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Sandwich SPD?

Das Gespräch führte Fengbo Wang7. September 2007

Der SPD-nahe Politologe Thomas Meyer sprach mit DW-WORLD.DE über die Krise der Volksparteien, die Politikverdrossenheit der Jugend und die neue Medienkompetenz der Bundeskanzlerin.

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Düstere Zeiten für die SPD?Bild: AP

DW-WORLD.DE: Die Zahl der Mitglieder der Volksparteien geht seit Jahren stetig zurück. Sind die Tage der großen Volksparteien gezählt, wenn diese Tendenz anhält?

Thomas Meyer: Die Parteienmitglieder der großen Parteien werden geringer, in so fern verändert sich die Rolle der großen Volksparteien. Es sind mehr Parteien nötig, um Regierungskoalitionen zu bilden, es sind mehr Parteien im Parteiensystem und es verändert sich auf diese Weise.

Ist der Staat in seiner Handlungsfähigkeit geschwächt, wenn die Volksparteien immer kleiner werden?

Nein, nicht direkt. Es gibt viele Länder - auch ziemlich stabile Demokratien - die schon immer sehr viel mehr Parteien hatten und wo es vier oder fünf Partner braucht, um eine Koalition zu bilden. Es ist ein bisschen schwieriger eine Regierung zu bilden, der Staat selbst ist dadurch aber sicherlich nicht geschwächt.

Die SPD leidet am stärksten unter dem Rückgang der Parteimitglieder. Woran liegt das?

Professor Doktor Thomas Meyer, Quelle: privat
Professor Thomas Meyer, Politikwissenschaftler an der Uni DortmundBild: privat

Die SPD befindet sich im Moment in einer besonders schwierigeren Rolle. Sie ist eingeklemmt zwischen einer mehr nach links rückenden CDU, die manche sozialdemokratischen Positionen scheinbar übernimmt, und der neuen Linkspartei, die alte, linkssozialdemokratische Positionen besetzt. Sich in diesem Sandwich zu behaupten und dabei offensiv zu bleiben, das ist für die SPD momentan schwierig.

In wieweit ist die Linkspartei für die Krise der SPD mitverantwortlich?

Die Linkspartei ist zum Teil Ausdruck der Krise. Das ist ein Teil der linken Parteimitglieder, die nicht integriert werden konnten durch die Politik und ihre Vermittlung durch die SPD. Und nach ihrer Gründung ist die Linkspartei sicherlich ein Faktor, der die Krise nährt.

Nehmen Lafontaine und Co. der SPD die Wählerschaft weg?

Oskar Lafontaine vor dem Schriftzug seiner Partei, Quelle: AP
Nimmt er der SPD die Stimmen weg? Oskar Lafontaine ist selbstbewusstBild: AP

Zum Teil sicherlich ja. Wenn die Linkspartei zehn Prozent der Stimmen bekommt, sind das wahrscheinlich zum Großteil die von enttäuschten SPD-Wählern.

Man behauptet: Aktuelle, neoliberale SPD-Positionen vertritt die CDU, klassische SPD-Positionen die Linke. Und die Grünen versuchen die SPD in sozialen und wirtschaftlichen Fragen links zu überholen. Welche politischen Themen kann die SPD heute für sich allein in Anspruch nehmen?

Das ist eine etwas zu einfache Darstellung. Die CDU versucht, einige sozialdemokratische Themen mitzubesetzen. Jedoch in widersprüchlicher Art - weil die neoliberalen Elemente in der CDU-Politik und Programmatik immer noch enthalten bleiben. Die Linkspartei hingegen besetzt sozusagen linkssozialdemokratische Positionen von gestern und vorgestern, die heute gar nicht mehr politikfähig sind. Gefangen in diesem Sandwich gelingt es der SPD bisher nicht, die eigenen Positionen offensiv zu behaupten. Das wäre aber im Prinzip durchaus möglich: Man müsste sozialdemokratische Positionen, die heutzutage realisierbar sind, besser und offensiver vertreten.

Manchmal scheint die CDU die SPD in der großen Koalition links zu überholen. Kann die CDU auch sozial sein?

Die CDU lebt immer schon in einem Widerspruch zwischen sozialen Elementen, die der katholischen Soziallehre entstammen und neoliberaler Substanz aus den Wirtschaftszügen der Partei. Je nach Wahlaussage und der öffentlichen Stimmung kann sie mal das eine, mal das andere Gesicht stärker zeigen. Im Moment - nach den Verlusten bei der letzten Bundestagswahl - versucht die Partei sehr stark ihr soziales Gesicht zu zeigen.

Gibt es heute noch DIE Stammwähler der SPD?

Ja, die gibt es noch. Aber der Anteil der Stammwähler wird bei allen Parteien immer geringer. Die Wechselwähler nehmen ständig zu und das ist bei der SPD gleichermaßen wie bei den anderen Parteien der Fall.

Junge Menschen - wenn überhaupt politisch interessiert - treten nicht in die politischen Parteien ein, sondern zum Beispiel in NGOs. Dieser Eindruck wird bekräftigt durch die Fernsehbilder vom G8-Gipfel in Heiligendamm. Warum verlieren die politischen Parteien ihre Anziehungskraft auf junge Menschen?

