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Endspiel

28. April 2009

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk widmet sich in seinem neuen Buch der deutschen Wiedervereinigung. Er zeigt, wie die DDR funktionierte, warum sie untergegangen ist und warum das eine Revolution war.

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Buchcover: 'Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR' von Ilko-Sascha Kowalczuk
DW-World: Herr Kowalczuk, der Mauerfall vor 20 Jahren hat viele Menschen weltweit überrascht. Immer wieder ist damals von einem Wunder die Rede gewesen. Tatsächlich aber, schreiben Sie, hat sich das Ende der DDR längst vorher angekündigt.

Ilko-Sascha Kowalczuk: Nicht nur das Ende der DDR, sondern das Ende des gesamten Ostblocks hat sich angekündigt. Es gab in den 1980ziger Jahren vielfältige und tiefe Krisen in allen kommunistischen Staaten Europas, auch in der DDR. Die Menschen haben diese Krise wahrgenommen. Trotzdem war die Schnelligkeit, mit der die Mauer fiel, natürlich überraschend. Ich glaube, die wenigsten hätten sich am 8. oder 7. November vorstellen können, dass die Mauer bald weg ist.

In Ihrem Buch zeichnen Sie ein sehr anschauliches und facettenreiches Bild der kriselnden DDR. Dabei konzentrieren Sie sich nicht nur auf die Metropolen, sondern Sie haben auch in der Provinz recherchiert. Haben Sie dort Überraschungen erlebt?

Zunächst: Der Westen war stets präsent in der DDR-Gesellschaft – sowohl als Vergleichsfolie wie als Sehnsuchtsort. Es stellt sich zudem heraus, dass die Frage der deutschen Teilung und der deutschen Einheit dort sehr viel präsenter war, als es oft dargestellt wurde. Das hängt, unter anderem, mit den restriktiven Arbeitsbestimmungen für westliche Journalisten in der DDR zusammen. Denn wenn man genauer hinschaut, dann stellt man fest, dass zum Beispiel in der Stadt Plauen an der innerdeutschen Grenze am 7. Oktober 1989 eine Demonstration stattfand, an der sich bis 20.000 Menschen beteiligten, das war ein Drittel der Bevölkerung. In dem Aufruf zu dieser oppositionellen Demonstration ist vieles thematisiert worden: die Ökologie, die Wirtschaft, die fehlenden Menschenrechte, aber auch die Frage der deutschen Einheit.

Wie kritisch war die Situation 1989 in der DDR?

Die Menschen hatten zunächst Angst, dass die SED-Führung die sogenannte "chinesische Karte" ziehen würde. Im Juni 1989 haben die chinesischen Kommunisten eine große Protestbewegung in China niedergeschlagen. Es gab viele Tote, und die DDR war eines von wenigen Regimes in der Welt, das sich mit den chinesischen Kommunisten solidarisierte. Viele DDR-Bürger haben das als Drohgebärde verstanden, und es war auch keinesfalls ausgeschlossen, dass die SED-Führung Anfang Oktober Panzer und Polizeieinheiten auffahren lassen würde, um die Bewegung niederzuknüppeln. Dass dies nicht passierte, lag zum einen daran, dass in der SED-Führung niemand dafür die Verantwortung übernehmen wollte. Zum anderen hatte sich die weltpolitische Lage mittlerweile entscheidend verändert und Michael Gorbatschow signalisierte in Moskau ganz klar, dass eine solche Niederschlagung weder mit seiner Billigung noch mit seiner Rückendeckung und schon gar nicht mit seinen Truppen, immerhin standen in der DDR 500.000 sowjetische Soldaten, geschehen würde.

Gab es einen bestimmten Moment, ein bestimmtes Ereignis, durch das den Menschen in der DDR klar geworden ist: wir müssen keine Angst mehr haben, dass die Panzer rollen?

Da könnte man den 9. Oktober 1989 in Leipzig nennen. An diesem Abend waren 70.000 Menschen auf der Straße, um zu demonstrieren. In der Stadt kursierten Gerüchte, dass die Krankenhäuser ihre Lager an Blutkonserven aufgefüllt hätten. Man befürchtete eine gewaltsame Niederschlagung. Als dann die Nachricht kam, dass die Demonstration friedlich verlaufen war, lagen die Menschen in Ostberlin sich in den Armen und jubelten, die Angst begann allmählich zu verschwinden.

Das Interview führte Silke Bartlick

Redaktion: Petra Lambeck