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Halbzeit in Moskau

5. März 2010

Seit fast zwei Jahren steht das Tandem Medwedew-Putin an der Spitze Russlands. Auf den ersten Blick scheint es erfolgreich, aber das könnte sich ändern, meint Ingo Mannteufel, erste Reibereien seien schon sichtbar.

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Bild: DW

Vor fast zwei Jahren fand etwas Überraschendes im modernen Russland statt: Der mächtige Präsident Wladimir Putin beendete verfassungskonform seine zweite Amtszeit und hievte seinen Schützling Dmitrij Medwedew ins russische Präsidentenamt. Mit dem Anflug von Bescheidenheit begnügte sich Putin mit dem zweitwichtigsten Amt in der russischen Hierarchie: dem Amt des Ministerpräsidenten.

Portrait von Ingo Mannteufel, des Leiters der Russichen Redaktion der Deutschen Welle (Foto: DW)
Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion

Seit dieser Rochade wird von einem Tandem Medwedew-Putin an der Spitze des russischen Staates gesprochen. Viele Beobachter - auch ich - bezweifelten damals, dass dieses Tandem-Modell langfristig funktionieren würde, doch zu einem Bruch ist es in der Öffentlichkeit bislang nicht gekommen. Dazu dürften vor allem zwei Faktoren beigetragen haben.

Erfolgsfaktoren des Tandems

Erstens, die straffe Arbeitsaufteilung zwischen den beiden gelingt sehr gut. Medwedew gibt die großen strategischen Linien zur Modernisierung Russlands vor, während Putin sich um das politische und polit-ökonomische Alltagsgeschäft kümmert. Überschneidungen vermeiden beide strengstens. Dass führt soweit, dass Präsident Medwedew nicht alle seine verfassungsmäßigen Rechte nutzt.

So vermeidet er es beispielsweise, den Vorsitz bei Sitzungen der Regierung zu übernehmen und Putin als "zweiten Mann" erscheinen zu lassen. Von diesem Recht hat Putin - als er Präsident war - übrigens regelmäßig Gebrauch gemacht. Zudem gilt anscheinend bei wichtigen politischen Problemen und Personalentscheidungen das Prinzip der "zwei Schlüssel", wonach sich Medwedew und Putin in diesen Fragen einig sein müssen.

Zweitens werden gemeinsame öffentliche Auftritte vermieden, bei denen der Statusunterschied zwischen Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin deutlich werden könnte. Dass ist auch der Grund, weshalb die PR-Strategen des Kremls so viele Aufnahmen von Medwedew und Putin in lockerer und privater Atmosphäre veröffentlichen: Medwedew und Putin schauen im Cafe Fußball, Medwedew und Putin fahren gemeinsam Ski. Diese privaten Bilder sollen das Bild eines guten Teams erzeugen, ohne deutlich zu machen, dass der faktisch mächtigere Putin verfassungsmäßig nur die zweite Geige in Russland spielt.

Veränderungen im Spiel

Präsident Medwedwew und Premier Putin abgebildet auf einer Matrjoschka (Foto: dpa)
"Tandemokratie" unter Medwedew und PutinBild: picture-alliance/ dpa

Doch trotz dieser oberflächlichen Tandem-Harmonie spricht viel dafür, dass die zweite Hälfte der Amtszeit Medwedews anders verlaufen könnte, selbst wenn die beiden das bisherige Reglement in bewährter Weise fortsetzen wollen.

Weil es jetzt zwei Machtpole an der Spitze des russischen Staates gibt, bieten sich jede Menge Bruchstellen, an denen sich die regierende politische Elite reiben kann. Weil Medwedjew versucht sich als Reformer zu inszenieren, und immer mehr Demokratie predigt, fällt es im Gegenzug Putin-Kritikern leicht, das von diesem geprägte politische und ökonomische System anzugreifen.

So kritisierte der Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, der eigentlich als Putin-nah gilt, offen in einer Fernsehsendung den Ministerpräsidenten. Oder Experten vom Institut für moderne Entwicklung (Insor), dessen Kuratorium Präsident Medwedew leitet, forderten eine politische Modernisierung des Landes in Richtung Europa.

Auch ökologische und soziale Protestbewegungen greifen immer mehr politische Forderungen auf. Auf Kundgebungen forderten sie bereits offen einen Rücktritt Putins, ohne jedoch den Präsidenten Medwedew zu kritisieren.

Diese Entwicklungen werden Medwedew und Putin künftig das politische Leben schwer machen, insbesondere weil nun die Zeit auf die nächsten Präsidentenwahlen 2012 zuläuft. Die große Frage, wer von den beiden antritt, dürfte die russische Politik immer stärker dominieren.

Umso früher sie sich öffentlich entscheiden, umso früher wird einer als "politische lahme Ente" erscheinen. Umso später sie jedoch ihre Entscheidung kund tun, umso größer wird die Verlockung für Rivalen, Medwedew und Putin gegeneinander zu instrumentalisieren. Die zweite Halbzeit der Tandemokratie verspricht also spannend zu werden. Eine Verlängerung ist unwahrscheinlich.