1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die Wähler sind sehr beweglich"

17. September 2005

Die Bundestagswahl wird spannender als ursprünglich erwartet. Im Interview mit DW-TV erklärt Richard Hilmer, Geschäftsführer von Infratest Dimap, warum so viele Deutsche kurz vor der Wahl unentschlossen sind.

https://p.dw.com/p/7BM8
Richard HilmerBild: dpa

DW-TV: Herr Hilmer, Rot-Grün lag über Wochen völlig abgeschlagen hinter Schwarz-Gelb. Hat Gerhard Schröder überhaupt noch eine Chance, seine Kanzlerschaft zu verteidigen?

Richard Hilmer: Im Schlussspurt hat die SPD noch einmal geschafft, etwas näher an die CDU heranzukommen. Die vergangene Woche hatten wir keine Umfragen mehr durchgeführt. Das heißt, wir müssen uns auf die Ergebnisse der Vorwoche stützen. Da sah man einen gewissen Annäherungstrend, aber es waren immer noch sieben Punkte. Das wäre natürlich schon ein fulminanter Schlussspurt, wenn es Rot-Grün noch einmal gelingen sollte. Zumal dieses Mal in jedem Falle die PDS oder die Linkspartei im Bundestag – höchstwahrscheinlich zumindest – vertreten sein wird. Man muss nur zurückdenken: 2002 hätte es ja damals schon nicht zur Rot-Grünen Mehrheit gereicht, wenn eben die PDS auch nur ein drittes Direktmandat gewonnen hätte. Aber es wird eben für beide Gruppierungen schwierig, mit einer Linkspartei – mit einer fünften Partei im Parlament – über eine Mehrheit zu verfügen.

Die SPD möchte aber wieder stärkste Partei werden. Und in der SPD hoffen jetzt viele auf ein Wunder, dass es so wird wie im Bundestagswahlkampf 1972. Auch damals hatten die Demoskopen Willy Brandt praktisch schon abgeschrieben und dann hat er doch noch die Wahl gewonnen. Kann so was passieren?

Also die Wähler sind in der Tat mittlerweile sehr beweglich geworden. Sie verharrten zwar sehr lange in der Ungewissheit, aber der SPD – insbesondere Schröder - ist es im TV-Duell gelungen, gerade Unentschiedene und Unentschlossene wieder zu gewinnen. Und was eben in der letzten Woche zum ersten Mal überhaupt passierte, ist, dass er eben ein paar an die CDU verloren gegangene Wähler auch zurück gewann. Das ist entscheidend dafür, wenn die SPD überhaupt in die Nähe der CDU kommen sollte. Das sollte man nach der letzten Woche nicht völlig ausschließen, aber es wäre natürlich eine noch gewaltigere Leistung als 1972 von Willy Brand.

Wie erklären sie sich das denn, dass die SPD in diesem Schlussspurt des Wahlkampfes wieder mehr Zuspruch bekam?

Das hat natürlich mit Bundeskanzler Schröder zu tun. Er hat seine Chance im TV-Duell sicherlich gewahrt. Er hat sich dort sehr präsent, auch präzise präsentiert. Allerdings ging es nicht ohne Zutun auch des Wettbewerbers, denn das Problem der CDU war etwas überraschend - die Debatte um die Steuerpolitik sicherlich verbunden mit dem Namen Kirchhof. Er startete fulminant, war eigentlich eine brillante Besetzung, so schien es im ersten Augenblick. Aber die Diskussionen, die sich daran anschlossen, die auch innerhalb der Union für Unruhe und auch Kritik sorgten, haben die Wähler ganz offensichtlich ein bisschen verunsichert. Und das war die Aufgabe der Union in der letzten Woche, diese Verunsicherung noch abzubauen, um eben ihr Wahlziel, eine Schwarz-Gelbe Mehrheit, zu erreichen.

Dieser Wahlkampf ist ja auch für Ihre Zunft – für die Meinungsforscher – eine ganz schwierige Sache, weil so viele Deutsche bis kurz vor der Wahl unentschlossen sind – mehr als 20 Prozent. Wie erklären Sie sich, dass die Deutschen nicht wissen, wo sie ihr Kreuz machen sollen?

