1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dramatische Bilder

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos23. November 2006

Der Fotojournalist Horst Faas hat während des Vietnam-Krieges für die Bildredaktion von AP gearbeitet. Zwei Mal bekam er den Pulitzerpreis. Im Gespräch mit DW-WORLD.DE erzählt er, wie sich das Land seitdem verändert hat.

https://p.dw.com/p/9JiB
Horst Faas (r.) während des Vietnam-Krieges
Horst Faas (r.) während des Vietnam-KriegesBild: AP

DW-WORLD.DE: Was sind Ihre eindringlichsten Erinnerungen aus der Zeit während des Vietnam-Krieges?

Ein Vater hält sein totes Kind nach einem Angriff auf ein Dorf südvietnamesischen Soldaten entgegen: Für diese Aufnahme bekam Faas 1965 den Pulitzerpreis
Ein Vater hält sein totes Kind nach einem Angriff auf ein Dorf südvietnamesischen Soldaten entgegen: Für diese Aufnahme bekam Faas 1965 den PulitzerpreisBild: AP

Horst Faas: Was mir und anderen immer wieder durch den Kopf gegangen ist, ist das Schicksal unserer vietnamesischen Kollegen. Man darf nicht vergessen, dass jeder Korrespondent und Fotograf damals einen vietnamesischen Mitarbeiter hatte. Einige von ihnen sind 1975 geflüchtet und landeten später meist in den Vereinigten Staaten. Andere sind zurück geblieben und über die haben wir uns Sorgen gemacht. Deshalb mein Bemühen herauszufinden, was aus ihnen geworden ist. Alle, mit denen ich Kontakt aufnehmen konnte, hatten nach 1975 eine schlechte Zeit. Alle sind nach dem Sieg der Nordvietnamesen in irgendwelchen Umerziehungslagern gewesen. Seit meinem Besuch im Jahr 2000 habe ich eine grundlegende Änderung gesehen. Die vietnamesischen Mitarbeiter von damals wollten nicht mehr auswandern und sich ihren Kindern anschließen, die schon im Ausland lebten. Sondern sie sagten, Vietnam habe sich geändert und verbessert, so dass sie lieber im Land geblieben sind.

Sie haben während des Krieges als AP-Bildredakteur zwei Fotos veröffentlich, die um die Welt gingen: Die Erschießung eines Vietcong durch den Polizeikommandanten von Saigon in den Kopf und ein nackt vor einem Napalm-Angriff fliehendes Mädchen. Beide Bilder waren umstritten: Warum?

Dieses Bild der nackt vor einem Napalm-Angriff fliehenden neunjährigen Kim Phuc Phan Thi von Nick Ut gab Faas 1972 als verantwortlicher AP-Bildredakteur frei
Dieses Bild von Nick Ut gab Faas 1972 als verantwortlicher AP-Bildredakteur freiBild: AP

Das erste Bild ist von Eddie Adams und wurde an einem der ersten Tage der Tet-Offensive der Nordvietnamesen 1968 aufgenommen. Ich habe damals als Bildredakteur im Büro in Saigon gearbeitet, weil ich einige Wochen zuvor schwer an den Beinen verletzt worden war. Ich hatte darum die Aufgabe, diesen Film von Eddie Adams zu redigieren und in die Welt zu schicken. Ähnlich war es vier Jahre später, als Nick Ut die neunjährige Kim Phuc Phan Thi fotografierte, die die Straße runter rennt und von oben bis unten von Napalm verbrannt worden war. Die Bilder waren umstritten, weil der Inhalt sehr anschaulich war. Damals waren Verleger, Zeitungen und Leser noch etwas zurückhaltender, wenn es um etwas wie eine Exekution oder ein brennendes, nacktes, kleines Mädchen ging. Heute hat sich das ein bisschen geändert, aber damals hatten viele Zeitungen Bedenken, so etwas zu veröffentlichen. Aber das waren solche dramatischen Bilder, da konnte man voraussagen, dass sie tatsächlich überall veröffentlicht werden.

Sie waren nach dem Krieg ab 1978 mehrmals wieder in Vietnam. Das Land hat sich seit Mitte der 1980er Jahre wirtschaftlich sehr stark entwickelt. Hätten Sie damit gerechnet?

Es war mir immer bewusst, dass die Südvietnamesen wie die Menschen allgemein in Südostasien ungewöhnlich fleißig und einfallsreich sind. Mich hat es nicht gewundert, dass die Vietnamesen sich wieder aufrappeln, aber man musste der Entwicklung nach Ende des Krieges 1975 Zeit geben. Es dauerte 15 bis 20 Jahre. Das Land öffnete sich schon nach vier bis fünf Jahren, aber erst so richtig, als wir in Europa Perestroika hatten und große Änderungen eintraten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die Veränderungen für die Vietnamesen durch den Wirtschaftsboom, den Vietnam-Krieg als Touristenattraktion und dessen Bedeutung im Alltag.

DW-WORLD.DE: Vietnam gilt als Vorbild für aufstrebende Entwicklungsländer, weil es gelungen ist, die Wirtschaft voranzubringen und gleichzeitig die Armut unter der Bevölkerung in fünf Jahren zu halbieren. Konnten Sie bei Ihren Besuchen im Land beobachten, dass es den Menschen tatsächlich besser geht?

