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"Diese Schau ist monströs"

2. April 2004

500 Arbeiten, 180 Künstler, 5000 qm: Die bislang größte Ausstellung deutscher und russischer Kunst der letzten 50 Jahre war erst in Berlin, jetzt in Moskau zu sehen. Geht das Konzept auf?

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Vom Tod der Symbole: "Hammer und Sichel" rosten vor sich hin

Lenin liebt Mickey Mouse – oder war es anders herum? Jedenfalls zeigt Alexander Kossolapows Bronzestatue eine Symbiose aus beiden Welten: Im Prinzip ist Lenin der alte geblieben – wenn da nicht sein Kopf wäre, der eindeutig von Mickey stammt. Symbol einer "feindlichen Übernahme" des Kommunismus durch den Kapitalismus? Oder umgekehrt? Oder einfach nur die Idee des Möglichen, eine Spielerei?

Mickey-Lenin
Alexander Kossolapow „Mickey-Lenin“, 2002Bild: Trilistnik

Szenenwechsel. Gleißendes weißes Licht umfängt den Betrachter im vollkommen leer geräumten Lichthof des Berliner Gropiusbaus. Der deutsche Künstler Gerhard Merz hat dieses Nichts gestaltet. "Sieg der Sonne" heißt sein Lichtraum, mit dem er sich ironisch auf das sowjetische Bühnenstück "Sieg über die Sonne" bezieht. Absurdität und Anarchie prägen das Stück: Eine Gesellschaft "neuer Menschen" will die Natur bändigen. Sie kündigen an, dass sie die Sonne gefangennehmen und in einem "Betonheim" einsperren werden. Das war 1913.

90 Jahre später, im "Heute" des Jahres 2003, zeigt sich: Langfristig behält die Sonne die Oberhand. Eine versteckte politische Anspielung? Etwa das Motto der Ausstellung "Berlin-Moskau 1950-2000"? Nein, mit Berlin und Moskau hat das nichts zu tun. "In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hatten die beiden Städte so gut wie keine kulturellen Beziehungen", sagt der deutsche Kurator Jürgen Harten.

"Die Kunstwerke sollen für sich sprechen"

Die Ausstellung ist in 40 Themenräume aufgeteilt, deren Spektrum von "Alltag" über "Tugendterror" bis "Wendezeiten" reicht. Ganz ohne Ost-West-Kompass kann sich der Besucher von Raum zu Raum bewegen. Roten Faden gibt es keinen. Der russische Vize-Kulturminister Pawel Choroschilow findet es gut, dass auf die Darstellung des politischen Kontexts, in dem die Exponate entstanden, verzichtet wird. "Die Kunstwerke sollen für sich sprechen", sagt er. Die Besucher sollen sich informieren, was zwischen 1950 und 2000 in beiden Ländern an Kunst entstanden sei. Und das ist allem Anschein nach ein Sammelsurium von Kunstrichtungen, Ansprüchen, Motiven, Geschichten – wild durcheinandergemixt. Hier eine verkohlte Hindernisbahn, die aktuell den Schrecken des Tschetschenien-Krieges aufgreift, ein paar Schritte weiter der deutsche "Schrecken" in Form eines Radarfallenbildes. "Es werden Dinge gegenüber gestellt, die noch nie miteinander in Zusammenhang gebracht worden sind." sagt Jürgen Harten, der deutsche Hauptkurator.

Ausstellung Berlin Moskau
Via Lewandowski: "Berliner Zimmer (Geteiltes Leid ist halbes Leid)"Bild: AP

Gemeinsames krampfhaft suchen

Bei der Ausstellung gehe es nicht um einen Kulturwettkampf zwischen den Nationen oder einzelnen Künstlern, so die Macher. Dennoch: "Die Ausstellung hat es mit der Zeit des Kalten Krieges zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu tun, mit der deutschen Teilung und der Berliner Mauer, mit Glasnost und Perestroika", versucht der deutsche Kurator Jürgen Harten eine Erklärung. Die Schau rufe in Erinnerung, was die ehemaligen Gegner verbinde: "Die Erfahrung totalitärer Systeme und das Trauma des von den Deutschen entfesselten und von den Russen als 'Großer vaterländischer Krieg' siegreich beendeten Zweiten Weltkriegs." Mit seinem russischen Kollegen Pawel Choroschilow einigte sich der Kurator darauf, die Metropolen als Symbol für die jeweiligen Länder zu verstehen - deutsche und russische Kunst müsse auf gleicher Augenhöhe präsentiert werden. Das Konfliktpotential war von Anfang an vorprogrammiert: Wieso diese Plastik, weshalb gerade jenes Plakat? Eine junge Russin äußert sich empört über die Willkür, die sie hinter dem Fünf-Millionen-Euro-Projekt vermutet.

Ausstellung Berlin Moskau Das Ende der Welt
Leonid Sokow: "Das Ende der Welt"Bild: AP

Viel zu viel

"Diese Schau ist monströs", sagt auch Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, die einen Großteil der deutschen Exponate zur Verfügung stellte. Er meint es positiv. Die Ausklammerung des Entstehungskontext beraubt die Ausstellung einer Einordnung der Werke, die für das Verständnis der thematischen Gegenüberstellung sehr hilfreich wäre. Was bleibt, ist der Eindruck, dass hier zusammengeworfen wurde, was nicht zusammen gehört. Den unbedarften Zuschauer, der ohne Vorwissen die "Berlin-Moskau"-Ausstellung besucht, wird die Monstrosität eher erschrecken. Und nicht umsonst nimmt die Farbe Weiß eine zentrale Stellung im Lichthof der Ausstellungshalle ein: Weiß die Farbe der Kapitulation und des Neuanfangs. Weiß ist die Farbe, die alle Farben in sich birgt. Und damit viele Chancen. Denn der Dialog, der hat gerade erst begonnen. (chg/arn)

Die Ausstellung war vom 28. September 2003 - 5. Januar 2004 in Berlin zu sehen. In abgewandelter Form wird sie in der Tretjakow-Galerie in Moskau gezeigt.