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Lieblings-Liga

Oliver Samson1. August 2007

Die Zuschauerzahlen in den großen europäischen Ligen gehen zurück. Nur in Deutschland werden so viele Karten verkauft wie noch nie – und das nicht nur, weil mit einem neuen Transferrekord neue Stars gekauft wurden.

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Sie wollen sie spielen sehen: Südtribüne Dortmund 27.000 StehplätzeBild: picture alliance / dpa

Enge Stadien, donnernde Choräle, Sportsgeist und Bier - traditionell schauen deutsche Fans mit Bewunderung auf den englischen Liga-Fußball. Doch viel hat sich im gelobten Land verändert: Zwar wird in der Premier League fraglos der attraktivste Fußball gespielt, doch die legendäre Fußballkultur siecht dahin.

Reihenweise werden die Klubs von Investoren gekauft. Stehplätze sind längst abgeschafft, die Ticket-Preise explodierten, die klassische Klientel wird durch besser Betuchte ersetzt. Alkohol ist verboten, die Stimmung oft mau, die Zuschauerzahlen sinken. In England hat man daher ein neues Vorbild gefunden: Ausgerechnet die - deutsche - Bundesliga wurde vom "Guardian" zum "Utopia eines englischen Fußballfans" ausgerufen.

Neues aus Utopia

WM Fußball Deutschland Costa Rica Fans Reaktionen Berlin
Deutschland hat Bock auf BundesligaBild: AP

Dieses Utopia kann nun einzigartiges vermelden: In Deutschland ist die Lust auf Fußball entbrannt wie noch nie. Zwei Wochen vor dem Anpfiff der Saison haben die 18 Klubs bereits über 377.000 Saison-Tickets verkauft - Rekord. Damit ist zum vergleichbaren Zeitpunkt die Bestmarke von 2005 (372.535) übertroffen. 11 der 18 Vereine können Steigerungen verzeichnen.

Gleichzeitig hat die Bundesliga den Transferrekord aus der Saison 2001/2002 geknackt. Damals hatten die Clubs nach Abschluss eines lukrativen Fernsehvertrags 153 Millionen Euro in neue Beine investiert - in diesem Sommer wurden nun bereits weit vor Ende der Transferfrist am 31. August 165 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Zwischen 60 und 70 Millionen investierten alleine die Münchner. Die Bayern hatten zuvor auch nie soviel für einen einzelnen Spieler bezahlt (Franck Ribéry, 25 Millionen). Auch Bremen (Carlos Alberto - 7,8), Hannover (Mike Hanke - 4,5), Nürnberg (Angelos Charisteas - 2,1), Stuttgart (Ciprian Marica - 7,0) und sogar Duisburg (Manessha Ishiaku - 1,0) haben ihre Transferrekorde gebrochen.

Im Kaufrausch

Der Kaufrausch ist mit guter Laune in Zeiten der Hochkonjunktur nicht allein zu erklären. Den entscheidenden Dominostein warfen die Bayern mit der Runderneuerung ihres Kaders nach der desaströsen Vorsaison um. Bremen reinvestierte daraufhin die aus München eingegangenen zwölf Millionen für Miroslav Klose in ein neues Offensivduo mit Boubacar Sanogo und Carlos Alberto. Sensationsmeister VfB Stuttgart braucht hingegen einen breiteren Kader für anstehende Champions-League-Aufgaben, die Nürnberger mussten für den UEFA-Cup Geld in die Hand nehmen, Felix Magath krempelte den Kader bei seinem neuen Verein VfL Wolfsburg völlig um.

Bier trinkender und singender Schalke-Fan in Halle
Englands UtopiaBild: picture alliance / dpa

Selbst im notorisch hinter den eigenen Ansprüchen hinterherhinkenden Wolfsburg ist seitdem ungeahnte Aufbruchsstimmung zu beobachten. 10.000 abgesetzte Dauerkarten bedeuten auch beim VW-Werksclub einen neuen Rekord. Zuschauerkrösus Borussia Dortmund verkaufte sogar unglaubliche 50.000 Dauerkarten, Schalke 44.000 und Bayern brachte 37.000 Saison-Tickets an den Fan. Eintracht Frankfurt schaffte sogar das Kunststück, einen neuen Kartenrekord aufzustellen, ohne auch nur einen einzigen Euro an Ablöse in einen neuen Spieler zu investieren - der Boom kann also nicht nur an den neuen Stars liegen.

Fraglos steuert die Liga auf einen Zuschauerrekord zu. Dabei strömten schon in den letzten Jahren nirgendwo mehr Fans in die Stadien wie in Deutschland: Im Schnitt waren es in der letzten Saison 39.957. In der englischen Premier League waren es nur 32.000, in Spanien 29.000, in Italien 21.000 Zuschauer, jeweils deutlich weniger als in den Jahren zuvor.

Weltklasse in Mailand, Madrid, London

Die augenscheinliche Attraktivität der Bundesliga zu erklären ist nicht ganz einfach: Noch immer spielen die weitaus meisten Weltklassekicker in London, Mailand oder Madrid, zudem ist das Niveau der Bundesliga eher mäßig. Seit Jahren laufen die Bundesligavereine dem europäischen Spitzenniveau in der Champions-League hinterher.

Was ist also das Geheimnis des deutschen Fußballs? Der Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL), Wolfgang Holzhäuser, erklärt die Attraktivität mit den "tollen Stadien" und "noch immer als Folge des WM-Booms". Ein bisschen besser weiß man es vielleicht noch im Mutterland des Fußballs. Dort glaubt man in der Bundesliga ein verlorenes Paradies zu erkennen. Die BBC warb in der Endphase der Saison für die Bundesliga, wie es die DFL nicht besser könnte. Hier sei das Spiel "noch nicht gekidnappt - weder von den großen Geschäftsinteressen, noch von den Hooligans", war da etwa zu lesen. "Das Spiel gehört dort noch den normalen Fans - das ist vielleicht das Geheimnis."

Und wenn auch diese normalen Bundesligafans vielleicht manchmal etwas neidisch auf die Dynamik des Spiels auf der Insel schielen: Eigentlich ist es ja auch etwas ganz anderes, was der Fan beim Fußball erleben will. Und dieses Andere bietet eben die Bundesliga, wie der "Guardian" meint: "Ein verrücktes Titelrennen, billige Tickets, Wurst, großartige Stadien und viele Tore."