Die Bürger wissen nicht so ganz genau, wem sie sich in dieser schwierigen Situation anvertrauen sollen. Sie kennen Schröder, er hat sie 2002 zwar enttäuscht, aber sie wissen zumindest in welche Richtung es geht. Auf der anderen Seite, sind eben viele der Meinung, das reicht nicht aus, wir brauchen einen radikaleren Wechsel. Es geht also genau um diese Frage: lieber einen gebremsten Wechsel, möglicherweise eben mit der SPD und der CDU gemeinsam. Oder eben einen radikaleren Wechsel der Systeme in der Form von Schwarz-Gelb. Viele Wähler sind bis zum Schluss - Sie haben es gesagt - unsicher. Und diese unsicheren Wähler, die sich jetzt sicherlich zum Teil an der Wahlurne selbst erst entscheiden, werden den Ausschlag geben. Diese Wahl wird wahrscheinlich erst in den letzten Tagen entschieden.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 und erfahren Sie u.a., wie die Deutschen zu einer großen Koalition stehen und welche Bedeutung Ostdeutschland für den Ausgang der Bundestagswahlen haben wird.

Wenn keines der Lager eine Mehrheit hat, ist eine große Koalition nahe liegend. Wollen die Deutschen das überhaupt, ein Regierungsbündnis aus den beiden Großen?

Es gibt eine gewisse Präferenz dafür. Zumindest zuletzt lag die große Koalition doch deutlich vor Schwarz-Gelb, Rot-Grün war ziemlich abgeschlagen. Andere Koalitionen spielten praktisch überhaupt keine Rolle. Dieses hängt damit zusammen, dass viele Bürger der Meinung sind, die großen Probleme erforderten ein Zusammengehen der beiden großen Parteien, wie es ja faktisch in den letzten zwei Jahren schon in den großen Reformschritten der Fall war. Es gibt eine Reihe von weiteren Punkten, wo es die beiden Großen auch versucht haben, die Föderalismus-Kommission hat versucht, das Verhältnis Bund und Länder neu zu gestalten, ist kurz vor dem Ziel aber leider gescheitert.

Es gibt schon eine Reihe von Aufgaben für die beiden großen Parteien, aber klar ist natürlich auch, dass dieses für die Parteienlandschaft sicherlich eine schwierige Konstellation ist. Das gilt besonders für die SPD. Für sie ist es dann nicht ganz einfach, wie sie sich verhalten soll, wenn eine Linkspartei im Parlament gegen sie opponiert. Aber wenn es der Wähler so entscheidet, dann müssen sich die beiden Großen zusammenraufen. Es gäbe rechnerisch andere Konstellationen, aber da haben sich die Parteien doch so eindeutig festgelegt, dass man eigentlich nur noch von diesen beiden Alternativen ausgehen kann.

Die Linkspartei-PDS ist die große Unbekannte und ihr Abschneiden wird entscheidend für die Sitzverteilung im Bundestag sein. Nun liegt die umbenannte SED-Nachfolgepartei im Osten gleichauf mit SPD und CDU. Wird die Wahl im Osten entschieden?

Zuletzt hat die Linkspartei ziemlich deutlich verloren. Sie lag ja schon bei 12 Prozent, rutschte dann runter auf 8 Prozent. Also da gab es schon wieder eine Wegbewegung von der Linkspartei in der Regel hin wieder zur SPD, die davon profitierte. Aber man muss davon ausgehen, dass sie im Bundestag vertreten sein wird. Im Westen gibt es eine relativ klare Wechselstimmung und zwar zugunsten von Schwarz-Gelb, aber die ist im Osten nicht erkennbar. Die Union rangiert in etwa auf dem Niveau von 2002 und das wäre auf jeden Fall zu wenig.

Die Herausforderin des Kanzlers, Angela Merkel, kommt aus dem Osten. Gibt ihr das in den neuen Ländern keinen Bonus?

Nein, das ist das erstaunliche, bemerkenswerte, auch sicherlich überraschende. Im Gegenteil: Bei der Kanzlerpräferenz liegt Schröder im Osten sogar noch deutlicher vor Frau Merkel als im Westen. Also ganz offensichtlich hat sie keinen Ostbonus. Bei der anderen Zielgruppe, die auch für Frau Merkel wichtig ist, die Frauen, sieht es ein bisschen anders aus, da hat sie zumindest den Vorsprung etwas verringern können, den Schröder seinerzeit bei Stoiber 2002 hatte.

Christian Trippe

Das Gespräch führte Christian F. Trippe, Leiter des Hauptstadtstudios von DW-TV