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Eine hummanitäre Katastrophe droht

24. April 2009

IWF und Weltbank warnen vo einer humanitären Katastrophe: Die weltweite Wirtschaftskrise wird in den Entwicklungsländern 90 Millionen Menschen in extreme Armut treiben.

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"Wenn der Reiche weniger zu essen hat, verhungert der Arme." Mit diesem Satz des französischen Schriftstellers Alphonse Allais lassen sich die Folgen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise in den großen Industriestaaten und in den Entwicklungsländern kennzeichnen. In den trotz der Krise nach wie vor reichen Industriestaaten steigt die Arbeitslosigkeit, was für die davon betroffenen Menschen schlimm ist. Aber immerhin werden sie von einem funktionierenden Sozialsystem aufgefangen. Viel schlimmer ist die Situation in den Entwicklungsländern, in denen die Zahl der Arbeitslosen noch stärker zunimmt und in denen es soziale Sicherungssysteme nicht gibt. Nach der Warnung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds werden bis zu 90 Millionen Menschen zusätzlich in absolute Armut geraten. Die Zahl der Hungernden droht auf über eine Milliarde zu steigen. Die Dritte Welt treibt in einen Entwicklungs-Notstand.

Dramatischer Einbruch

DW Experte Karl Zawadzky
DW-Experte Karl ZawadzkyBild: DW

In der Folge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist in 94 von 116 Entwicklungs- und Schwellenländern das Wirtschaftswachstum teilweise dramatisch eingebrochen. Dabei ist der statistische Durchschnittswert gar nicht mal so schlecht, aber er bildet die Realität nicht wirklich ab. Denn nach einem Wirtschaftswachstum von 8,1 Prozent in den Jahren 2006 und 2007 wird in der Dritten Welt im laufenden Jahr immer noch eine durchschnittliche Wachstumsrate von 1,6 Prozent erzielt. Dieser Durchschnittswert hat vor allem damit zu tun, dass die gigantischen Volkswirtschaften der Schwellenländer China und Indien in der Statistik zur Dritten Welt gezählt werden. Zwar sind auch in China und Indien die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten vorbei, aber trotz der Krise nimmt dort die Wirtschaft noch in einem Ausmaß zu, von dem die alten Industriestaaten selbst in Boom-Zeiten nur träumen können. Aber wegen ihres starken Bevölkerungswachstums ist ein Wirtschaftswachstum von vier bis sechs Prozent in Indien und China zu niedrig, um in nennenswerter Zahl Menschen von der absoluten Armut zu befreien.

Druck von vier Seiten

In vielen anderen Entwicklungsländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, geht es nicht um zu niedrige Wachstumsraten, sondern um einen massiven Verlust an Wirtschaftsleistung. Denn die Dritte Welt gerät durch die von den Industriestaaten verursachte Wirtschafts- und Finanzkrise immer stärker und zwar gleich von vielen Seiten unter Druck. Einige Beispiele: Zur Finanzierung ihrer Bankenrettung und ihrer Konjunkturpakete nehmen die Industriestaaten auf den internationalen Kapitalmärkten gigantische Summen in Form von Krediten oder Anleihen auf. Das schränkt die Finanzierungsmöglichkeiten der Entwicklungsländer erheblich ein. Und was für sie an kommerzieller Finanzierung bleibt, das wird teurer. Hinzu kommt, dass private Kapitalgeber in großem Umfang Geld aus Entwicklungsländern abziehen, weil sie der Entwicklung dort nicht länger trauen und weil sie ihr Geld zu Hause brauchen. Damit nicht genug, hat die Wirtschaftskrise für viele Rohstoffexporteure in der Dritten Welt zu einem gleichzeitigen Preis- und Mengenverfall geführt. Schließlich verlieren Arbeitsmigranten ihre Jobs, was zu rückläufigen Überweisungen an Angehörige in der Heimat führt.

Gerade diejenigen Länder sind in besonderer Weise vom Anstieg der Armut betroffen, die sich entsprechend dem Rat der Industriestaaten sowie der multilateralen Entwicklungsorganisationen in die Weltwirtschaft und in die weltweite Arbeitsteilung eingeklinkt haben. Damit waren sie lange Zeit durchaus erfolgreich; nun erleben sie einen brutalen Rückschlag, der erst die Zahl der Arbeitslosen und dann die Zahl der Hungernden ansteigen lässt. Im vergangenen Jahr haben der Anstieg der Preise für Nahrungsmittel und Energie viele Länder der Dritten Welt hart getroffen, nun schlägt die globale Rezession zu. Während in den Industriestaaten die Opfer der Krise durch ein soziales Netz aufgefangen werden, steigt in den Entwicklungsländern das Potenzial für Hungerrevolten und für den Hungertod – und in Afrika die Bereitschaft, dem Elend nach Europa zu entfliehen, auch wenn die Passage über das Mittelmeer das Leben kosten kann.

Millenniumsziele in Gefahr

Die globale Krise ist durch ein Markt- und Staatsversagen auf den Finanzmärkten der Industrieländer verursacht worden. Mit einiger Zeitverzögerung haben die Schockwellen die Dritte Welt erreicht, wo nicht nur einer Reihe von Ländern der Staatsbankrott, sondern – schlimmer noch – vielen Millionen Menschen eine humanitäre Katastrophe droht. Die Vereinten Nationen werden ihre ehrgeizigen Millenniumsziele – nämlich eine Halbierung der absoluten Armut - nicht erreichen. Hunger, Krankheiten und Kindersterblichkeit werden nicht weiter abnehmen, sondern erst einmal wieder zunehmen. Nur mit einer großen Anstrengung der Industriestaaten lassen sich die schlimmsten Auswirkungen der Krise eindämmen. Mehr Entwicklungshilfe ist nötig, aber noch wichtiger ist, dass die Industriestaaten trotz der Krise endlich ihre Märkte für Produkte der Entwicklungsländer weiter öffnen. Das wäre der beste Weg, den Anstieg der absoluten Armut in der Dritten Welt zu verhindern.

Autor: Karl Zawadzky

Redaktion: Rolf Wenkel