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Die Professionalisierung des irakischen Widerstands

Dennis Stute10. Juni 2006

Der irakische Widerstand ist immer besser organisiert. Durch den Tod des Terroristen Sarkawi könnte die Geschlossenheit der bewaffneten Gruppen sogar noch zunehmen.

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Anschlag bei einem Markt in Bagdad am FreitagBild: AP
Terrorchef Sarkawi bei Luftangriff getötet Archivbild
Abu Mussab al-SarkawiBild: AP

Der Topterrorist Abu Mussab al-Sarkawi wurde nach Angaben der US-Armee aus den eigenen Reihen verraten. Bevor sie Sarkawi mit einem Bombenangriff töteten, hätten die Fahnder zahlreiche Tipps erhalten, erklärte der Militärsprecher William Cladwell am Freitag (9.6.) in Bagdad.

Ein Ziel, kein Programm

Der Verrat ist kaum überraschend, denn mit seinem Krieg gegen die Schiiten hatte sich Sarkawi viele Feinde gemacht. "Die sehr rigorose, gegen die irakische Bevölkerung gerichtete Strategie ist auch in Teilen des sunnitischen Widerstandes auf Ablehnung gestoßen", sagt Hans-Joachim Gießmann, Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien an der Uni Hamburg (ZEUS).

Extremisten sprengen Heiligtum der Schiiten im Irak in die Luft
Die Goldene Moschee in Samarra wurde im Februar von Aufständischen zerstörtBild: AP

Auswirkungen auf das Gewaltniveau im Irak werde Sarkawis Tod nicht haben, prophezeit Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg (INEF). Allerdings sei denkbar, dass sich Sarkawis Gefolgsleute im Irak nun stärker an der El-Kaida-Führung im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet orientierten. Bin Ladens Stellvertreter Eiman al-Sawahiri hatte Sarkawis Angriffe auf Schiiten in der Vergangenheit scharf kritisiert.

Gute Öffentlichkeitsarbeit

Sarkawis extrem Schiiten-feindliche Ideologie könne nun an Einfluss verlieren, glaubt auch Joost Hiltermann, Nahost-Experte von der International Crisis Group in Jordanien. "Der Widerstand wird möglicherweise weniger gespalten sein - zumindest, wenn Sarkawi nicht von jemandem vertreten wird, der eine ähnliche Ideologie vertritt." Zudem seien die Chancen gestiegen, die Gruppen in den politischen Prozess zu integrieren. Bislang haben die Kämpfer lediglich ein Ziel - das Ende der Besatzung -, aber kein konkretes politisches Programm.

Eine Studie der Crisis Group kommt zu dem Schluss, dass der Widerstand zunehmend von einigen großen, gut organisierten Gruppen dominiert wird, die eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Neben Sarkawis Terror-Gruppe existieren eine Reihe kleiner und drei große Verbände, welche die Besatzungstruppen mit Waffen bekämpfen. Die "Ansar al-Sunnah" ging aus einer in Kurdistan gegründeten Gruppe hervor und verübt regelmäßig Selbstmordanschläge. Der "Islamischen Armee im Irak" sollen 13 Kampfgruppen von jeweils 100 bis 300 Mann angehören. Sie gilt als nationalistischer als die übrigen Verände und soll zu einem großen Teil aus Anhängern des Saddam-Regimes bestehen.

Ideologische Differenzen

US Streitkräfte in Haditha Oktober 2005
US-Soldat in HadithaBild: AP

Die nationalistische "Islamische Front des irakischen Widerstands" wird von manchen Beobachtern eher als eine Art Werbeabteilung betrachtet. Zwar hat die Jami genannte Gruppe auch Anschläge verübt, doch macht sie vor allem mit regelmäßigen Berichten über Anschläge und einer sehr umfassenden Website auf sich aufmerksam. "Man darf sich keine homogenen und geschlossenen Gruppen vorstellen; bei Zielen und Personen gibt es Überlagerungen", sagt Hans-Joachim Gießmann vom ZEUS. Die US-Armee schätzt die Zahl der Aufständischen im Irak auf 16.000 bis 20.000; der Anteil von Ausländern wird auf rund fünf Prozent beziffert. Andere Schätzungen gehen von bis zu 50.000 Kämpfern aus.

Neben den ideologischen Unterschieden gebe es eine weitere entscheidende Trennlinie zwischen den Gruppen, sagt Jochen Hippler vom INEF: Die zwischen terroristischen Gruppen, die auch Gewalt gegen Zivilisten ausüben und Widerstandsgruppen, die nur Polizei und Militär angreifen. Nach Einschätzung Hipplers konstituiert sich die kleine Minderheit der Terrorgruppen vor allem aus eingesickerten Dschihadisten. Zum überwiegenden Teil rekrutieren die Widerstandsgruppen ihre Mitglieder in der sunnitischen Bevölkerung. "Im schiitischen Bevölkerungsteil gibt es auch ein Gewaltpotenzial - aber natürlich keinen Widerstand, da die Schiiten selbst an der Regierung sind", sagt Hippler und verweist auf die schiitischen Todesschwadronen, die teils unabhängig, teils mit Parteien oder sogar Ministerien verknüpft sind.

Nach außen geschlossen

Sunniten Kämpfer in Falludscha mit Galeriebild
Sunnitische Kämpfer 2004 in FalludschaBild: AP

Im Januar formierte sich der "Rat der Mudschaheddin", dem neben Sarkawis Gruppe eine Reihe kleinerer irakischer Verbände angehören. In ihren öffentlichen Stellungnahmen sind sämtliche Gruppen trotz ihrer Differenzen darum bemüht, Geschlossenheit zu demonstrieren. Die Annäherung sei auch durch die Besatzungstruppen befördert worden, sagt der Friedensforscher Gießmann mit Blick auf den Folterskandal von Abu Ghoreib und das Massaker von Haditha. "Das muss zu der Schlussfolgerung führen, dass es nicht in den Händen der Besatzungstruppen liegt, den Rückhalt für die Gruppen zu verringern, sondern in denen der irakischen Regierung - hier sehe ich eine Chance, die Widerstandsbewegung zu spalten."

Das traut Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik auch den Besatzern zu. Die Amerikaner führten mit einigen Gruppen Gespräche, was zu immer mehr Spaltungen innerhalb des Widerstandes führe. "In den kommenden Monaten könnte der Widerstand deshalb schwächer werden." Insbesondere die nationalistischen Islamisten, die vor den marginalisierten Baathisten und den schwächer werdenden Dschihadisten zur wichtigsten Fraktion geworden seien, reagierten auf die Avancen der Amerikaner. "Die Nationalislamisten haben konkretere Ziele als El-Kaida: Das Ende der Besatzung und eine Beteiligung am neuen Staat", glaubt der frühere Experte für internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt. Allerdings müssten sie noch begreifen, dass die Sunniten nicht die Mehrheit der Bevölkerung stellten.