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Schatten der Militärdiktatur

4. Oktober 2010

Vergangenheitsbewältigung und Neuanfang sind die Themen der argentinischen Schriftstellerin Elsa Osorio. Sie schreibt über Menschen, die sich mit ihren Erinnerungen an das Leben in der Militärdiktatur auseinandersetzen.

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Die argentinische Schriftstellerin Elsa Osorio, Quelle: Suhrkamp Verlag
Die argentinische Schriftstellerin Elsa OsorioBild: Suhrkamp Verlag
Buchcover Sackgasse mit Ausgang von Elsa Osorio, Quelle: Suhrkamp Verlag
Osorios Erzählungen: "Sackgasse mit Ausgang"
In der Wohnung einer Nachbarin begegnet Laura einem Handwerker. Schlagartig wirft sie ihre Erinnerung 26 Jahre zurück, in die Zeit der argentinischen Militärdiktatur, während der sie selbst als Siebzehnjährige in einem Foltergefängnis festgehalten wurde. Ist dieser Handwerker namens Pepón wirklich ihr damaliger Peiniger? Und hat er sie ebenfalls wiedererkannt? Mit Erzählungen wie dieser zeigt Elsa Osorio in ihrem neuen Buch "Sackgasse mit Ausgang" Momentaufnahmen von Menschen, die durch die Gewalt des staatlichen Terrors aus der Normalität gerissen wurden. Geschichten von Menschen, die sich von der Vergangenheit befreit haben, und von solchen, die in ihr gefangen blieben. Sie schreibt von der Ohnmacht der Opfer, den Lügen der Täter, aber auch der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit; sie erzählt Träume und Hoffnungen von Menschen, die eine Sackgasse mit Ausgang suchen.

Argentiniens Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit ihr ist das immer wieder kehrende Thema in den Büchern von Elsa Osorio. Die Schriftstellerin wurde 1952 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires geboren. Sie studierte Literatur und arbeitet seitdem als Schriftstellerin, Journalistin, Drehbuchautorin und Dozentin. 1994 verließ sie Argentinien, nicht zuletzt, weil sie mit dem fehlenden Willen der Regierung unter Präsident Carlos Menem, die Verbrechen während Militärdiktatur aufzuarbeiten, nicht einverstanden war. Sie ließ sich in Madrid nieder.


Mein Name ist Luz

1982 debütierte sie mit dem Erzählband "Ritos privados" (deutscher Titel: "Private Riten"), für den sie im 1983 den bedeutendsten Literaturpreis ihres Landes, den "Premio Nacional de Literatura Argentina", erhielt. Für Reina Mugra (1990) erhielt sie den "Premio Sociedad Argentina de Escritores" und 1992 für ihre Komödie "Ya no hay hombres" den Preis für das beste Drehbuch. Mit Roman "A veinte años, Luz" (deutscher Titel: "Mein Name ist Luz") schaffte sie 1998 den internationalen Durchbruch. Das Buch trug ihr den Literaturpreis von Amnesty International ein, wurde in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt und in 23 Ländern veröffentlicht.

Mütter von der Plaza de Mayo, Foto: dpa
Bis heute demonstrieren die Mütter von der Plaza de Mayo und suchen nach ihren KindernBild: dpa

Mit dem Thema der Kinder von "Verschwundenen" greift sie darin ein besonders düsteres Kapitel der südamerikanischen Militärdiktaturen auf: Im Mittelpunkt steht Luz, die erst im Alter von zwanzig Jahren herausfindet, dass sie nicht die Tochter ihrer vermeintlichen Eltern, sondern Tochter einer politisch Verfolgten, einer "Verschwundenen" ist. Gleich nach der Geburt wurde sie ihrer Mutter weggenommen, die von den Militärs verhaftet und schließlich umgebracht wurde. Das Schicksal der jungen Frau, die sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit begibt, steht stellvertretend für ein Verbrechen, wie es sich tausendfach in Argentinien während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 ereignet hat.


Gespaltene Reaktionen

Rund 30.000 Menschen wurden in der Zeit verschleppt, gefoltert und ermordet. Die meisten der Opfer waren Jugendliche oder junge Erwachsene, die in einer Studentenorganisation, Gewerkschaft oder Linkspartei waren. Eines der perfiden Verbrechen war der systematische Kindesraub, das schwangeren Frauen nach der Geburt die Neugeborenen wegnahm und linientreuen Militärfamilien zur "Adoption" freigab, während man die Mütter umbrachte.



Festnahmen nach Protesten am 30 März 1982, Foto: ap
"Eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit ignoriert, kann in der Zukunft nicht mehr atmen", sagt Elsa Osorio. Nicht alle Argentinier sind der gleichen Meinung.Bild: AP

Die Reaktionen auf das Buch waren gespalten: Während es weltweit positive Kritiken gab, hatte Elsa Osorio in Argentinien zunächst Probleme, einen Verleger zu finden. Erst nachdem der Roman 1998 in Spanien erschienen und dort auf große Resonanz gestoßen war, kam er auf den südamerikanischen Markt. "Die Mütter der Plaza de Mayo", erzählte die Autorin später, "waren dankbar, dass ihr Thema Aufmerksamkeit erfuhr. Und auch junge Argentinier wollen mehr darüber erfahren. Aber die Mehrheit will die Gräueltaten während der Diktatur ignorieren."

1976, zu Beginn der Militärdiktatur, war Osorio mit ihrem ersten Kind, einer Tochter, schwanger. "Mir hätte", sagte sie später, "das gleiche Schicksal widerfahren können." Sie ist davon überzeugt, dass sie mitverantwortlich dafür ist, wie ihr Land mit seiner Geschichte umgeht: "Eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit ignoriert, kann in der Zukunft nicht mehr atmen."

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Mirjam Gehrke