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Ein neues Feindbild

30. November 2009

In der Schweiz dürfen in Zukunft keine Minarette mehr gebaut werden. Das Votum überrascht nicht, findet Andreas Zumach und findet eine Erklärung im Verunsichertsein der Schweizer.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Die nicht einmal knappe Mehrheit der Schweizer Stimmbürger für ein Minarettverbot hat bei den meisten in- wie ausländischen Beobachtern große Überraschung und Entsetzen ausgelöst. Zumal sich nicht nur die christlichen Kirchen, die israelitische Kultusgemeinde und alle anderen Religionsgemeinschaften des Landes früh und eindeutig gegen die Verbotsinitiative der rechtspopulistischen "Schweizer Volkspartei" ausgesprochen hatten, sondern auch alle anderen Parteien sowie die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände.

Doch so überraschend ist das Ergebnis bei genauerem Hinsehen nicht. Die im Sommer 2008 lancierte Verbotskampagne stieß auf eine Schweizer Bevölkerung, die in den letzten 20 Jahren seit Ende des Kalten Krieges zunehmend verunsichert und in ihrem Selbstbewusstsein erschüttert wurde. Den Verlust des kommunistischen Feindbildes hat die laut offiziellem Mythos neutrale, de facto aber an der NATO orientierte Schweiz bis heute noch weniger überwunden, als die Mitgliedsstaaten der westlichen Allianz.

Große Verunsicherung und Orientierungslosigkeit

Die Unentschiedenheit der politischen Klasse der Schweiz mit Blick auf eine Integration in die Europäische Union ist ein deutliches Indiz für die anhaltende große Verunsicherung und Orientierungslosigkeit der Eidgenossen. Sämtliche Korrekturen unhaltbarer Geschichtslügen sowie fragwürdiger bis krimineller außen- und wirtschaftspolitischer Praktiken, die die Schweiz seit 1989 vorgenommen hat, erfolgten nicht aus eigener Einsicht, sondern immer nur unter Druck von außen - angefangen von der Wiedergutmachung für den Raub jüdischer Fluchtgelder aus Nazi-Deutschland durch die eidgenössischen Großbanken bis hin zur kürzlich eingeleiteten Aufweichung des Bank-Geheimnisses für ausländische Steuer-Flüchtlinge.

Hinzu kam der durch eigene Selbstüberschätzung und die Raffgier einer abgehobenen Manager-Klasse verschuldete schmerzhafte Zusammenbruch der Fluggesellschaft Swissair und anderer Objekte des Schweizer National-Stolzes.

Aktuell führt die schmachvolle Behandlung durch Libyens Diktator Gaddafi, der seit über einem Jahr zwei Eidgenossen als Geiseln hält, unter den Schweizern zu einem immer stärkeren Gefühl der Ohnmacht.

Und auch die globale Wirtschaftskrise zeigt inzwischen deutliche Spuren in der seit Jahrzehnten an Wohlstand und Stabilität gewohnten Alpenrepublik. In- und ausländische Aufträge für eidgenössische Unternehmen sind in den letzten zwölf Monaten massiv zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich angestiegen.

Weitere Kampagnen wahrscheinlich

Den durch diese allgemeine Verunsicherung verängstigten Schweizern bot die medial perfekt aufgezogene Kampagne für ein Minarettverbot ein neues Feindbild. Ermutigt durch ihren Erfolg bei der jetzigen Abstimmung über ein Minarettverbot werden die Initiatoren der Kampagne als nächsten Schritt wahrscheinlich das Verbot von Moscheen und islamischen Kulturzentren fordern. Zu befürchten ist, dass Gewaltübergriffe gegen derartige Einrichtungen zunehmen werden.

In den letzten Wochen wurde bereits zwei Mal in Genf, der multinationalsten Stadt der Welt mit zehntausenden Muslimen aus mehr als 50 Ländern, die größte Moschee der Schweiz demoliert. Und auch in anderen Ländern Europas dürfte die Hetze gegen den Islam und gegen Menschen muslimischen Glaubens nach dieser traurigen Schweizer Vorleistung zunehmen.

Autor: Andreas Zumach

Redaktion: Kay-Alexander Scholz