Am Stadtrand der Hauptstadt Hanoi entstehen neue Wohnungen (2005)
Am Stadtrand der Hauptstadt Hanoi entstehen neue Wohnungen (2005)Bild: AP

Horst Faas: Abgesehen von Zahlen und Statistiken: Man bemerkt, dass die Menschen in den Dörfern, auch weit weg von den großen Städten, viel besser angezogen sind. Sie haben größere Häuser, Elektrizität und Toiletten. Vorher war die Armut in Südvietnam außerhalb der Städte gewaltig und im Norden war es wahrscheinlich noch viel schlimmer, weil die Menschen dort durch noch viel schwierigere Zeiten gegangen sind. Während meiner Besuche zwischen Mitte der 1980er Jahre und 2005 sah man, dass Saigon langsam eine moderne, saubere Stadt wurde. Diese endlosen Slums sind heute verschwunden. Sie wurden ersetzt durch Häuser, die am Anfang etwas kaserniert aussahen, aber heute sind da Bäume gewachsen und die Leute haben wieder ihre Marktstände um die Häuser herum. Es ist eine lebendige Stadt geworden. Hanoi war vorher eine dunkle Stadt ohne viel Verkehr und Schwung. Plötzlich änderte sich das: Häuserfassaden wurden gestrichen, es gab wieder Straßenlaternen. Es kam Leben in die Bude.

Überreste des Vietnam-Krieges sind für viele ausländische Besucher heute eine Attraktion. Die Tourismusbranche in Vietnam macht sich das gewinnbringend zunutze. Was halten Sie davon?

Es ist amüsant. Wie auf dem Schießstand beim Oktoberfest. Cu Chi ist eine der Städte, wo die geheimen Tunnelverstecke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. In Cu Chi habe ich 1978 den Kommandeur getroffen, der die Vietcong-Einheit befehligte, die sich während des Krieges dort mit den amerikanischen Fallschirmjägern herumgeschlagen hat. Er hat mir damals die Geschichte der Cu-Chi-Tunnel erzählt. Und dass er zum zukünftigen Direktor für den Tunnelkomplex, der für den Tourismus ausgebaut werden sollte, ernannt wurde. Das war schon 1978. Die Tunnel mussten für europäische Touristen alle erweitert werden. Das Gebiet ist größer geworden und die Geschichte ist gewachsen und gewachsen. Es ist schon etwas eigenartig, wenn man nach Cu Chi rausfährt, wo über Jahre tausende von Vietcong gestorben sind. Da fährt man jetzt mit dem Bus hin und kann mit einem Gewehr auf Scheiben schießen, auf Pappamerikaner oder was auch immer.

Können Sie verstehen, dass viele Vietnamesen heute nichts mehr vom Krieg wissen wollen?

Die allgemeine Stimmung der Vietnamesen hat sich geändert. Anfang der 1990er Jahre wurde noch über den Krieg gesprochen und ab und zu Erinnerungen aus der Zeit ausgetauscht. Heute wollen vor allem die jüngeren Vietnamesen vom Krieg gar nichts mehr wissen. Diejenigen, die ich als Organisator von Fotokursen kennen gelernt habe, wollen weder die alten Kommissare haben, die Heldengeschichten erzählen, noch wollen sie westliche Korrespondenten, die nur über ihre Erinnerungen an den Krieg sprechen. Ich glaube, der Vietnam-Krieg wird weggeschoben wie in Europa die Erinnerungen an die Weltkriege. Ich denke, dass die Vergangenheit ins Museum gepackt worden ist.

Sie waren im April 2005 zuletzt in Vietnam. Was haben Sie dort gemacht und was waren Ihre Eindrücke aus dem Land?

Propagandaplakat zum 30. Jahrestages des Kriegsendes in Vietnam im April 2005
Propagandaplakat zum 30. Jahrestages des Kriegsendes in Vietnam im April 2005Bild: AP

Es war der 30. Jahrestag des Kriegsendes und das war auch ein angenehmer Zug des modernen Vietnam: Die Parade ging morgens um 6.30 Uhr los und war um 8.30 Uhr zu Ende. Die ersten Truppen hatten noch Gewehre, aber dann kamen ein paar Jugendverbände mit Blumen und bunten Fahnen, eine einfache und kleine Gedenkfeier. Der Rest war ein Ferientag für die Vietnamesen. Natürlich gab es ein paar Reden von Politikern, aber das ganze wurde nicht groß in Szene gesetzt. Wir waren etwa 80 frühere Vietnam-Korrespondenten und -Fotografen. Ich war überrascht, wie offen man sich mit früheren Vietcong und anderen Soldaten und Journalisten unterhalten konnte. Diesmal war es wirklich so locker, dass man über alles und jeden reden konnte, ohne Bange, dass man sofort gemeldet wird.

Horst Faas (Oktober 2005)
Horst Faas (Oktober 2005)Bild: AP

Horst Faas, 1933 in Berlin geboren, gilt als einer der angesehensten Fotojournalisten der Gegenwart. Er begann seine Karriere 1951 bei der Bildagentur Keystone. 1952 wechselte er zur Nachrichtenagentur Associated Press (AP), für die er vor allem in Vietnam fotografierte. Von 1962 bis 1974 arbeitete er für die AP-Fotoredaktion in Saigon, zuletzt als deren Hauptfotograf, und war für die Bildberichterstattung der Agentur während des Vietnam-Krieges verantwortlich. 1976 wurde Horst Faas AP-Fotochef für Europa, Afrika und den Nahen Osten in London. Er wurde zwei Mal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet: 1965 für seine Arbeit in Vietnam und 1972, zusammen mit Michael Lorant, für die Bilder einer Exekution in Dakar. Er lebt heute in München.