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Die Suche nach dem schnellsten Ski

Karin Jäger6. Februar 2014

Beim Skilanglauf in Sotschi wird nicht allein die Fitness der Athleten über Sieg und Niederlage entscheiden. Das Material ist so wichtig wie der Mensch. Deutsche Experten helfen, damit der Ski durch die Loipe flitzt.

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Skitester Fritz Becker
Bild: DW/K. Jäger

Tief gebückt in der Rennhocke gleitet Fritz Becker die Langlaufspur des Abfahrtshangs hinunter, bis er eine Lichtschranke passiert hat. Dann bremst er durch einen gekonnten Seitschwung abrupt ab. Er notiert die gestoppte Fahrdauer, schaut auf das Thermo-Hygrometer im Schnee, das neben der Temperatur die Oberflächenfeuchte des Schnees misst und greift zu einem weiteren Paar Ski. Geschwind wie ein Wiesel skatet er den Hang wieder hinauf, um bald darauf erneut in der aerodynamischen Eiform-Position hinunterzusausen.

Fritz Becker, 66 Jahre alt, testet Skier für die weltbesten Langläufer wie den Norweger Petter Northug oder Russlands Biathleten. “Früher hieß es: 'Der Athlet hat das falsche Wachs verwendet.' Heute hat das sportliche Versagen viele Ursachen: Die wichtigste ist die Belagwahl, danach sind Schliff und Skiwachs entscheidend, erst an vierter Stelle kommt es auf die Leistung des Athleten an“, ruft Becker, der schon wieder den Berg zum Startpunkt hinauf rennt.

Mann aus der Praxis gefragt

Es war ein Anruf des Fraunhofer-Instituts, der den Rentner aus dem Sessel riss. Matthias Scherge, Professor für Nanotribologie und Werkstoffmechanik, suchte einen Skispezialisten zur Erforschung neuer Beläge. Denn Scherge hatte im Labor experimentiert, nicht aber im Feldversuch in der Natur. Becker, einst Trainer von Langlauf-Legende Jochen Behle, Skiwachsexperte, Servicemann und Co-Kommentator des TV-Senders Eurosport, schien als Mann der Praxis geeignet, denn kaum einer ist mit dem nordischen Skisport so eng verbunden wie der Sauerländer.

Langläufer Petter Northug - Foto: Martti Kainulainen (dpa)
Norwegischer Langläufer Northug: Skier optimiert von Fritz BeckerBild: picture-alliance/dpa

Und Becker glaubte wie Forscher Scherge fest daran, dass man durch Veränderungen der Beschaffenheit der Beläge die Skier schneller machen könnte. “Die Skibeläge auf der Unterseite der Skier, die aus Polyethylen bestehen, haben sich seit der Erfindung der Kunststoffskier in den 1970er Jahren nicht großartig verändert“, beschreibt Becker den Grund.

Fluorkohlenwasserstoffe bringen Skier zum Gleiten

Anders sieht es aus bei Skiwachsen und Strukturschliffen. Da hat es seit den 1990er Jahren revolutionäre Fortschritte gegeben. "Paraffin wird nur noch als Grundwachs aufgetragen", so der Skiexperte. Da Paraffin Schmutz aus der Umwelt aufnimmt, was zu einer Verlangsamung der Laufleistung führt, bevorzugen Wachsexperten Pulver aus Fluorkohlenwasserstoffen. In den Riesentrucks, mit denen die Skitechniker der Nationalmannschaften von einem Wettkampfort zum nächsten reisen, streuen sie regelmäßig solche feinen Kristalle auf die Skiunterseite. Fritz Becker werkelt zu Hause in seinem Skikeller in Winterberg. Bei circa 180 Grad arbeitet er das Gemisch mit einem Bügeleisen in den Belag ein. Die verflüssigten Kristalle dringen dann in die Poren im Skibelag.

Servicemann Fritz Becker testet Langlaufskier am Bremberg in Winterberg
Fritz Becker betreibt Skitesten als Ganzjahres-JobBild: DW/K. Jäger

Das verwendete Fluorid, erläutert Becker, sei ein Abfallprodukt der Waschmittel-, Aluminium- oder Düngerindustrie. Es wirkt schmutz- und wasserabweisend und verbessert somit die Gleitfähigkeit. Da beim Aufbügeln möglicherweise giftige Dämpfe freigesetzt werden, tragen die meisten Serviceleute Gasmasken bei ihrer Arbeit.

Bremswirkung des Wasserfilms

Inzwischen scheint die Sonne auf den Testhang: Der Schnee ist weicher, matschiger geworden. Das Laufen kostet mehr Kraft. "Jetzt brauchst du Bretter mit tiefen Rillen im Belag, die haben ähnliche Wirkung wie das Profil in Reifen", sagt er.

Becker, der perfekt Norwegisch spricht, reist regelmäßig mit Skiern diverser internationaler Athleten in das Mutterland des Skilaufs. Dort lässt er die Sportgeräte von einem besonders erfahrenen Ski-Steinschleifer bearbeiten: "Der fräst die Rillen in den Belag, da beim Gleiten im Schnee durch die Reibung Wärme entsteht. Die bringt sogar den Schnee kurzfristig zum Schmelzen. Der Wasserfilm, der sich zwischen Schneeoberfläche und Skibelag bildet, ist aber nur unter dem Mikroskop zu erkennen", fügt Becker hinzu. Durch die Struktur kann das Wasser unter dem Ski abfließen. Ohne den für die jeweiligen Schneearten passenden Schliff würden die Sportgeräte auf dem Schnee bremsen, als hätte man Blei an den Füßen.

Die Skifirmen haben die Hightech-Entwicklung nicht verschlafen, es mangelt ihnen aber an den finanziellen Mitteln für die Forschung. Und auch die Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut stießen bei ihrer Suche nach einem supergleitfähigen Material an ihre Grenzen. Abhilfe konnte ein Branchen-Fremdling schaffen: die Firma Perlatech aus Bürgstadt in Bayern.

Die Kunst der Kunststoffproduktion

Das Unternehmen produziert hauchdünne Folien zum Beispiel für Seitenscheiben von Autos oder Förderbänder, die beständig gleiten müssen. “Wir verwenden Folien, die eine höhere Qualität haben als die in der Skiindustrie verwendeten Materialien“, sagt Perlatech-Geschäftsführer Christian Bumm.

Die Suche nach dem schnellsten Ski
Der perfekte Belag: widerstandsfähig, wasser- und schmutzabweisendBild: Fa. PerLaTech

Was in den Skibelägen genau drin steckt, will er nicht verraten. Das sei Betriebsgeheimnis. “Unsere Kunststoffe überzeugen durch ein hohes Molekulargewicht. Das heißt, lange Molekülketten werden im Material hergestellt, die besonders widerstandsfähig sind." Derartige Kunststoffe werden auch zur Herstellung künstlicher Gelenke verwendet.

Bei der Produktion werden den Kunststofffolien Mineralien wie Grafit zur Stabilität und zur Verbesserung der Gleiteigenschaften beigemischt. Besonders begeistert ist Skitester Fritz Becker, wenn der Skibelag mit Wolfram-haltigen Folien veredelt wird. “Bei den Tests auf nassem oder sehr kaltem Schnee läuft der Ski wie eine Rakete“. Wolfram gilt als sehr widerstandsfähiges Metall. Es wird in Turbinen großer Flugzeuge oder bei Schweißgeräten verarbeitet.

Bitte nicht nur schwarz und weiß

Die Skier der Spitzen-Biathleten und Skilangläufer sowie die Bretter der Bordercrosser werden bei Bedarf einzeln in Bürgstadt fein getunt. Die Sportgeräte mit den Original-Belägen werden in einer Presse mit einem Heißluftföhn auf 180 Grad erwärmt, die Unterseite vorsichtig vom Rest des Skis abgezogen, der neue Belag aufgeklebt. Die Athleten zahlen diesen Service selbst.

Wachstruck der norwegischen Biathleten - Foto: Fritz Becker
Riesentrucks: Mobile Servicestationen der NationalmannschaftenBild: Fritz Becker

Die Skifirmen wissen von den Alleingängen der Sportler. Sie bestehen lediglich darauf, dass die Farbe des Belags so bleibt, wie er in der Skifabrik angefertigt wurde - also weiß oder schwarz. “Schade“, sagt Christian Bumm, dem die Freude am Experimentieren mit den Skibelägen sichtlich anzumerken ist. “Wir würden gerne bunte Beläge verarbeiten. Stellen Sie sich vor, ein Biathlet legt sich am Schießstand hin und zeigt der Konkurrenz einen knallroten oder grellgrünen Belag. Die wären doch geschockt und würden alle daneben schießen“, lacht der Kaufmann.

In Sotschi wird es solch eine Situation nicht geben, aber vielleicht schon im kommenden Jahr. Die Suche nach dem perfekten Belag ist längst noch nicht beendet.