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Emissionshandel, Interview mit WWF Klimachefin

Nele Jensch15. November 2011

Der internationale Emissionshandel sollte helfen, den Klimawandel einzudämmen. Doch die Idee, Staaten und Unternehmen für ihre Klimaemissionen zahlen zu lassen, birgt große Probleme, sagt WWF-Klimachefin Regine Günther.

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Regine Günther, Leiterin des Klimareferats des WWF (Foto: WWF)
Regine Günther, Leiterin des Klimareferats des WWFBild: WWF/Regine Günther
Schornsteine in der Region Noord-Holland (Foto: CC/johan wieland)
Mit rauchenden Schloten lässt sich gut Handel treibenBild: CC/johan wieland

Wer heiße Luft produziert, muss zahlen - dieses Prinzip, dem Politiker im Übrigen noch nicht unterworfen sind, soll helfen, das Weltklima zu retten. Klingt einfach. Doch in der Praxis ist die Idee ein kompliziertes politisches und wirtschaftliches Konstrukt. Heiße Luft in Form von Kohlendioxid, Methan und anderen klimaschädlichen Gasen treibt die globale Erwärmung an. Um den Klimawandel einzudämmen, dürfen diese Gase also nicht länger freigesetzt werden - weder in der Industrie, noch im Verkehr oder in allen Ländern weltweit. Und so schnell es geht. Denn zu viel CO2 in der Atmosphäre geht der Menschheit irgendwann an den Kragen. Das Problem: erst wenn es auch Geld kostet, bewegen sich die Verursacher.

Genau dafür sorgt der internationale Emissionshandel. Festgeschrieben im Klimaprotokoll von Kyoto 1997, sind Treibhausgase damit zu einem kostenpflichtigen Gut geworden. Das verbriefte Recht - sogenannte Emissionszertifikate -, in einem bestimmten Zeitraum bestimmte Mengen freizusetzen, kostet Geld und kann gehandelt werden.

Jeder so genannte Emittent darf selbst entscheiden, ob er die höchstens zugelassene Menge an Treibhausgasen in die Luft pustet oder etwa durch Filter versucht sie zu verringern. Gelingt das, behält der Emittent Emissionsrechte übrig, die er weiter verkaufen darf. Auf diese Weise bildet sich ein Markt mit Emissionsrechten. Die Gesamtzahl der Zertifikate auf dem Markt soll mit der Zeit sinken. Die Logik dahinter: Durch das knappere Angebot, werden die Emissionszertifikate zunehmend teurer und schaffen so einen zusätzlichen Anreiz, dass Unternehmen in CO2 - Vermeidung investieren, und sei es auch nur, um langfristig billiger davonzukommen.

Die Europäische Union (EU) will mit dem Zertifikatehandel einen Teil ihrer Kyoto-Verpflichtungen erfüllen und den Treibhausgasausstoß verringern. Allerdings werden Zertifikate auch global, in Entwicklungsländern gehandelt. Klimaschutz wird hier für Industrienationen deutlich billiger. Und so läuft der Handel mit sauberer Energie nicht immer sauber ab. Die Leiterin des Klimareferats des WWF, Regine Günther, hat sich im Interview mit GLOBAL IDEAS mit dem Zertifikatehandel auseinandergesetzt.

DW: Frau Günther, der EU-interne Handel mit Klimazertifikaten trat 2005 in Kraft - wie hat er sich bisher bewährt?

Günther: Der WWF hat die Einführung des EU-Emissionshandel von Anfang an unterstützt. Das Setzen einer absoluten Obergrenze für Treibhausgasemissionen, was für die Funktionsweise des Emissionshandels zwingend notwendig ist, ist aus umweltpolitischer Perspektive sehr attraktiv. Bei einer Besteuerung von Treibhausgasen ginge das nicht. Darüber hinaus war auch die Wirtschaft mit der Einführung eines solchen Systems prinzipiell einverstanden, wohingegen sie eine CO2-Steuer strikt ablehnte. Ein zentraler Schritt in die richtige Richtung ist der Beschluss, ab 2013 alle Zertifikate für die Energieversorger zu versteigern, statt wie bisher einen Großteil zu verschenken. Man kann bereits sehen, dass diese Veränderung wirkt: Ab 2012 sind viel weniger CO2-intensive neue Kohlekraftwerke geplant als zuvor.

DW: Ab 2012 sollen alle Fluggesellschaften, die in Europa starten und landen, in den Emissionshandel einbezogen werden. Die USA versuchen, per Gesetz die Einbeziehung amerikanischer Airlines zu verbieten. Wie finden Sie das?

