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Die Sünde – nicht nur in der Werbung und in Schlagern

14. November 2015

Das Wort „Sünde“ kommt in unserem Alltag kaum noch vor, und wenn, dann eher spielerisch. Dabei stecken ganz elementare Erfahrungen dahinter. Für die evangelische Kirche beschreibt sie Ralph Frieling.

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Ausstellung Das Alte Testament Pinakothek München Lucas Cranach Adam und Eva
Bild: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, München

Kleine Delikte
Kann denn Liebe Sünde sein? Sang Zarah Leander 1938 in ihrem berühmten Schlager. Aber was kann überhaupt Sünde sein? Ist es Sünde, der “zartesten Versuchung, seit es Schokolade gibt” nachzugeben? Oder ist die überfahrene rote Ampel wirklich schon ein Grund für den Eintrag in die Verkehrssünderdatei? Und das heimlich entsorgte Altöl ist für viele nicht mehr als eine Umweltsünde. Die Sünde ist längst harmlos geworden in unserer Sprache. Sie wird gleichzeitig dramatisiert und verharmlost. Was ist denn noch Sünde, wenn alles Sünde sein kann? Man spielt mit der ursprünglichen ernsten Bedeutung der Sünde. Und damit bekommen der Seitensprung, die Schokolade und die rote Ampel alle die gleich Bedeutung: eine kleine, verzeihliche Nebensache.

Niemand aber, der sich wegen eines Lasters oder eines Kavaliersdeliktes - oder eben wegen einer kleinen Sünde - ernsthaft Sorgen macht. Alltagssünden werden mit einem Augenzwinkern begangen.Aber was, wenn diese Delikte auf einmal ernsthafte Folgen nach sich ziehen? Was, wenn es brenzlig wird wie bei Ehescheidung und Krankheit, Straßenunfällen und Umweltkatastrophen? Dann verliert auch die Bezeichnung Sünde ihren Sinn, denn im Alltagsdeutsch lebt sie ja von ihrer Harmlosigkeit.

Gott ist kein strafender Richter
“Natürlich ist es keine Alternative, das Wort “Sünde” wie früher zu gebrauchen, in beklemmenden Moralpredigten und mit erhobenem Zeigefinger: „Du hast gesündigt - hast wieder etwas falsch gemacht, hast wieder versagt! Ein Sünder bist du, du kannst es Gott und Menschen nie recht machen!“

Wie soll man mit solchen Vorwürfen erwachsen werden und sein Leben in die Hand nehmen? Wie soll man auch im Glauben reifer werden, wenn einem ständig Schuldgefühle gemacht werden? Zerknirschte Sünder wollen nur die wenigsten sein. Dass die Sünde ins Abseits geriet, hat tatsächlich da seine guten Seiten, wo Menschen religiös eingeschüchtert werden und wo Gott nur als strafender Richter erscheint.

“Aber die richtigen Sünden – gibts die überhaupt?” Auch wenn die Sünde ein theologischer, ein kirchlicher Begriff ist, so beschreibt sie doch reales Unrecht. Unrecht, das Menschen einander antun: andere übervorteilen. Sie hinter ihrem Rücken schlecht machen. Stehlen. Töten. Zu allen Zeiten haben Menschen ihr Scheitern oder ihre Schuld vor Gott als Sünde bezeichnet. Damit gestehen sie ein, dass sie die Widersprüche in ihrem Denken, Fühlen und Handeln selbst nicht auflösen können, dass sie selbst nicht frei werden von Verfehlungen gegen Gott oder den eigenen Glauben, gegen Mitmenschen und gegen sich selbst.

Die Kehrseite der Sünde
Die Bibel benutzt den Begriff Sünde für Vergehen, die das Recht auf Leben und Würde missachten. Dieses Unrecht nimmt die Bibel ernst, aber nicht, um Menschen zu blamieren und einzuschüchtern, und schon gar nicht, um sie als Sünderlein kleinzuhalten. Im Gegenteil: es geht darum frei zu werden. In den Sprüchen Salomos heißt es: Wer seine Sünde verheimlicht, dem wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennt und lässt, wird Erbarmen finden. (Sprüche 11,10-11)

Zur Sünde gehört es gerade, dass sie verheimlicht wird. Und: dass der Mensch sich in sich selbst zusammenkrümmt und zurückzieht, wie es Martin Luther sagte. Offene Gespräche sind nicht mehr möglich. Die Sünde wird zur Sorge, die die Kehle zuschnürt und sich auf den Magen legt. Erst wer über das Unrecht reden kann und es nicht verheimlicht, nicht darüber mit einem Lachen hinweggeht oder es verdrängt, wird vielleicht finden, was die kostbare Kehrseite der Sünde ist: Vergebung.

Frieling
Ralph FrielingBild: DW


Zum Autor: Ralph Frieling (Jahrgang 1966) ist Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Weslarn in Westfalen. Er hat nach einem Studienjahr in Nes Ammim (Israel) evangelische Theologie in Heidelberg und zwei Semster in Melbourne (Australien) studiert. Es folgte Ende der Neunziger Jahre das Vikariat in Berlin; dort hat er auch angefangen, regelmäßig Radiosendungen zu machen. Anschließend war er vier Jahre lang Studienleiter in der Evangelischen Akademie Iserlohn im „Institut für Kirche und Gesellschaft“ der Evangelischen Kirche von Westfalen. 2004 wechselte er als Pfarrer in die Gemeinde, zuerst im Kirchenkreis Hamm, dann ab 2008 in den Kirchenkreis Soest. Ralph Frieling geht gerne auf Reisen, liebt Bach und dessen Kantaten, kocht gern und sammelt australische moderne Kunst. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Kirchliche Verantwortung: Pfarrer Christian Engels