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Die neue soziale Bewegung in den USA

Michael Kleff18. Februar 2009

Der US-amerikanische Präsident Barack Obama hat versprochen, im Weißen Haus auf die Anliegen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger zu hören. Die neuen sozialen Bewegungen im Land wollen ihn beim Wort nehmen.

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Gilt noch die Richtung vor der Wahl? Der US-amerikanische Präsident Barack ObamaBild: AP

Darunter ist die Onlineorganisation Moveon.org. 1998 entstanden – per E-Mail protestierten damals ihre Gründer Wes Boyd und Joan Blades gegen das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Bill Clinton – trug sie mit ihren TV-Spots und Internetaktionen entscheidend zum Wahlerfolg von Barack Obama bei. Als John McCain im vergangenen August Sarah Palin als seine Vizepräsidentenkandidatin vorstellte, sammelte Moveon innerhalb von 24 Stunden 1,2 Millionen Dollar für Anzeigen zur Unterstützung von Obama und seinem Vize Joe Biden. Fast fünf Millionen Mitglieder machten es möglich. Jetzt geht es der mächtigsten Protestorganisation der USA darum, die Politik des neuen Präsidenten zu beeinflussen. "In der Regel heißt das dann bei offiziellen Institutionen immer: Du bringst eine Gruppe wichtiger Leute zusammen und die entscheiden über die nächsten Schritte", sagt Moveon-Chef Eli Pariser. Bei Moveon läuft das jedoch anders ab. "Unsere Macht gründet sich auf unsere Mitglieder. Sie s i n d Moveon. Entscheidungen dieser Größenordnung überlassen wir daher den fünf Millionen Moveon-Mitgliedern."

Noch herrscht Flitterwochen-Stimmung

Mehr als 800.000 von ihnen beteiligten sich Mitte Dezember an einer Onlinebefragung von Moveon. Gefragt wurde nach den wichtigsten Aufgaben, denen sich die neue Administration widmen soll. Die Moveon-Mitglieder fordern von Barack Obama an erste Stelle eine Gesundheitsversorgung für alle. Es folgen die Forderungen nach neuen Arbeitsplätzen und nach Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise sowie nach einer grünen Wirtschaftspolitik und dem Kampf gegen den Klimawandel. Doch wird Obama auf seine Millionen freiwilligen Helfer hören? Kann die Graswurzel-Bewegung jetzt die Politik des neuen Präsidenten beeinflussen oder kommt sie unter die Kontrolle der Macht in Washington? True Majority ist wie Moveon.org ein so genanntes "Political Action Committee" – eine Organisation, die sich vor allem mit Hilfe des Internets für progressive politische Reformen einsetzt. Für David Elliot, den Öffentlichkeitschef von True Majority, herrscht in Washington innerhalb der meisten fortschrittlichen Gruppen noch Flitterwochen-Stimmung.

Niemand wolle zu diesem Zeitpunkt offen Kritik am neuen Präsidenten üben. Wobei sich jeder bewusst sei, dass die Erwartungen an Obama so hoch gesteckt seien, dass er gar nicht anders könne, als viele seiner Unterstützer in einigen Fragen zu enttäuschen. Doch dass auf den Rausch die Ernüchterung folgt, glaubt Elliot nicht. Mit True Majority verfolge man eine Doppelstrategie innerhalb und außerhalb des Kongresses. Schon vor der Amtsübernahme des neuen Präsidenten habe man an den Sitzungen seines Übergangsteams teilgenommen. Man habe erfahren, was die Obama-Administration plant und man habe seine eigenen Vorschläge eingebracht. "Gleichzeitig werden wir aber vor Ort unsere Forderungen vortragen", versichert der Sprecher von True Majority. "Ob in den Medien oder bei Demonstrationen. Mit unseren Online-Möglichkeiten können wir unsere Leute schnell mobilisieren. Wenn die Regierung zu weit nach rechts driftet, sind wir darauf vorbereitet."

