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Die Qualen enden nie

25. Juni 2009

Wer Folter überlebt, trägt meist schwer daran – ein Leben lang. Petek T. wurde in einem türkischen Gefängnis immer wieder misshandelt. Im Kölner Therapiezentrum versucht sie, mit der erlebten Qual fertig zu werden.

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Folteropfer (Foto: dpa)
Viele Folteropfer leiden noch Jahrzente später an physischen un psychischen Folgen der TorturBild: picture-alliance/ dpa

Petek T. ist 38 Jahre alt und ihr sehnlichster Wunsch ist – Schlaf: "Tagsüber kann ich mich ablenken. Aber nachts habe ich Schlafstörungen und diese Alpträume. Immer wieder kommen diese traumatischen Erlebnisse zurück."

Petek T. war 18, als sie in ihrer Heimat Izmir im Westen der Türkei zu studieren begann. Journalistin wollte sie werden und schon früh fing sie an, kritisch zu schreiben: sie engagierte sich in der sozialistischen Studentenbewegung und prangerte in ihren Artikeln die zunehmenden Repressionen und das autoritäre Vorgehen des türkischen Staates an. Insgesamt drei Mal kam sie dafür ins Gefängnis, und wurde wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation verurteilt. Das letzte Mal war sie von 1994 bis 2002 eingesperrt. "Leider ist es immer noch so, dass in der Türkei gefoltert wird. Zwar ist die Situation in den letzten zehn Jahren besser geworden, aber immer noch sterben Menschen unter ungeklärten Umständen in der Haft. Aber die Regierung bestreitet, dass es in der Türkei systematische Folter gibt."

Zu schrecklich, um darüber zu reden

Wenn man Petek fragt, was genau ihr in der Haft widerfahren ist, wird sie still und schweigsam: Zu sehr würde sie das wieder aufwühlen, zu groß die Scham über das Erlebte. Ihre Therapeutin Ünal Hamidye kennt viele solcher Fälle und sie weiß: Die Foltermethoden werden immer perfider – so dass sie keine körperlich sichtbaren Spuren mehr hinterlassen: "Zum Beispiel kommt jemand und sagt: Wenn Du nicht aussagst, werden wir deine Frau holen und vergewaltigen." Das stürze die Menschen in ein Dilemma: Entweder verraten sie ihre Organisation oder sie müssen mit ansehen, wie ihre Frau vergewaltigt wird, ihre Mutter oder die Schwester. "Oder Scheintötungen: Mit einer Pistole in der Hand tun sie so, als ob sie jemanden erschießen: eins, zeit, drei – Peng!"

Menschen, die solche Todesängste ausgestanden haben, lernt Ünal Hamidye häufig kennen. Sie arbeitet im Kölner Therapiezentrum für Folteropfer, das von der kirchlichen Hilfsorganisation Caritas betrieben wird. Bei ihr bekam auch Petek Hilfe, allerdings erst vor zwei Jahren, denn die Plätze reichen bei weitem nicht aus. "Als mein Mann und ich 2004 nach Deutschland kamen, sagte man uns, dass es Wartelisten von ein- bis zwei Jahren gibt. Aber eine psychische Krise wartet nicht." Damals war sie in einer Krise, sah keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Erst als sie einen Zusammenbruch hatte und in die Klinik kam, haben die Ärzte mit dem Therapiezentrum Kontakt aufgenommen. "Darum bin ich hier, und ich bin sehr froh darüber."

Das Ankommen ist schwer

Rund 600 bis 800 Menschen erhalten pro Jahr in der Kölner Einrichtung Hilfe. In einzelnen Therapiestunden, in Gruppen, aber auch bei der Bewältigung des Alltags, der neuen Sprache oder bei Behördengängen. Die meisten kommen derzeit aus dem Iran, dem Irak, einigen afrikanischen Ländern und vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien, erzählt Brigitte Brand-Wilhelmy, die Leiterin des Therapiezentrums. "Wir haben Frauen hier, die gesehen haben, wie ihr ganzer Flüchtlingstreck ermordet wurde. Die ihre ganze Familie in Massakern verloren haben, die mit angesehen haben, wie ihre Geschwister, ihre Eltern ermordet worden sind." Schicksale, von denen man sich gar nicht vorstellen kann, dass so etwas Menschen anderen Menschen antun können.

Auch Petek hat noch lange nicht alles verarbeitet, was man ihr angetan hat; es sind nicht nur die Alpträume, die sie immer wieder nachts heimsuchen. Sie leidet unter posttraumatischen Belastungsstörungen, haben die Therapeutinnen ihr gesagt. Sie hat Konzentrationsstörungen und kann nicht arbeiten. Und das macht es ihr schwer, in ihrer neuen Heimat anzukommen. "Ja, es geht mir gut heute", sagt Petek und schiebt dann schnell hinterher. "Ich bin seit 2004 hier in Deutschland, aber jeder Tag ist ein Kampf." Sie und ihr Mann haben in Deutschland weder Familie noch Bekannte und die Folgen der Folter erschweren es, Neues zu lernen, sagt sie. "Gerade das Deutschlernen geht sehr langsam. Dabei möchten wir uns doch gerne am Leben in Deutschland beteiligen."

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Manfred Götzke