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Die Rolle der sieben Zwerge

Alexander Kudascheff 9. April 2003

Der Golfkrieg überschattet alles - auch den politischen Alltag in Brüssel. Ob die Reform der europäischen Landwirtschaftspolitik oder der Beitritt der neuen Mitgliedsländer - all das nimmt niemand wahr.

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Dabei tut sich was in der europäischen Union, wenn auch zur Zeit von der breiten Öffentlichkeit eher unbemerkt. Und die Überschrift lautet: Nein zum Diktat der Großen im europäischen Verfassungskonvent. Deswegen haben sich vor kurzem sieben kleine Länder zu einem - wie es spöttisch hieß - Gipfel der Zwerge in Luxemburg getroffen. Die drei Beneluxländer, Finnland, Österreich, Schweden und Irland haben Sorge über die Diskussion und über die Vorschläge, die zur Zeit den europäischen Verfassungskonvent unter Valery Giscard d' Estaing bestimmen.

Und dabei geht es vor allem um die Lieblingsidee des französischen Präsidenten Chirac: Er möchte einen Ratspräsidenten auf drei, vielleicht sogar auf fünf Jahre installieren - als Gegengewicht zum Kommissionspräsidenten, aber natürlich auch als Figur der Stärke der Regierungen. Diesen Vorschlag goutieren Deutschland, England und Spanien. Der Grund ist einsichtig: Alle drei Länder befürchten, dass in einem Europa der 25 der Einfluss der Großen schwindet. Sie befürchten, dass wenn alle sechs Monate ein anderes Land die Geschäfte der EU führt, der innere Zusammenhalt der Union wegbricht. Deswegen wollen sie neben dem Kommissionspräsidenten, der demokratisch legitimiert werden soll, einen zweiten Präsidenten einrichten.

Kandidaten für noch nicht geschaffenen Job

Er verkörpert - so meint man - den Willen der Völker und der Staaten. Sogar Aspiranten für den noch gar nicht geschaffenen Job gibt es angeblich: unter anderem Aznar und Blair. Doch dagegen sind die Kleinen. Sie halten daran fest, dass die Ratspräsidentschaft weiter wechselt. Sie wollen eher die Kommission stärken, die als natürlicher Verbündeter der kleinen Mitgliedsländer gilt.

Ob zu Recht, das kann man allerdings hinterfragen. Doch hinter dem harschen Nein der sieben Zwerge zum französischen Ratspräsidenten steckt noch etwas: ein Ressentiment gegen die deutsch-französischen Achse, gegen französische Allmachtsansprüche, gegen ein Diktat der Großen. Und nicht zu Unrecht vermutet man, dass der ehemalige französische Präsident und heutige Chef des Verfassungskonvents, Giscard d'Estaing dieselben Allüren pflegt wie sein Nachnachfolger.

Die Macht der Sieben

Und so entwickelt sich eine Gegenströmung gegen ein deutsch-französisches Verfassungsdiktat. Und die sieben Zwerge wissen genau: Die europäische Verfassung braucht auf jeden Fall die Zustimmung aller. Da ist Deutschland nicht wichtiger als Luxemburg, Frankreich nicht gewichtiger als Belgien oder Finnland. Und selbst wenn die Großen auf der diplomatischen Bühne noch so laut poltern, ein einsames Luxemburgsches Nein reicht aus, den Zug zu stoppen.

Und die sieben tapferen Kleinen scheinen entschlossen, mitzureden, mitzubestimmen, mitzuentscheiden - und sich nicht überfahren zu lassen. Und das ist wichtig - denn der Konvent geht jetzt langsam in die Schlussphase. In den nächsten drei Monaten werden die Grundlagen einer europäischen Verfassung gezimmert. Und so wie es zur Stunde aussieht, hat der französisch-deutsche Vorschlag, einen zweiten Präsidenten in Europa zu etablieren, keine Chance. Und das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die sieben Zwerge das zweite Problem genauso entschieden angehen: die Rolle der Kommission, die immer mehr in das Leben Europas eingreift und sich dafür nicht im geringsten politisch und demokratisch verantworten muss.