen sich vor allem sogenannte Gesellschaftshunde. Die Tiere schauen sich viel voneinander ab, erklärt Dagmar Tennhoff: "Sie lernen von uns Menschen, sie beobachten ihre Umwelt, ziehen daraus ihre Schlüsse und lernen auch daraus."

Ausbildung auch für den Menschen

"Der Mensch muss anteilig genauso viel ausgebildet werden wie der Hund", sagt die Hundetrainerin. "Als ich mit der Assistenzhundeausbildung angefangen habe, wollte ich für die Betroffenen Hunde ausbilden. Mittlerweile habe ich gemerkt, dass ich zu 50 Prozent auch Menschentrainer bin."

Viele Trainer bieten auch fertig ausgebildete Hunde an, die können zwischen 20.000 und 30.000 Euro kosten. Ein Assistenz- oder Begleithund ist jedoch nicht für jeden Menschen mit Beeinträchtigung die passende Lösung. Denn ein Hund macht viel Arbeit und erfordert eine klare Haltung.

Nick hat sich an diesem Abend noch einen Spaziergang durch die Felder verdient. Nach der konzentrierten Arbeit tobt er herum und wird nicht müde, dem von Katrin Müller geworfenen Spielzeug hinterherzulaufen oder am Wegrand verführerischen Gerüchen nachzuschnuppern. Jetzt ist er einfach ein ausgelassener junger Border Collie. "In erster Linie ist Nick ein Hund", freut sich Katrin Müller, "und dann erst erbringt er die Assistenzleistung." Sie stellt aber auch klar: "Ich hab mittlerweile totales Vertrauen zu meinem Hund. Der würde für mich durch dick und dünn gehen. Und wenn es hart auf hart käme, wäre er da."