Obama-Koalition: von der äußersten Linken bis zur rechten Mitte

Verteidigungsminister Robert Gates
Seine Ernennung sorgte für Unmut bei den Linken: der republikanische Verteidigungsminister Robert GatesBild: AP

Vor überhöhten Erwartungen warnt auch Max Uhlenbeck vom Vorstand des New Yorker Brecht-Forums und einer der Redaktionsleiter der Politikzeitschrift Left Turn. Er sagt, dass innerhalb der Linken natürlich Freude über Obamas Wahl herrscht. Schließlich war es auch ihr wichtigstes Ziel, McCain und somit eine Fortsetzung der Bush-Politik zu verhindern. Das dies gelang, führt der engagierte Journalist vor allem auf das Abstimmungsverhalten von fünf Gruppen innerhalb der Wählerschaft zurück: Jugendliche Kriegsgegner, die afro-amerikanische Bevölkerung, die organisierte Arbeiterschaft, Frauen und Latinos. Sie bildeten die Grundlage einer Koalition für Obama, die von der äußersten Linken bis zur rechten Mitte reichte. Zu den für Liberale wie für Linke wichtigen politischen Themen gehören das Ende des Irakkriegs, das Recht der Frauen auf Abtreibung, Mindestlohn, die Wiederherstellung eingeschränkter Bürgerrechte oder die Homosexuellen-Ehe.

Vor diesem Hintergrund verhehlt Max Uhlenbeck nicht seine Enttäuschung über viele Personalentscheidungen des neuen Präsidenten. Wobei er einräumt, dass Obama schon einige Leute in seinen engeren Beraterstab berufen habe, die ihn drängen würden, ein offenes Ohr für die Anliegen der neuen sozialen Bewegungen zu haben. "Obama ist klug", meint Uhlenbeck. "Er ist kein Reaktionär. Auch wenn sich seine Haltung zum Krieg nicht sehr von der bisherigen Regierungspolitik unterscheidet, ist er dennoch kein Falke wie Bush." Die entscheidende Frage lautet allerdings, ob die neuen Bewegungen und die Linke in der Lage sind, politische Bedingungen zu schaffen, die den Präsidenten zwingen zuzuhören. Uhlenbeck ist überzeugt, dass er das von sich aus nicht tun wird. "Der Schlüssel dazu liegt darin, wie wir die während der Wahlkampagne entstandene Energie bewahren können. Wie schaffen wir es, einen Teil des Potentials der Obama-Bewegung so auszunutzen, dass wir Druck für Positionen erzeugen, die über das hinausgehen, was in der Wahlkampagne versprochen wurde?"

Klare linke Positionen gefordert

Mehrere Millionen Menschen haben für den Wahlsieg Obamas gearbeitet. Nicht alle von ihnen sind Anhänger der traditionellen Parteiendemokratie. Viele waren neben dem unmittelbaren Wahlkampf auch in unzähligen Graswurzelgruppen engagiert – mit einer sich von Obamas Plattform deutlich unterscheidenden liberalen Agenda. Natürlich gehört das Engagement im parlamentarischen System zum Konzept einer lebendigen sozialen Bewegung, sagt Max Uhlenbeck. Die Linke lehne die dort üblichen politischen Kompromisse nicht grundsätzlich ab. Aber: "Wenn du in der Antikriegsbewegung aktiv bist und den sofortigen Truppenabzug aus dem Irak oder das Ende der von den USA finanzierten israelischen Besetzung Palästinas forderst, machen Kompromisse keinen Sinn." Um Themen an die Öffentlichkeit bringen, die sonst nirgendwo ernsthaft diskutiert werden, müsse man eine klare linke Position einnehmen, glaubt der New Yorker Autor und Aktivist. "Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich dann andere für diese Inhalte in der politischen Arena einsetzen."

Kompromissbereitschaft hat seine Grenzen

Die Parteien in den USA lassen sich nicht mit denen in Deutschland vergleichen. Die überwiegende Mehrheit der US-Kongressabgeordneten – Demokraten wie Republikaner – dürfte politisch rechts von den Sozialdemokraten angesiedelt sein. Linke Politiker, wie man sie in Deutschland kennt, lassen sich in Washington an einer Hand abzählen. "Wir würden uns von Obama wünschen, dass er einen kompromisslosen progressiven Kurs fährt. Das wird jedoch nicht passieren", sagt David Elliot daher. Auf etwa 50 bis 60 Abgeordnete schätzt er die Zahl der Demokraten, die politische Forderungen von Gruppen wie True Majority aufgreifen. Das ist jedoch nicht genug für eine konsequent fortschrittliche Politik im Kongress. Obama hat sich 80 Stimmen im Senat für seinen Plan zur Wiederbelebung der Wirtschaft zum Ziel gesetzt. Die kann er erreichen, meint Elliott. "Aber dafür wird er einige Vorschläge der Republikaner schlucken müssen. Sachen, die wir ablehnen. Und die wir nur zähneknirschend mitmachen können; einfach weil die Wirtschaft jetzt Geld braucht. Dafür müssen Kompromisse gemacht werden." Doch die Kompromissbereitschaft hat auch bei Organisationen wie True Majority seine Grenzen. Die Forderung nach einer guten und bezahlbaren Gesundheitsversorgung für alle ist unabdingbar. Keine Kompromisse will man auch beim Thema Ausbildung eingehen, versichert David Elliott. "Niemandem darf in den ersten zwei Jahren College der Zugang verweigert werden, weil er dafür nicht bezahlen kann. Es gibt also Positionen, die wir ohne wenn und aber vertreten. Ganz egal, wer im Kongress oder im Weißen Haus das Sagen hat."

