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Saudi-Arabien Syrien

10. November 2011

Saudi-Arabien gilt als besonders konservativ, blieb von größeren Unruhen aber bisher verschont. Nahost-Experte Steffen Hertog im DW-WORLD.DE-Gespräch über die Politik des saudischen Herrscherhauses.

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Steffen Hertog (Foto: Hertog)
Steffen Hertog lehrt und forscht an der London School of EconomicsBild: Steffen Hertog

DW-WORLD.DE: Saudi-Arabien hat das Königshaus in Bahrain mit einer militärischen Intervention unterstützt, kritisiert aber jetzt das syrische Regime, das gewaltsam gegen Demonstranten vorgeht. Warum?

Steffen Hertog: Es hat sehr lange gedauert, bis sich die Saudis wirklich dazu entschieden hatten, offen diplomatisch gegen das syrische Regime vorzugehen. Und das hat auch nur stattgefunden, weil Saudi-Arabien und Syrien eine sehr lange und sehr komplizierte diplomatische Geschichte haben, in der sich der syrische Präsident und der saudische König mehrmals in den Haaren lagen. Die beiden sind sich persönlich anscheinend nicht grün. Darüber hinaus wird Syrien als Teil einer eher schiitisch orientierten anti-amerikanischen Achse im Nahen Osten wahrgenommen, der auch der Iran und die libanesische Hisbollah angehören. Sie ist Saudi-Arabien geopolitisch direkt gegenüber gestellt. Bahrain dagegen ist immer schon ein Regime gewesen, das den Saudis sehr nahe steht.

Saudi-Arabien hatte auch vorgeschlagen, Syriens Mitgliedschaft in der Arabischen Liga einzufrieren. Damit konnten sich die Saudis aber nicht durchsetzen. Wie weit reicht denn ihr Einfluss in der Arabischen Liga?

Sie haben sehr viel Einfluss innerhalb der wenigen konservativen Staaten in der Region, die selbst noch keine Revolution erlebt haben. In der Arabischen Liga ist ihr Einfluss bis auf weiteres beschränkt, weil zum Beispiel Ägypten, das in den letzten zwei, drei Jahrzehnten unter Mubarak ziemlich viel an Einfluss eingebüßt hat, wieder auf die diplomatische Bühne zurückgekehrt ist. Viele Araber hoffen, dass Ägypten wieder eine führende diplomatische und auch kulturelle Macht im Nahen Osten wird. Ob das mittelfristig realistisch ist, wird sich erweisen – das ist jetzt sehr schwer abzuschätzen.

Ägypten und Saudi-Arabien galten lange Zeit als Verbündete. Wer sind denn jetzt, nach dem Sturz Mubaraks, die strategischen Partner der Saudis?

Neben den anderen konservativen Monarchien auf der arabischen Halbinsel, also den anderen Mitgliedern des Golf-Kooperationsrats, sind das die beiden anderen noch bestehenden Monarchien Marokko und Jordanien. Sie wurden ja auch auf saudisches Betreiben hin eingeladen, Mitgliedsverhandlungen mit dem Golf-Kooperationsrat zu führen mit Blick darauf, mittelfristig Mitglied dieser Organisation zu werden – was gerade im Falle Marokkos, das ein paar tausend Kilometer vom Golf entfernt liegt, zunächst als eine seltsame Idee erschien. Aber es sieht im Augenblick so aus, als würden die beiden Staaten wirklich substanzielle Verhandlungen mit dem Kooperationsrat beginnen.

Das heißt, die Einladung war nicht nur eine verrückte Idee, wie einige Beobachter meinen, sondern ein ernst gemeinter Vorschlag?

Es steckt eine ernsthafte geostrategische Absicht dahinter. Allerdings mit der defensiven Absicht, eine klare Linie zu ziehen und zu zeigen, dass die verbleibenden konservativen und autoritären Regime sich eine gemeinsame Verteidigungsposition aufbauen und dass da sozusagen eine Art konterrevolutionäres diplomatisches Konstrukt errichtet wird – was ganz klar unter der Führung Saudi-Arabiens passiert. Es ist ein bisschen wie das Konzert der Mächte nach dem Wiener Kongress 1815, als sich die Monarchen darauf verständigt haben, dass man sich nicht gegenseitig in innenpolitische Angelegenheiten einmischen darf, aber dass man sich gemeinsam gegen die revolutionären Kräfte auf dem Kontinent absichert.

Welches Interesse steckt dahinter?

Es ist einfach ein sehr, sehr tief sitzender Konservatismus, der sich in der saudischen Diplomatie niederschlägt – aber auch in der Innen-, Kultur- und Religionspolitik. Die saudischen Prinzen haben über Jahrzehnte Allianzen mit anderen Herrschaftsfamilien aufgebaut, die ihnen in der Region sehr nahe stehen. Und prinzipiell ist das saudische Regime jedem Wandel gegenüber erst einmal sehr skeptisch eingestellt. Das ist fast eine instinktive Reaktion – und die Monarchie ist im arabischen Raum die letzte Herrschaftsform, die noch nicht von den revolutionären Kräften angegriffen worden ist. Die Saudis wissen natürlich, was Mubarak in Ägypten passiert ist, der Jahrzehnte lang ein strategischer Partner war. Man versucht jetzt eben, sich abzusichern und jeglichen revolutionären Wandel zumindest unter den konservativen Partnerstaaten zu unterbinden – angeblich auch mit der klaren Nachricht, dass die politischen Reformen in Staaten wie Marokko oder Jordanien nicht über die Stränge schlagen sollten.

Wie immun ist Saudi-Arabien denn gegen die Proteste in der arabischen Welt?

Kurzfristig, denke ich, besteht in Saudi-Arabien kein nennenswertes revolutionäres Potenzial, weil die Opposition nicht hinreichend organisiert ist und weil gerade der König ziemlich starke Legitimtät genießt – soweit man das überhaupt messen kann. Saudi-Arabien hat auch sehr große Ressourcen, um zum Beispiel neue Beschäftigungsmöglichkeiten im öffentlichen Sektor zu schaffen oder um Subventionen zu erhöhen. In der Hinsicht ist auch einiges passiert: Im Februar und März sind einige Dekrete verabschiedet worden, über die während der nächsten drei oder vier Jahre 130 Milliarden Dollar an verschiedenen Sozialleistungen und Beschäftigungsmaßnahmen fließen. Und das wirkt auch der Unzufriedenheit entgegen, die in anderen arabischen Staaten ganz maßgeblich mit zur Revolution beigetragen hat.

Dr. Steffen Hertog ist Dozent für vergleichende Politikwissenschaft an der London School of Economics. Der Nahost-Experte lehrte zuvor an den Universitäten von Paris und Durham. Eines seiner Spezialgebiete ist die Politik des saudischen Königshauses.

Das Interview führte Anne Allmeling.
Redaktion: Daniel Scheschkewitz