Buntbemalte Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm, Quelle: dpa
Für junge Leute interessanter als ein Parteibuch: Demonstration beim G8-Gipfel in HeiligendammBild: picture-alliance/ dpa

Viele jüngere Menschen engagieren sich lieber in kleineren Organisationen, bei denen ihr eigener Einfluss überschaubar bleibt und es nur um ein oder zwei große Zwecke geht. Die großen Parteien und Organisationen sind ihnen zu anonym. Es gibt zu viele Themen und die Parteien handeln zu kompromissorientiert. In der Tat haben Jugendliche an den Parteien, wie sie sich heute präsentieren, nur noch wenig Interesse.

Anfang September wurde das Buch "Auf der Höhe der Zeit. Soziale Demokratie und Fortschritt im 21. Jahrhundert" von den SPD-Politikern Matthias Platzeck, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier vorgestellt. "Vorsorgender Sozialstaat" heißt das Zauberwort darin. Was aber ist neu an diesem Konzept?

Buchcover "Auf der Höhe der Zeit"
Das Zauberwort lautet "Vorsorgender Sozialstaat" - meinen Platzeck, Steinbrück und Steinmeyer

Das Konzept bedeutet im Grunde eine stärkere Übernahme bestimmter Elemente des skandinavischen Sozialstaats. Viel mehr Investitionen und Chancengleichheit im Bildungsbereich sowie entsprechende risikovermindernde politische Strategien sollen die Menschen in die Lage versetzen, sich in veränderten Verhältnissen selbst zu behaupten. Dadurch wird der Bedarf nachträglicher sozialstaatlicher Hilfe verringert. Im Prinzip ein sehr sinnvoller Ansatz, der auch nicht ganz neu ist: Schon das Berliner Programm der SPD von 1989 enthielt bestimmte Elemente daraus. In dieser umfassenden Form ist er aber schon eine neue Akzentsetzung und wird auch eine Schlüsselrolle im neuen Grundsatzprogramm der SPD spielen.

Im Oktober will die SPD ihr neues Grundsatzprogramm verabschieden. Was kann man Neues erwarten?

Es wird eine Reihe neuer Akzente geben. Der vorsorgende Sozialstaat gehört sicherlich dazu, mit ganz starker Gewichtung auf Ökologie, insbesondere den Bereich Klimapolitik sowie eine starke Akzentsetzung auf Europa- und Globalisierungspolitik. Es wird keine ganz neue SPD sein, aber die Bedingungen für soziale Demokratie im Zeitalter der Globalisierung werden in diesem Programm sicherlich stärker, besser und offensiver zum Ausdruck gebracht werden.

Die aktuellen Umfragewerte von Kurt Beck sind nicht gerade vielversprechend für die nächste Bundestagswahl. Braucht die SPD einen Medienstar wie Schröder an der Spitze um Frau Merkel abzulösen?

Das ist sicherlich eine offene Frage. Man hat ja gesehen, dass Leute wie Helmut Kohl, die vorher auch keine guten Umfragewerte hatten, es durch überzeugende Charakterzüge und gute politische Präsentationen doch geschafft haben, gewählt zu werden. Es ist durchaus möglich, dass Beck auch in eine solche Situation kommt. Umfragen sind natürlich ganz anders als Wahlentscheidungen. Im Moment ist es aber sicherlich noch eine offene Frage, ob Beck in der Lage sein wird, diese Unterstützung zu mobilisieren. Bis zur nächsten Wahl ist es noch lange hin.

Bei der letzten Bundestagswahl wurde Frau Merkel im Vergleich zum "Medienkanzler" Schröder nicht viel Medienkompetenz zugesprochen. Wenn man aber den aktuellen Umfragewerten der Beliebtheitsskala der Politiker glauben schenkt, verkauft sich Frau Merkel medial scheinbar noch besser als ihr Vorgänger. Wie sehen Sie das?

Bildcollage Gerhard Schröder und Angela Merkel, Quelle: dpa
Inzwischen macht Merkel in den Medien eine bessere Figur als "Medienkanzler" Schröder (Archivbild 2005)Bild: dpa - Bildfunk

Merkel hat sich sehr gemausert, medial macht sie sich inzwischen sehr gut. Sie ist sowohl in den Medien als auch in der Bevölkerung sehr stark akzeptiert. Das liegt natürlich daran, dass sie sich vorallem auf außenpolitische Themen konzentriert hat, damit lässt sich immer punkten. Die sind innenpolitisch nicht kontrovers und geben gute Bilder mit Spitzenpolitikern aus aller Welt. Das ist aber auch ein Beweis dafür, dass Politiker, die erst einmal in ihre politische Spitzenrolle hinein gekommen sind und genügend Gelegenheit zur Präsentation dieser Seite haben, durchaus eine überraschende Unterstützung bekommen können.

Thomas Meyer ist Politikwissenschaftler an der Universität Dortmund. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung und stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD.