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Die Sprache der Musik

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Dem Blues neues Leben einhauchen – und zwar auf Deutsch! Wie das geht, macht der Liedermacher und Rockmusiker STOPPOK vor. Seine Überzeugung: Wer Text, Musik und Rhythmus in Einklang bringen will, muss in seiner Muttersprache singen.

Streiten über Deutsch: Stoppok Illu 1

Zuerst einmal gebe ich von meiner Seite Entwarnung, was die vielfach befürchtete Ausrottung der deutschen Sprache anbelangt. Ich glaube nicht, dass bei uns demnächst nur noch Englisch oder irgendetwas anderes geredet wird. Solange die Menschen noch über Sprache kommunizieren und nicht wieder die Keulen sprechen lassen, solange wird es auch die deutsche Sprache geben. Natürlich mit entsprechenden Veränderungen und Angleichungen an die globale Kommunikation.

Allein meine persönliche Erfahrung der letzten 40 Jahren gibt mir Grund zu dieser Behauptung. In den Siebzigern war es zum Beispiel schon schwer "in", mit irgendwelchen Anglizismen um sich zu werfen. Da war es einem echt "too much", "or whatever". "Anyway", in meinen Kreisen legte sich das ab einem bestimmten Alter, spätestens bei Eintritt ins Berufsleben. Einige Künstler aus dieser Zeit reden zwar noch heute so. Für junge Leute klingt das aber wohl eher "old-fashioned".

Keine Angst vor Anglizismen

Stattdessen haben sich natürlich neue englische Modewörter bei den Jugendlichen eingeschlichen, schließlich werden wir überwiegend von US-amerikanischen Medien beballert. Die meisten werden aber auch irgendwann wieder entsorgt, wie der Nasenring oder die Tätowierung. Wenn ich mir überlege, dass es 40 Jahre gedauert hat, bis sich das Wort "cool" aus dem Fundus der Hippies wirklich etabliert hat, bis es jetzt auch der allerletzte Hinterwäldler einsetzt, mache ich mir da keine Sorgen. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass es bei Jugendlichen heute mehr deutsche Wortschöpfungen gibt als noch in den Siebzigern. Sicher haben sich in der Wirtschaft viele englische Fachbegriffe etabliert. Aber zuvor gab es die eben auf Latein oder Französisch. Das sollte uns also keine Angst machen.

Was die Kunst betrifft: Seit dem kulturellen Kahlschlag, den die Naziherrschaft verursacht hatte, wurde noch nie so viel auf Deutsch geschrieben und gesungen wie heute. Und ich bin davon überzeugt, dass es immer mehr wird. Gerade die Musik ist da eine extrem starke Kraft, weil sie die meisten Leute erreicht und sich die Musik selbst auch immer weiter zur Sprache hin verändern wird.

Die Musik neu erobern!

Streiten über Deutsch: Stoppok Illu 2

Je selbstverständlicher ein Musiker in seiner eigenen Sprache singt, umso schneller begreift er die rhythmischen Unterschiede gegenüber anderen Sprachen und er wird anfangen, den Rhythmus der Musik mit der Sprache in Einklang zu bringen. Das wiederum wird einen Melodiewandel nach sich ziehen. Die große Chance liegt gerade in diesem neuen Erobern der Musik. Während sich die angloamerikanische Musik im Kreis dreht und nur noch von der Kreativität der Anfänge des Medienzeitalters lebt, sagen wir mal bis Mitte der Siebzigerjahre, und die Suppe immer dünner wird, entsteht bei uns eine neue Energie.

Selbst einem einfachen Blues kann ich mit der deutschen Sprache ganz neues Leben einhauchen. Das funktioniert aber nur, wenn man die rhythmischen Akzente der Sprache angleicht. Manchmal sind es nur minimale Veränderungen und plötzlich bekommt die Musik samt Text einen Fluss, den man der deutschen Musik noch vor einiger Zeit abgesprochen hatte. Ein 6/8-Shuffle etwa lässt sich, bei richtiger Akzentuierung, auf Deutsch viel besser singen als auf Englisch.

In den Anfängen des Deutsch-Rocks hatte man die Musik nach amerikanischem Vorbild kopiert und lediglich den Text ausgetauscht, ohne jegliche Angleichung. Das Ergebnis konnte natürlich nur schlechter sein als das Original. Und für Musikhörer, die kein Deutsch verstehen, war das absolut uninteressant. Im Ausland wurde diese Musik deshalb auch größtenteils ignoriert.

Intensität der Muttersprache – auch in der Musik

Inzwischen tut sich da sehr viel. Allmählich wird deutschsprachige Musik in der internationalen Szene immer wichtiger. Natürlich würde eine Radioquote – also eine für Radiosender verpflichtende Regelung, einen bestimmten Anteil deutscher Musik zu spielen – diese Entwicklung enorm beschleunigen. Das würde den Künstlern und auch dem Publikum den Rücken stärken. Es würde auch nebenbei der Verblödung des Konsumenten nach amerikanischem Muster Einhalt gebieten, da durch den größeren Musik-Bedarf auch Lieder mit komplexeren Inhalten den Weg ins Radio und zum Durchschnittshörer finden würden.

Streiten über Deutsch: Stoppok Illu 3

Für mich als Musiker war ziemlich früh klar, dass, wenn ich eine gewisse Intensität in meine Musik bringen möchte, ich in meiner eigenen Sprache singen muss. Ausschlaggebend war meine Begeisterung für Jimi Hendrix, der mich als erster Musiker besonders über seine Intensität erreicht hatte. Wenn ich vorher Stücke von den Rolling Stones oder von The Who nachgespielt hatte, fühlte es sich für mich schon gar nicht so schlecht an: Ich hatte den Eindruck, nah am Original zu sein. Bei Hendrix war das anders. Obwohl ich in der Lage war, die komplexen Akkorde und geschliffenen, butterweichen Läufe rauszuhören und nachzuspielen, stellte sich nicht im Ansatz das Gefühl ein, irgendwo in der Nähe dieser Musik gelandet zu sein.

Mir wurde klar, dass die Akkordfolgen allein nicht reichen, dass es sein Gefühl und seine Intensität in der Musik waren, die mich erreichten und begeisterten. Also fing ich an, nach meinem eigenen Gefühl und Ausdruck zu suchen, und kam unweigerlich darauf, dass das nur in meiner Muttersprache gehen kann, da die Rhythmik der täglichen Sprache meinen Körper zum Schwingen bringt und ich diese Schwingung auf mein Instrument übertrage.

Musikalisches Aha-Erlebnis in der Kirche

Konsequenterweise versuchte ich als erstes, an die ursprüngliche deutsche Volksmusik anzudocken. Ich wühlte in irgendwelchen Archiven, kramte alte Lieder hervor und machte mich daran, diese für mich zu erschließen. Doch ich merkte schnell, dass mich die angloamerikanischen Rhythmen zu stark beeinflusst hatten, um diese Entwicklung zurückzuschrauben. Also habe ich angefangen, diese Musik meinem Rhythmus und meiner Sprache anzupassen.

Entscheidend war wohl auch ein erstes musikalisches Aha-Erlebnis – in der katholischen Kirche. Irgendein Pfarrer spielte uns eine afrikanische Messe vor, "Missa Luba" von Les Troubadours du Roi Baudouin. In dem Moment wurde mir die ganze Misere der deutschen Nachkriegsmusik bewusst. So viele hörbar gemachte Gefühle sprangen einen da an! Kein Vergleich zu dem damaligen, von uns runtergeleierten Kirchensingsang.

Derzeit experimentiere ich in meinen Liedern mit traditioneller indischer Musik. Es ist unfassbar, wie wunderbar das funktioniert und wie gut das zusammenpasst – indische Klänge und deutsche Texte. Noch ein Beweis, dass es mit der deutschen Sprache nicht zu Ende geht!

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Streiten über Deutsch: Stoppok Porträt

STOPPOK heißt mit bürgerlichem Namen Stefan Stoppok. Er wurde 1956 in Hamburg geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Er ist Rockmusiker, Liedermacher und Namensgeber der Band STOPPOK, die er 1982 gründete. Sein Musikstil ist eine Mischung aus Folk, Blues und Rock. Er spielt Gitarre, Banjo und Waldzither und singt grundsätzlich auf Deutsch. Mit seiner Band und als Solokünstler veröffentlichte er bislang mehr als 20 Alben. STOPPOK lebt in Bayern.

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