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Die reformmüden Griechen

Miltiades Schmidt
7. April 2017

Griechenlands Gläubiger verlangen seit Beginn der Schuldenkrise 2009 tiefgreifende Reformen im Land. Doch bislang waren die Griechen dazu kaum bereit. Und aus ihrer Sicht gibt es gute Gründe für die Verweigerungshaltung.

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Griechenland Flagge mit Vollmond in Athen
Bild: Reuters/A. Konstantinidis

Für die Gläubiger sind die verkrusteten Strukturen in Griechenland kaum nachvollziehbar, schließlich könnten Reformen das Wachstum beflügeln und neue Arbeitsplätze schaffen. Aber Strukturreformen würden das Fundament der griechischen Gesellschaft erschüttern. Sie würden ein über Jahrzehnte gewachsenes Gebilde aus Abhängigkeiten, Gefälligkeiten, Sicherheiten erodieren lassen. Also sollte trotz Schuldenkrise nicht daran gerüttelt werden, meinen die meisten Griechen.

Warum die Griechen Strukturreformen ablehnen

"Wenn du mal drin bist, bist du drin und dann kannst du es dir gut gehen lassen." Dieser Satz fällt ziemlich schnell, wenn man mit den Griechen über die Probleme ihres Landes spricht. "Drin" bedeutet Teil eines Geflechtes aus Vetternwirtschaft und Korruption zu sein, dessen Dreh- und Angelpunkt der Staat ist. Um "drin" zu sein, braucht man gute Kontakte. Selbst Müllmann wird man nicht ohne Kontakte in Griechenland, denn dadurch wird man Beamter, hat ein sicheres Einkommen in einem wirtschaftlich schwachen und unsicheren Land.

Griechenland - Hoffnung oder Ausverkauf?

Der Chef eines städtischen Betriebes, der lieber anonym bleiben will, erklärt, wie öffentliche Aufträge in Griechenland abgewickelt werden, wie "drin" im Alltag funktioniert. "Nehmen wir mal an, mein Unternehmen braucht neue Rohrleitungen im Wert von vier Millionen Euro", sagt der Geschäftsführer. "Beliefern wird mich ein Privatunternehmer - mit Rohren im Wert von nur zwei Millionen. Die restlichen zwei Millionen teile ich mir mit meinem Lieferanten, der mir natürlich eine Rechnung über vier Millionen Euro ausstellen wird." Selbstverständlich würden solche Aufträge öffentlich ausgeschrieben, ganz im Einklang mit dem EU-Recht, doch der "Gewinner" stehe meist vorher schon fest. Alltag in Griechenland, auch in der Krise. 

Gehaltskürzungen fördern Korruption

"Die Gehaltskürzungen bei den Beamten haben das Problem mit der Korruption verschärft", beklagt ein Industrieller aus dem Großraum Athen, der auch lieber anonym bleiben will. "Die suchen nach neuen 'Einkommensquellen'." Kürzlich sei an einem Freitag ein Beamter für eine Betriebsprüfung im Unternehmen gewesen. Es sei, so der Unternehmer, nichts zu beanstanden gewesen, doch der Beamte habe sich geweigert, wieder zu gehen, er hätte über Stunden im Aufenthaltsraum gesessen, ohne etwas zu sagen. Als es auf den Feierabend zugeht, kommt der Unternehmer und sein Geschäftspartner ins Grübeln, was sie mit ihm anstellen sollen. Schließlich wollen sie auch nach Hause zu ihren Familien, ins Wochenende. Am späten Nachmittag hätten sie ihm einen Umschlag mit einigen hundert Euro gegeben, um ihn los zu werden.

Aldi schien bei seiner Expansion unaufhaltsam zu sein. Wo immer auf der Welt der deutsche Discounter seine schmucklosen Filialen eröffnete, hatte er mit seinem günstigen Sortiment immensen Erfolg. Bis er sich nach Griechenland wagte und scheiterte. Ein Brancheninsider schätzt, dass Aldi rund eine Milliarde Euro bei seinem Abenteuer unter der griechischen Sonne versenkt hat. Die "immer neuen Forderungen" der Griechen seien die Aldi-Manager irgendwann leid gewesen, sie hätten die Notbremse gezogen. Aldi schärfster Rivale in Deutschland, Lidl, ist hingegen in Griechenland erfolgreich. Doch habe der deutsche Konzern, so berichtet der Branchenkenner, völlig überhöhte Grundstückspreise bei seiner Expansion bezahlt.  

Hoffnungen ruhen auf der jüngeren Generation

Die sogenannte "Generation Y" (Jahrgänge 1980 - 1995) stellt als erste überhaupt nach der Unabhängigkeit 1821 das System von Korruption und Filz in Frage. Sie will sich nicht damit abfinden, dass beides weiterhin ihre Heimat lähmt. Zu groß sind die Wunden infolge der Krise. Die Generation ist gut ausgebildet, doch nur zehn Prozent von ihnen finden einen auskömmlichen Job, der Rest ist arbeitslos oder hangelt sich als schlecht bezahlte Freiberufler mit 400 oder 500 Euro pro Monat durchs Leben.

Diese Generation weigert sich, Schmiergeld zu zahlen, wartet stattdessen, bis der Antrag beim Amt ganz legal durch ist, auch wenn es dann länger dauert. "Das geht", sagt Unternehmer Konstantinos Konstantinidis. "Unsere Elterngeneration hat dieses Land zugrunde gerichtet. Jetzt ist es an uns, aus den Fehlern zu lernen." Konstantinidis ist stolz, dass er etwas produziert, sein mittelständischer Betrieb "produktiv" ist, und nicht auf den nächsten Staatsauftrag wartet, wie so viele andere Firmen im Land.

Viele der Generation Y machen sich selbständig, mit einer Tanzschule auf dem Land oder als Olivenbauern auf der elterlichen Scholle, über die so gut wie jede griechische Familie noch verfügt. Diese Generation braucht nicht so viel zum Leben wie ihre Eltern. Deren Lebensstil ist für sie in der Regel ohnehin unerreichbar. Noch haben sie nicht das Sagen im Land, doch mit ihnen hat Griechenland eine echte Chance auf einen Wandel, der im Grunde genommen einer Revolution gleich kommt.