Auf Obama Druck ausüben

Barack Obama
Wie liberal ist Barack Obama wirklich?Bild: AP

Vertreter beider Denkrichtungen – sowohl der parlamentarischen als auch der außerparlamentarischen Arbeit – finden sich in den meisten politischen Basisgruppen im ganzen Land. Sie alle hoffen, dass die in diesem Wahlkampf gemachte Erfahrung, das Engagement und die erlernte Organisationsfähigkeit nicht verloren gehen. Die neue linke Bewegung setzt darauf, dass Obama sie nutzt, um wichtige politische Inhalte auch durchzusetzen. Dazu gehört Living Liberally, eine Organisation mit mehreren hundert Gruppen in den USA, wo sich politisch Gleichgesinnte treffen. Es sind vornehmlich Linke und Liberale, die hier zusammenkommen, um über Politik zu reden und Aktionen zu planen. Justin Krebs ist Direktor von Living Liberally. Er sieht für die nächste Zukunft innerhalb seiner Organisation drei unterschiedliche Gruppen. Da sind die, für die der Wahlsieg Obamas das Ende ihres Engagements bedeutet. Andere werden, so Krebs, den neuen Präsidenten bedingungslos unterstützen. Zur dritten Gruppe zählt er diejenigen, die sich mit nur etwas Wandel nicht zufrieden geben. "Die glauben, dass Obama etwas anspruchsvoller und mutiger in seiner Politik sein sollte. Sie sehen ihre Rolle darin, Druck auf ihn auszuüben." Denn, sagt Justin Krebs, "Obama ist in vielen Fragen ganz bestimmt kein Liberaler."

Wirklicher Wandel ein langsamer Prozess

Der Text eines Graffitis an einer Hauswand im von Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans lautet: "Hoffnung ist kein Plan". Wer grundsätzliche Veränderungen will, braucht konkrete Vorstellungen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass wirklicher Wandel ein langsamer Prozess ist, an dessen Anfang intensive Diskussionen auch unter Liberalen und Linken stehen müssen. "Es war einfach, gegen Bush und Cheney zu argumentieren" erinnert sich der Direktor von Living Liberally an die Diskussionen bis zum Wahltag am 4. November. Jetzt gehe es jedoch um kompliziertere Fragestellungen. "Soll Obama an dem Zeitplan von 16 Monaten zum Abzug der Truppen aus dem Irak festhalten oder den entsprechenden Beschlüssen der irakischen Regierung folgen? Das eine war ein Wahlversprechen. Er hat aber auch versprochen, mit der Regierung in Irak zusammenzuarbeiten. Sollen wir mehr Truppen nach Afghanistan schicken? Sollen wir mit der Schuldenübernahme durch Washington weitermachen?" Liberale haben zu diesen Fragen ganz unterschiedliche Antworten. Justin Krebs hofft, dass sich Living Liberally von einer Gruppe, die sich als Netzwerk zur Unterstützung einer Sache versteht, zu einer Organisation entwickelt, die solche Debatten unter ihren Mitgliedern zulässt.

"Die Wahl von Obama hat etwas in Bewegung gebracht. Aber nicht wegen Obama selbst."

In einem Punkt sind sich fast alle Vertreter der neuen sozialen Bewegungen einig: Gute Ideen entstehen nicht im Kongress und auch nur selten auf der Ebene der Bundesstaaten. Obama selbst verkündete im Wahlkampf immer wieder: "Wandel kommt von unten nach oben – nicht umgekehrt." Darauf setzt auch David Elliot von True Majority. Er geht davon aus, dass sich die Menschen in einem seit den Sechzigerjahren nicht mehr erlebten Ausmaß auf lokaler Ebene engagieren werden. Für ihn liegt die Hoffnung für die Demokratie in seinem Land in der Lokalpolitik. "Nicht im Kongress. Den hat das Geld korrumpiert. Wie die aktuellen Ereignisse zeigen. Die Wahl von Obama hat etwas in Bewegung gebracht. Aber nicht wegen Obama selbst. Sondern wegen der Menschen, die ihn unterstützt haben – mit ihren Hoffnungen und in ihrem Streben nach einem Amerika, von dem wir träumen können."