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Ukraine, Russland und der Westen

Roman Goncharenko4. Dezember 2014

Sicherheitsgarantien als Gegenleistung für die Aufgabe von Atomwaffen. Das war vor 20 Jahren der Deal zwischen der Ukraine, dem Westen und Russland. Heute erinnern sich die Beteiligten ungern daran.

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Budapest Memorandum, Treffen im März 2014 in Paris (Foto: REUTERS/Kevin Lamarque)
Russland blieb dem Treffen der Unterzeichnerstaaten des Budapester Memorandums im März 2014 in Paris fernBild: Reuters

Dass die Ukraine einst eine Atommacht war und ihre Nuklearwaffen gegen Sicherheitsgarantien aufgegeben hatte, wussten im Westen bis vor Kurzem nur Sicherheitsexperten und manche Politiker. Seit der russischen Annexion der Krim erinnert vor allem die Ukraine immer wieder an das sogenannte Budapester Memorandum. Das Dokument wurde am 5. Dezember 1994 auf dem Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterzeichnet.

Darin begrüßten die USA, Großbritannien und Russland die Entscheidung der Regierung in Kiew, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Sie sicherten unter anderem zu, die Unabhängigkeit und "die existierenden Grenzen" der Ukraine zu respektieren. Ähnliche Memoranda unterzeichneten am gleichen Tag die ehemaligen Sowjetrepubliken Weißrussland und Kasachstan.

Kein schwarzer Koffer mit Startknopf

Portrait von Leonid Krawtschuk (Foto: AP Photo/Sergei Chuzavkov)
Leonid Krawtschuk: Die Ukraine hatte keine Kontrolle über die Atomwaffen auf ihrem GebietBild: AP

Vor 20 Jahren markierte das Budapester Memorandum den Abschluss langjähriger Verhandlungen zwischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und führenden westlichen Atommächten. Die Ukraine hatte dabei eine besondere Stellung. Nach dem Zerfall der UdSSR 1991 erbte das osteuropäische Land 176 strategische und mehr als 2500 taktische Atomraketen. Damit hatte die Ukraine das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt, direkt hinter den USA und Russland.

Doch das sei nur formell so gewesen, sagt Leonid Krawtschuk, damals Präsident der Ukraine im Gespräch mit der Deutschen Welle. Kiew sei de facto machtlos gewesen: "Alle Kontrollsysteme waren in Russland, der so genannte schwarze Koffer mit dem Startknopf war beim russischen Präsidenten Boris Jelzin."

Druck des Westens und formelle Garantien

Die Ukraine hätte die Atomwaffen behalten können, doch der Preis dafür wäre enorm gewesen, erklärt Krawtschuk. Zwar wurden die Trägerraketen im südukrainischen Dnipropetrowsk produziert, nicht jedoch die nuklearen Sprengköpfe. Eine Eigenproduktion und Wartung wären zu teuer gewesen. "Es hätte uns 65 Milliarden US-Dollar gekostet und die Staatskasse war leer", so Krawtschuk. Außerdem habe der Westen der Ukraine mit Isolation gedroht, denn die Raketen seien auf die USA gerichtet gewesen. Die Atomwaffen abzugeben sei daher "die einzig mögliche Entscheidung" gewesen, bilanziert der erste ukrainische Staatschef.

Die ukrainischen Raketen wurden nach Russland abtransportiert oder zerstört. Als Kompensation erhielt die Regierung in Kiew finanzielle Hilfe aus den USA, günstige Energielieferungen aus Russland und Sicherheitsgarantien, die im Budapester Memorandum festgeschrieben wurden.

Allerding seien diese Garantien nur eine Formalie gewesen, da kein Sanktionsmechanismus festgeschrieben worden sei. Darauf weisen Experten wie Gerhard Simon hin. "Da steht nirgendwo drin, falls ein Staat dieses Memorandum verletzt, werden die anderen militärisch eingreifen", sagt der Osteuropa-Experte von der Universität zu Köln. Auch der deutsche Publizist und Ukraine-Kenner Winfried Schneider-Deters stellt im DW-Gespräch fest: "Das Abkommen ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde." Das Budapester Memorandum sei im Fall der Krim von der russischen, aber auch von der westlichen Seite nicht eingehalten worden.

Russland weist Vorwürfe zurück

So sieht es auch die heutige Regierung in Kiew. Noch im August forderte sie Beratungen mit den Unterzeichner-Staaten. Ohne Erfolg. Russlands Antwort sei gewesen, es gebe keinen Grund dafür, teilte ein Sprecher des ukrainischen Außenamts mit. Moskau hatte bereits im April, nur wenige Wochen nach der Krim-Annexion, alle Vorwürfe aus Kiew zurückgewiesen. Der "Austritt der Krim aus der Ukraine" sei das Ergebnis "komplexer interner Prozesse". Diese beträfen nicht Russlands Verpflichtungen im Rahmen des Budapester Memorandums.

Auch die USA bestreiten, dass sie ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. "Das Budapester Memorandum war kein Abkommen über Sicherheitsgarantien", sagte im Mai der US-Botschafter in Kiew, Jeffry Payette. Es sei die Verpflichtung gewesen, die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren. Russland habe diese verletzt.

Kiew will Nachfolgeabkommen

Portrait von Petro Poroschenko (Foto: Soeren Stache/dpa)
Präsident Petro Poroschenko sucht nach Sicherheitsgarantien für sein LandBild: picture-alliance/dpa

Die Ukraine jedenfalls hält bis heute am Budapester Memorandum fest. Das betonte Präsident Petro Poroschenko Ende November in einem ARD-Interview. Zuvor hatte er erklärt, sein Land strebe ein Nachfolgeabkommen an. Doch Experten sind skeptisch. "Ein Abkommen hätte nur Sinn, wenn Russland eingebunden und bereit wäre, der Ukraine Sicherheit zu garantieren", meint Gerhard Simon. Er hält das für unwahrscheinlich. "Sollte der Westen so ein Abkommen unterzeichnen, wäre das wie ein kleiner Beitritt zur NATO, ohne dass es förmlich so ist", sagte der Experte. Er fürchtet, dass weder die USA, Großbritannien noch sonst jemand dazu bereit wären. Das Budapester Memorandum sei "tot", ein neues nicht in Sicht und die Ukraine auf sich alleine gestellt, so seine Bilanz.

Der Publizist Schneider-Deters meint, die Ukraine solle kein Nachfolgeabkommen anstreben. Stattdessen solle Kiew lieber seine eigene Verteidigung ausbauen. "Ich glaube schon, dass die Ukrainer eine abschreckende Verteidigungsfähigkeit auf die Beine stellen können", meint der Experte. Das sei besser als "Sicherheitsgarantien, die in der Realität nicht eingehalten werden".