Günther: Wir bewerten diese Maßnahme der EU sehr positiv. Der Verkehr ist einer der am schnellsten wachsenden Emissionsbereiche. Die USA haben es bisher nicht geschafft, ihre Wirtschaft auf mehr Energieeffizienz zu trimmen. Das politische System ist so aufgestellt, dass gerade die Lösung globaler Probleme häufig an Partikularinteressen scheitert. Aber: Wenn die EU bei dieser Frage einknicken sollte, bräuchte sie so einen Versuch nie wieder zu starten. Sie muss hart bleiben und darf sich von den Drohkulissen nicht beeindrucken lassen.

DW: Wie sieht es in anderen Teilen der Welt aus, gibt es da vergleichbare Emissionshandelszonen wie die der EU?

Günther: In China soll ab 2015 ein Emissionshandelsgesetz für sechs Provinzen eingeführt werden. In Australien wurde die Bepreisung von CO2 gerade eingeführt, Südkorea diskutiert ebenfalls für einen Einstieg in den Emissionshandel. Sehr viele Industrie- und Schwellennationen sehen mittlerweile, dass Emissionen drastisch reduziert werden müssen, wenn wir nicht kopfüber in einen unbeherrschbaren Klimawandel schlittern wollen.

DW: Durch den Emissionshandel haben Treibhausgasemissionen einen Preis bekommen, den Unternehmen in ihre Kostenkalkulationen einbeziehen müssen. Hat damit die Natur einen reellen Geldwert bekommen?

G
ünther: Ja, teilweise. Ich stelle seit der Einführung des Emissionshandels fest, dass in Unternehmen vom Vorstand bis zum Pförtner alle über CO2-Emissionen sprechen. Das war vorher nicht so, der Emissionshandel hat im Bewusstsein viel verändert.



Unternehmen dürfen durch den "Clean Development Mechanism" (CDM), Zertifikate aus Klimaschutz-Projekten in Schwellen- und Entwicklungsländern erwerben. Das ist ein lukratives Geschäft, bietet aber auch Raum für Betrug: Ein Beispiel ist der Handel mit Rechten für das Treibhausgas HFC-22. Das Gas fällt bei der Produktion von Kühlmitteln an und ist ein wahrer Klimakiller, 11.700 mal schädlicher als CO2. Allein seine Verringerung wird bereits mit der Ausgabe von Zertifikaten gewürdigt. In Industrienationen ist die Produktion des Gases schon seit Jahren verboten, Schwellenländer dürfen bis 2040 weitermachen. Also produzieren China und Indien nach wie vor im großen Stil HFC-22 - nur, um es wieder zu vernichten.

DW: Einige Kritiker bezeichnen den Handel mit CDM-Zertifikaten als „Ablasshandel". Zu Recht?

Günther: Das ist eine schwierige Debatte. Der WWF hat den CDM bei Einführung trotz aller Bedenken unterstützt. Wir hofften, dass CDM ein gutes Instrument sei, um einen signifikanten Beitrag zum Technologietransfer von Nord nach Süd zu leisten. Die Realität ist leider ziemlich ernüchternd: Nach rund zehn Jahren Erfahrungen sehen wir, dass Technologietransfer nur sehr wenig stattgefunden hat. Stattdessen wurden viele Projekte durchgeführt, die zwar für viele Seiten lukrativ sind, dem Klimaschutz aber nichts nützen, sondern stattdessen zusätzlichen Schaden verursachen. Da muss dringend politisch nachgebessert werden.

DW: Besteht ein Problem nicht auch darin, dass für die Industrienationen eigentlich gar kein Anreiz besteht, selbst Emissionen einzusparen, wenn sie sich quasi freikaufen können?

Günther: Wenn das System robust strukturiert ist, besteht diese Gefahr nicht. Wenn in der EU nur eine bestimmte Anzahl von Zertifikaten besteht und nur verschmutzen darf, wer ein Zertifikat besitzt, gibt es für die Unternehmen nur zwei Möglichkeiten: Entweder, man kauft ein solches Zertifikat, oder man spart selbst Emissionen ein. Wenn der Emissionshandel also ein geschlossenes System wäre, würde es auch kein Freikaufen geben. Das Problem besteht darin, dass von außen fragwürdige Zertifikate im großen Maßstab zugeführt werden.

DW: Sorgt der Emissionshandel für mehr Klimagerechtigkeit zwischen den Ländern des Nordens und des Südens?

G
ünther: Was wir sehr positiv bewerten, ist der Ansatz, dem beispielsweise die deutsche Regierung folgt: Dass nämlich zukünftig alle Erlöse aus dem Verkauf von Zertifikaten der Förderung von Klimaschutzmaßnahmen im In- und Ausland zugute kommen sollen. Es ist klar, dass wir die Entwicklungs- und Schwellenländer im Bereich des Klimaschutzes unterstützen müssen.

Mann auf Afrika pflanzt Bäume (Foto: CC/Victor Ochieng)
Über Klimaschutzprojekt in Entwicklungsländern können sich Industrienationen freikaufen, so ein Vorwurf.Bild: CC/Victor Ochieng