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"Die Zeit ist richtig für die Erweiterung"

Das Interview führte Janine Albrecht3. Mai 2004

Die Europäische Union hat Zuwachs bekommen: Am 1. Mai 2004 wurden gleich zehn neue Staaten aufgenommen. Prof. Wolfgang Wessels von der Uni Köln im Interview mit DW-WORLD zu Chancen und Problemen der Erweiterung.

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Den Durchblick behalten - <br>auch mit 25 StaatenBild: AP

DW-WORLD: Was gibt es für Europa eigentlich zu feiern?

Prof. Wolfgang Wessels: Ein Blick in die Geschichte reicht glaube ich, um zu sagen welch historisches Datum der 1. Mai ist. Dass die Europäischen Nationen, die sich seit Jahrhunderten bekriegen, nun versuchen gemeinsam wesentliche Problem zu lösen, in einer fairen, institutionellen, rechtsstaaltichen und auch mit demokratischen Elementen gespickten Form. Also, es gibt wirklich was zu feiern.

Sind denn die Beitrittsländer schon reif für die EU?

In vielen Bereichen bestehen natürlich noch große Schwierigkeiten, sich anzupassen. Wir kennen das, weil auch Deutschland Probleme hat, sich an die gemeinsam gesetzten Beschlüsse zu halten. Das wissen wir, wir gehören ja zu den Sündern dieser Gemeinschaft. Die neuen Mitgliedsstaaten haben natürlich noch mehr Schwierigkeiten, sich anzupassen und insofern sind sie noch nicht auf allen Gebieten so reif, wie man sich das wünschen würde und da werden natürlich auch zusätzliche Probleme entstehen.

Welche Probleme meinen Sie?

Wolfgang Wessels
Prof. Wolfgang Wessels vom Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen an der Universität zu KölnBild: DW

Das ist insbesondere der Bereich der Agrarpolitik und der Umweltstandards, auch der Standards der Lebensmittelproduktion, im Lebensmittelexport. Hier gibt es sicherlich eine ganze Reihe von Problemen und die werden noch eine wichtige Rolle spielen.

Ein Problem, das in Deutschland immer wieder gesehen wird, ist der Arbeitsmarkt. Werden wir nun durch noch mehr billige Arbeitskräfte aus dem Osten überschwemmt?

Es werden natürlich auch Arbeitskräfte nach Deutschland kommen und in einigen Bereichen brauchen wir sie auch. Und ich denke, in manchen Bereichen wird das auch die Arbeitskräfteknappheit, die wir ja trotz großer Arbeitslosigkeit immer wieder haben, reduzieren. Auch da werden Anpassungen geschehen, man kann das mit negativen Vorzeichen sehen, aber auch im Sinne einer weltweiten Anpassung an Produktionsbedingungen. Das kann sogar positiv sein, dass wir jetzt auch Arbeitskräfte haben, die vielleicht flexibler sind, das eine oder andere schneller machen können, als das die Arbeitskräfte hier in Deutschland tun.

Ein Bereich, in dem die EU weltweit noch keine große Stimme hat, ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Das wurde durch den Irak-Krieg sehr deutlich. Wird Europa jetzt mit 25 Staaten gegenüber den USA stärker sein?

Da wo es wirklich um grundsätzliche Fragen geht, wie zum Beispiel das Verhältnis zu den USA, wird es wohl schwer werden. Es wird weiterhin mehrere Lager geben, wie das auch schon bei den 15 EU-Staaten war. Einige werden das atlantische Verhätlnis sehr stark in den Vordergrund stellen, andere, wie Deutschland, eine gewisse ausgleichende Position einnehmen und wieder andere eine rein europäische Position vertreten, wie Frankreich. Und es wird Staaten geben, die sich neutral verhalten. Hier wird das Feld sicher nicht einfacher, aber man könnte hoffen, dass es sich auf die Dauer stärker annähert.

Polen etwa hat sich in der Frage des Irak-Krieges besonders auf die Seite der USA gestellt. Wie sehen Sie Polens Position in der EU?

Was ich aus Polen höre ist, dass man bei weiter bestehendem Engagement für die USA dort auch Grenzen sieht und durchaus auf eine europäische Politik drängt. Aber die dann vielleicht ein bisschen anders aussieht, als das was Deutsche und Franzosen wollen, aber darauf muss man sich eben einstellen.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie sich die Politik der EU durch die Erweiterung verändern wird.

Die neuen Beitrittsländer haben ihre eigenen Interessen. Wird sich dadurch auch die Politik in der EU verändern oder werden sich neue Schwerpunkte bilden?

Wladimir Putin und Romano Prodi
Der russische Präsident Wladimir Putin und EU-Außenkommissar Romano ProdiBild: AP

Sicherlich wird es ergänzende Schwerpunkte geben. Ich denke in der Außenpolitik werden diese Staaten ihr Schwergewicht auf das Verhältnis zu Russland lenken. Was nicht notwendiger Weise immer einfacher wird, auch nicht für die deutsche Politik. Man wird sicherlich in vielen Bereichen, sicher der Regionalpolitik neue Akzente sehen, vor allem im Bereich der Agrarpolitik. Ansonsten muss man einfach abwarten, wie die politischen und ökonomischen Entwicklungen aussehen werden. Ich denke, es wird nicht grundsätzlich angelegt werden, aber es werden sicherlich viele kleinere Fragestellungen neu aufgegriffen werden. Aber das ist ja nicht immer falsch, dass man alte Politik immer wieder überdenkt.

Bereits mit 15 Staaten hat sich die EU oft schwer getan, Beschlüsse umzusetzen. Wie wird sich die Arbeit innerhalb der EU, in den Institutionen verändern?

Es ist natürlich viel schwerer sich zu 25 um einen Tisch zu setzen als zu 15. Das hat schon seine Auswirkungen und man muss sicher einiges anpassen. Es wird weniger langwierige Diskussionen geben, sondern eine Diskussion, die auf den Punkt führt. Nicht jeder muss dann zu jedem Punkt etwas sagen. Ob es immer schwieriger wird, weiß ich gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sich einzelne Staaten nicht mehr so leicht gegen die übrigen stellen können und so Entscheidungen auch verlangsamen. Denn einer gegen 24 ist schon was anderes als einer gegen fünf oder 14. Es wird daher wichtiger sein, einen Konsens zu finden. In einer großen Gruppe muss man sich vielleicht dynamischer auf vieles einstellen.

Die Europäische Union wird mit der Erweiterung auch geograpisch sehr groß. Ist es nun mit 25 Staaten genug oder wo sehen Sie die Grenzen der EU?

EU Erweiterung Symbolbild mit Flaggen
Die Flaggen der neuen BeitrittsländerBild: APTN

Da muss man erstmal schauen, wie die Union mit 25 Staaten funktionieren wird. Erst dann kann an eine weitere Erweiterung gedacht werden. Insbesondere stehen ja jetzt Bulgarien und Rumänien an, Kroatien wird vielleicht zusätzlich auf den Zug aufspringen können und natürlich die Grundfrage der Türkei in der nächsten Zeit. Ich glaube da muss man vieles abwarten. Es ist etwas schwierig jetzt schon zu sagen, wo denn da die Grenzen zu ziehen sind. Ich würde das bewusst etwas offen lassen. Wir sind da in der EU immer wieder überrascht worden von historischen Entwicklungen. Ich weiß, es gibt eine Reihe von Politikern, die das gerne machen würden, um auch eine Art Sicherheit zu vermitteln. Aber ich finde, dass ist jetzt zu früh.